Alleen in Westfalen
Entwicklung
Der Begriff "Allee", abgeleitet von frz. "aller" = "gehen", bedeutet soviel wie "(schattiger) Gehweg". Alleen wurden im Barockzeitalter zu prägenden Elementen herrschaftlicher Parks, wo sie sowohl dem Vergnügen des "Lustwandelns" als auch der Repräsentation dienten. Auch heute noch finden sich im Umfeld von Adelssitzen zahlreiche Alleen, vor allem auch in Westfalen. So erstreckt sich beispielsweise um das Schloss Nordkirchen das mit etwa 10 km Gesamtlänge längste Alleensystem ganz Nordrhein-Westfalens.
Im 18. und 19. Jh. übernahmen die preußischen Herrscher die Idee der Alleen auch für die "freie Landschaft". Sie ließen zur Verbesserung der Infrastruktur überall in ihren Territorien "Kunststraßen" bauen, die später "Chausseen" genannt wurden. Dabei handelte es sich um normierte, befestigte Straßen mit möglichst geradem Verlauf, die beidseitig von Bäumen flankiert sein sollten. Das Laubdach spendete im Sommer Schatten, und der Straßenverlauf blieb im Winter, auch bei Schnee, durch die Alleebäume gut sichtbar. Letzteres verhinderte weitgehend eine Verlagerung des Verkehrs auf die umliegenden Flächen, was gegenüber früheren Zeiten durchaus einen Fortschritt bedeutete.
In Westdeutschland wurden in der Zeit des "Wirtschaftswunders" und der enormen Zunahme des Autoverkehrs sehr viele Alleebäume beseitigt, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen. Automobilclubs starteten vor und um 1970 Kampagnen gegen Alleen und verwiesen dabei auf die Gefahren durch Straßenbäume, insbesondere auf die oft tödlichen Aufprallunfälle. Aber auch abbrechende Äste oder umstürzende Bäume bei Sturm sowie herabgefallene Blätter und Früchte im Herbst wurden als Risikofaktoren gesehen.
Vor allem nach 1990 erkannte die Öffentlichkeit jedoch zunehmend den Reiz und den Wert von Alleen. Dies geschah insbesondere unter dem Eindruck, den man beim Erlebnis solcher Landschaftsbestandteile etwa im Norden der "neuen Bundesländer" gewann. Die Neubesinnung trug wesentlich dazu bei, dass in Nordrhein-Westfalen die Landesregierung im Jahr 2007 Alleen generell unter Schutz stellte.
Beurteilung
Im nordrhein-westfälischen Landschaftsgesetz heißt es in § 47a: "Alleen an öffentlichen oder privaten Verkehrsflächen und Wirtschaftswegen sind gesetzlich geschützt. Die Beseitigung von Alleen sowie alle Maßnahmen, die zu deren Zerstörung, Beschädigung oder nachteiligen Veränderung führen können, sind verboten."
Dieser strikte Schutz basiert u.a. auf der Erkenntnis der ökologischen bzw. landschaftsökologischen Vorteile und der Nutzfunktionen von Alleen und Alleebäumen: Diese
– stellen in vielen Fällen ein wichtiges Kulturgut dar,
– tragen in erheblichem Maße bei zur Landschaftsgliederung und Landschaftsästhetik,
– verbessern das Kleinklima, filtern Staub und Schadstoffe aus der Luft und produzieren Sauerstoff,
– verbessern den Boden und den Grundwasserhaushalt,
– sind Lebens- und Bewegungsräume für viele Tiere und
– verhelfen Autofahrern bei Nebel und Dämmerung zu einer besseren Orientierung.
Laut Landschaftsgesetz sollen auch Lücken in Alleen geschlossen und Alleebäume nötigenfalls ersetzt werden. Dies führt zuweilen zu Diskussionen, weil beispielsweise der Landesbetrieb Straßen NRW von einem Mindestabstand von 4,50 m zwischen Baum und Straße ausgeht, während die bisherigen Bäume sehr viel näher an der Fahrbahn stehen bzw. standen.
Erfassung, Bestand und räumliche Verteilung
Gemäß Landschaftsgesetz führt das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) ein landesweites Alleenkataster. Als "Alleen" gelten darin Baumreihen, die beidseitig auf einer Länge von mindestens 100 m an Straßen oder Wegen stehen, wobei die Bäume untereinander etwa den gleichen Abstand und in der Regel das gleiche Alter aufweisen und meist einer einzigen Baumart angehören.
Das Alleenkataster wird laufend ergänzt. Mittlerweile sind von mehr als 70% aller Einzelalleen die individuellen Daten zu Länge, Alter, Baumart usw. im Internet unter https://alleen.naturschutzinformationen.nrw.de abrufbar.
Im Oktober 2014 wies der Landesteil Westfalen ca. 3.000 Alleen auf. Sie verlaufen zu etwa 50% entlang von kommunalen Straßen, die anderen 50% gehören zu Bundes-, Landes- oder Kreisstraßen, zu Rad- oder Wanderwegen (s. Beitrag Hendrys) oder säumen die Zufahrten zu Schlössern, Bauernhöfen usw. Die Durchschnittslänge einer Allee beträgt 630 m, in Siedlungsbereichen weniger, in der freien Landschaft mehr. Die längste Allee Nordrhein-Westfalens verläuft auf einer Länge von ca. 8,4 km entlang der B58 zwischen Ahlen und Drensteinfurt (Kreis Warendorf). Innerhalb einer geschlossenen Ortschaft gibt es mit 3,6 km die größte Alleenlänge Nordrhein-Westfalens entlang der B1 in Soest.
Der häufigste Alleebaum ist die Linde; sie ist bei etwa einem Drittel aller Alleen zu finden. In der Häufigkeitsverteilung folgen Ahorn, Eiche, Platane und Kastanie.
Westfälische Teilräume mit besonders zahlreichen Alleen bzw. hoher Alleendichte sind einerseits das Ruhrgebiet und seine Randzonen, andererseits das östliche Münsterland und Ostwestfalen, wo mehr Alleen erhalten geblieben sind als anderswo (Abb. 1 u. Tab. 1).
Relativ wenig Alleen gibt es dagegen im bergigen, ohnehin waldreichen Sauer- und Siegerland (Abb. 1). Auch das nordwestliche Münsterland weist eine relativ geringe Alleendichte auf. Nach dem Krieg wurden dort die Bäume verstärkt als Brennholz genutzt und in den 1960er Jahren viele weitere für Straßenverbreiterungen beseitigt. Teilweise versucht man im Kreis Steinfurt gegenwärtig, zumindest einigen Straßen den früheren Charakter einer Allee zurückzugeben. Es gibt aber dort auch Widerstände gegen neue Alleen, etwa durch Landwirte, wenn schmale Wirtschaftswege bepflanzt werden sollen.
Die meisten Alleen pro Quadratkilometer Gemeindefläche weisen in Westfalen seit den 1960er Jahren einige Ruhrgebietsstädte auf (Abb. 1 u. Tab. 1). Hier konnte man sich eine Aufwertung von Straßen als Alleen wirtschaftlich leisten und schätzte zudem die Bäume wegen ihrer Filterwirkung in Bezug auf die Luft. Oft wählte man dabei Platanen, weil sie als besonders widerstandsfähig gegen Rauch, Ruß und Luftschadstoffe galten.
Im Kreis Lippe ist man stolz auf die im Oktober 2014 offiziell eröffnete "Lippische Alleenstraße", die über ca. 140 km viele einzelne Alleen im Kreisgebiet verbindet und dem Tourismus zugute kommen soll. Ebenfalls im Kreis Lippe liegt eine der ältesten und stattlichsten Alleen Westfalens, die "Fürstenallee", die 1725–1730 als Zufahrt zum Jagdschloss Oesterholz entstand und zum Stolz der Grafen und Fürsten zur Lippe beitrug.
Offiziell eröffnet wurde im Jahr 2009 auch ein nordrhein-westfälisches Teilstück der Deutschen Alleenstraße. Die Strecke führt von Höxter über Horn-Bad Meinberg, Bad Lippspringe, Paderborn, Delbrück, Lippstadt, Soest, Möhnesee, Schwerte, Dortmund, Herdecke, Wetter und Schwelm ins Bergische Land.
Weiterführende Literatur/Quellen
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König, O. (2013): Alleen in Nordrhein-Westfalen. In: LANUV Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (Hg.): Natur in NRW, Heft 2/2013. Recklinghausen, S. 35–38 |
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Lehmann, I. und M. Rohde (Hg.) (2006): Alleen in Deutschland. Leipzig |
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Peters, J. (2005): Baumpflanzungen als Staatsaufgabe: Entwicklungsgeschichte der Alleen in Brandenburg. |
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https://alleen.naturschutzinformationen.nrw.de |
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www.alleenfan.de |
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www.derwesten.de/region/naturschuetzer-sorgen-sich-um-alleen-in-nordrhein-westfalen-id9189001.html |
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www.deutsche-alleenstrasse.de |
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www.lanuv.nrw.de |
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www.lwl.org/LWL/Kultur/Westfalen_Regional/Verkehr/AlleenRadwege |
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www.strassen.nrw.de |
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www.umwelt.nrw.de/naturschutz/alleen |
Erstveröffentlichung 2015