Berufliche Bildung in Westfalen: Vorzeitige Auflösung von Ausbildungsverträgen

02.08.2024 Peter Wittkampf

Inhalt

Immer wieder ist vom Problem des Fachkräftemangels die Rede. Besondere Aufmerksamkeit verdient da die Meldung des Statistischen Landesamtes IT.NRW vom 18.06.2024, nach der 2023 in Nordrhein-Westfalen bei 29,7% der Auszubildenden der jeweilige Ausbildungsvertrag vorzeitig aufgelöst wurde. Dies kann auf der Basis entweder von Kündigungen oder von Aufhebungsverträgen geschehen. Sehr häufig kommt es dazu schon im ersten Ausbildungsjahr oder sogar noch vor Ende der Probezeit.

Wenn ein Vertrag aufgelöst wurde, ist dies nicht automatisch gleichbedeutend mit einer endgültigen Aufgabe der beruflichen Ausbildung generell. Denn nach einer Vertragsauflösung kann es durchaus sein, dass erneut eine Ausbildung in einer anderen Branche oder einem anderen Betrieb der gleichen Branche aufgenommen wird. Dennoch ist die hohe Quote vorzeitiger Vertragsauflösungen bedenklich. Und sie hat sich in letzter Zeit erhöht: IT.NRW gibt die Vertragsauflösungsquote für 2018 mit 25,7%, für 2013 mit 23,6% an.

Branchen und Personengruppen

Im "Datenreport zum Berufsbildungsbericht" des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB 2023, S. 143ff.) werden einige Personengruppen genannt, bei denen vorzeitige Vertragsauflösungen besonders häufig vorkommen. Es handelt sich u.a. um Auszubildende

  • im Handwerk,
  • im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie in den Bereichen Transport und Verkehr, Körperpflege, Bau, Möbel-, Küchen- und Umzugsservice, Lebensmittelhandwerk,
  • mit Hauptschul- oder ohne Schulabschluss,
  • mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit,
  • weiblichen Geschlechts in bislang hauptsächlich von Männern dominierten Branchen, vor allem des Handwerks.


Umgekehrt werden bei folgenden Gruppen relativ niedrige Auflösungsquoten konstatiert (vgl. BIBB 2023, S. 150): Auszubildende

  • im Öffentlichen Dienst und in der Verwaltung,
  • zu Industrie- und Bankkaufleuten,
  • zu Technischen Produktions- und Laborberufen, Elektronikern usw.


Laut BIBB (2023, S. 150 ff.) führen hauptsächlich folgende Gründe zu vorzeitigen Vertragsauflösungen:

  • Betriebe und Ausbildende nennen bei den Jugendlichen vor allem Defizite in Bezug auf Kompetenzen, Leistungsbereitschaft, Leistungsfähigkeit und Berufsorientierung.
  • Ehemalige Auszubildende nennen als Gründe insbesondere Kommunikationsprobleme, Arbeitsbedingungen, andere Vorstellungen in Bezug auf den Beruf sowie Konflikte mit den Ausbildenden.
  • In zunehmendem Maße wechseln Auszubildende – sofern möglich – zu anderen Betrieben oder Branchen mit der Hoffnung, dass diese ihren Wünschen eher entsprechen. Die Wechsel-Bereitschaft wird umso größer, je dringender die Betriebe Auszubildende suchen und daher evtl. sogar Verträge mit solchen Jugendlichen abschließen, gegenüber denen sie eigentlich Bedenken haben.
Abb. 1: Ausbildungsverträge in der beruflichen Bildung in Westfalen: Auflösungsquoten 2023 sowie deren Veränderung 2018–2023 (in %) (Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen)

Regionale Schwerpunkte

Abbildung 1 zeigt die Auflösungsquoten in den Kreisen und kreisfreien Städten Westfalens im Jahr 2023 sowie deren Veränderung von 2018 bis 2023. Auffällig hohe Quoten wiesen 2023 die Ruhrgebietsstädte und die ihnen benachbarten Kreise auf. An der "Spitze" standen Hamm (35,4%), der Kreis Recklinghausen (34,6%), Gelsenkirchen (34,4%) und Bottrop (33,4%). Die niedrigsten Quoten gab es dagegen im Hochsauerlandkreis (23,4%) sowie in den Kreisen Paderborn (24,2%) und Borken (24,8%).

Die bereits genannten allgemeinen Aussagen zu den "Risikogruppen" für hohe Auflösungsquoten scheinen durch die Statistik bestätigt zu werden. Laut IT.NRW hatten 2021 in Gelsenkirchen insgesamt 31,8% aller Schulabgänger entweder gar keinen oder den Hauptschulabschluss. In Münster beispielsweise lag der entsprechende Prozentsatz bei 15,7%, im Kreis Olpe bei 18,4% (eigene Berechnungen nach IT.NRW). Bei den Ausländeranteilen an der Schülerschaft in den allgemeinbildenden Schulen nennt IT.NRW für das Schuljahr 2023/24 für Gelsenkirchen eine Quote von 29%, in den berufsbildenden Schulen von 19,9%. Im Kreis Paderborn waren es in diesem Schuljahr 12,8% in den allgemeinbildenden bzw. 11,3% speziell in den berufsbildenden Schulen.

Aus Abbildung 1 lässt sich interpretatorisch entnehmen, dass in den ländlichen Teilregionen die Auflösungsquoten der Ausbildungsverträge niedriger sind als in den Städten. In der "Westfalenpost" schrieb J. Weber am 24.06.2024 hierzu einen Artikel mit der Überschrift "Warum auf dem Land Auszubildende seltener aufgeben". Darin wurde der Geschäftsführer der Handwerkskammer Südwestfalen, Hendrik Schmitt, zitiert, der u.a. darauf hinwies, dass "in den ländlichen Regionen" durch die bessere "Vernetzung" eventuell auftretende Probleme besser und schneller gelöst werden könnten als in den großen Städten.

Im Vergleich der Jahre 2018 und 2023 sind die Unterschiede bei den Auflösungsquoten gerade im Agglomerationsraum Ruhrgebiet bzw. seiner nahen Umgebung im Durchschnitt deutlich größer als in den ländlichen Regionen (Abb. 1). Um 6 Prozentpunkte oder mehr stieg die jeweilige Quote in Hamm (+8,6), Dortmund (+8,4), im Märkischen Kreis (+7,0), im Kreis Unna (+6,9), in Bochum (+6,8) und in Gelsenkirchen (+6,0).

Abb. 2: Ausbildungsverträge in der beruflichen Bildung in Westfalen: Auflösungsquoten 2023 speziell im Handwerk (in %) (Quelle: IT.NRW, eigene Berechnungen)

Auflösungsquoten speziell im Handwerk

Zuvor war bereits darauf hingewiesen worden, dass speziell im Handwerk die Auflösungsquoten der Ausbildungsverträge ganz besonders hoch sind. Unter anderem wird dies von A. Uhly (in BIBB 2023, S. 152) folgendermaßen begründet: "Im Handwerk finden sich deutlich höhere Anteile an Auszubildenden mit geringeren Schulabschlüssen als im Bereich Industrie und Handel". Abbildung 2 zeigt die Quoten im Handwerk für 2023. Am niedrigsten waren sie in den Kreisen Borken (29,3%) und Höxter (29,9%), am höchsten in Hamm (48,4%), im Kreis Unna (47,8%), im Ennepe-Ruhr-Kreis (46,4%) und in Dortmund (45,4%).

Besonders die weiblichen Auszubildenden bleiben häufig nicht in den zunächst gewählten Sparten oder Betrieben des Handwerks (Abb. 2). Hierbei könnten einerseits unzureichende vorherige Berufsorientierungen eine Rolle spielen, andererseits auch Probleme mit anderen Betriebszugehörigen, insbesondere wenn es sich um Sparten handelt, die früher als "Domänen" männlicher Handwerker galten. In Hamm wurden 2023 bei weiblichen Auszubildenden im Handwerk 58% der Ausbildungsverträge vorzeitig aufgelöst, in Gelsenkirchen 54,5%, im Kreis Unna 52,5%. Am niedrigsten war die entsprechende Quote – mit 23,6% – im Kreis Olpe.

Auflösungsquoten in anderen Wirtschaftsbereichen

Während westfalenweit im Handwerk 2023 die höchsten Quoten bei den Vertragsauflösungen zu verzeichnen waren, wies der Öffentliche Dienst die niedrigsten auf. Das Maximum hatte hierbei die Stadt Bochum mit 16,2% zu verzeichnen. Die anderen Städte und Kreise lagen darunter, viele sogar unter 10%.

Bei den Freien Berufen reichte die Bandbreite von 36,5% in Herne bis 19,3% im Hochsauerlandkreis, im Bereich Industrie und Handel von 30,7% im Kreis Recklinghausen und 30,4% in Gelsenkirchen bis 18,8% im Hochsauerlandkreis. Auch waren die Unterschiede zwischen den Auflösungsquoten der männlichen und der weiblichen Auszubildenden in den genannten Wirtschaftsbereichen jeweils geringer als die im Handwerk, z.T. waren sie sogar unerheblich.

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Weiterführende Literatur/Quellen

  • BIBB Bundesinstitut für Berufsbildung (Hg.) (2023): Datenreport zum Bundesbildungsbericht 2023. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Bonn
    (https://www.bibb.de/dokumente/pdf/bibb_datenreport_2023_korr_11102023.pdf)

  • Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hg.) (2023): Berufsbildungsbericht 2023.
    (https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2023/berufsbildungsbericht-2023-kabinettfassung.pdf?__blob=publicationFile&v=2)

  • IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024): Berufsbildungsstatistik: Vertragsauflösungsquote nach Ausbildungsbereichen (6) und Geschlecht – kreisfreie Städte und Kreise – Jahr.
    (https://www.landesdatenbank.nrw.de/ldbnrw//online?operation=table&code=21211-10i&bypass=true&levelindex=0&levelid=1722426282809)

  • IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024): NRW: Fast 30% aller begonnenen Ausbildungsverhältnisse wurden vorzeitig gelöst. (Pressemitteilung vom 18.06.2024)
    (https://www.it.nrw/begonnene-ausbildungsverhaeltnisse-wurden-vorzeitig-geloest)

  • Westfalenpost / Weber, J. (24.06.2024): Warum auf dem Land Auszubildende seltener aufgeben.
    (https://www.wp.de/sauer-und-siegerland/article406607477/warum-auf-dem-land-auszubildende-seltener-aufgeben.html)

  • https://www.arbeitswelt-portal.de/ausbildung/artikel/immer-mehr-ausbildungen-werden-abgebrochen-eine-ursachenforschung

  • https://www.tagesschau.de/wirtschaft/unternehmen/ausbildung-abbruch-arbeitsmarkt-job-jugendliche-ausbildungsvertraege-loesung-100.html

Erstveröffentlichung 2024

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