Bertelsmann – Global Player aus Gütersloh

01.01.2007 Rolf Lindemann

Der viertgrößte Medienkonzern der Welt, zugleich der internationalste, begann klein und bescheiden in der westfälischen Provinz: Der Drucker Carl Bertelsmann aus Bielefeld gründete 1835 in Gütersloh in einem Fachwerkhaus einen Verlag mit angeschlossener Druckerei. Er integrierte sich in das pietistisch-protestantische Milieu der Kleinstadt. So hieß denn auch der erste "Bestseller" des kleinen Verlages "Die kleine Missionsharfe". Die Ausrichtung auf erbaulich-religiöse Literatur blieb erhalten, als die Enkelin des Gründers 1881 Johannes Mohn heiratete. Erst unter dessen Sohn Heinrich Mohn wurde das Publikationsspektrum um Belletristik erweitert. Den ersten Quantensprung machte das Unternehmen, als Reinhard Mohn 1947 den Verlag übernahm und 1950 den Bertelsmann Lesering gründete. Dieser für Europa neuartige Buchclub entwickelte sich sehr rasch und hatte 1954 bereits eine Mio. Mitglieder. Die hohe Mitgliederzahl und der sichere Absatz ermöglichten den Bau einer großen Druckerei. Heute ist die Mohn Media die größte Offset-Druckerei Europas und produziert pro Tag eine Mio. Bücher.

Zugleich ermöglichte das sichere Standbein des Buchclubs die Diversifizierung des Konzerns. 1956 wurde ein Schallplattenring gegründet, nach dem Vorbild des Buchclubs. Das führte zur Schallplattenfirma Ariola und zu einem Schallplatten-Presswerk (Sonopress, wie Mohn Media in Gütersloh). Da der deutsche Markt gesättigt war, gründete oder übernahm Bertelsmann Buchclubs im Ausland (erster 1962 in Spanien, vorerst letzter 2004 in der Ukraine). Die Buchclubs sind heute mit dem Online-Geschäft in der Direct Group des Konzerns zusammengefaßt und tragen 13,4% zum Umsatz, aber nur 5,7% zum Gewinn bei. Daraus wird deutlich, dass dieser Geschäftsbereich nicht zu den größten Ergebnislieferanten des Konzerns zählt, auch wenn die Buchclubs in 22 Ländern der Welt heute insgesamt 35 Mio. Mitglieder haben.

1969 kam der Einstieg ins Zeitschriftengeschäft: Bertelsmann übernahm eine Minderheit, 1973 dann die Mehrheit bei Gruner + Jahr und baute diesen Zweig sehr stark aus, auch auf internationalen Märkten (heute 14,4% des Konzernumsatzes). Im Gegensatz zu anderen großen Verlagshäusern setzt Bertelsmann deutlich auf das "Chefredakteursprinzip", d.h. für den Inhalt der Beiträge ist die jeweilige Redaktion verantwortlich; es gibt keinerlei Beeinflussung durch die Konzernleitung. G + J gibt heute 285 Zeitschriften und Zeitungen in über 20 Ländern heraus.

Abb. 1: Firmenstruktur der Bertelsmann AG (Quelle: www.bertelsmann.de)

Die dritte Säule des Konzerns ist das Fernsehen. 1964 erwarb Bertelsmann die UFA, diese konnte aber erst richtig genutzt werden, als in Deutschland 1984 das Privatfernsehen etabliert wurde. Der Konzern war von Anfang an in der RTL-Gruppe dabei und übernahm 2001 die Mehrheit via Aktientausch. Eine wichtige Minderheitsbeteiligung an Bertelsmann wurde im Zuge dieser Transaktion von der belgischen GBL-Gruppe gehalten, die das Recht hatte, ihre Bertelsmann-Anteile ab Mai 2006 an die Börse zu bringen. Dann aber haben sich die Bertelsmann-Gesellschafter auf einen Rückkauf der Anteile verständigt. Das Medienunternehmen erwarb Mitte 2006 die Anteile von GBL für 4,5 Mrd. Euro. Die RTL-Group betreibt 34 Fernseh- und 34 Rundfunkstationen in elf europäischen Ländern und ist hochprofitabel: Sie trägt mit 28% zum Umsatz, aber mit 43% zum Gewinn des Konzerns bei.

Aus Ariola und Sonopress entwickelte sich das Musikgeschäft des Konzerns, das in der Sparte BMG (Bertelsmann Music Group) gesammelt ist. Seit 1987 ist ihr Sitz in New York. Sie besteht aus zwei Zweigen: einem 50-prozentigem Anteil am Musikhaus Sony BMG und aus der BMG Musikverlagsgesellschaft, die weltweit die Nr. 3 ist. Sie wurde jüngst an den französischen Vivendi-Konzern verkauft, um die Schulden aus dem Auskauf von GBL zu verringern. 2006 trug dieser Geschäftsbereich noch zu 10% zum Umsatz und zu 9% zum Gewinn bei.

In der Arvato AG sind alle Mediendienstleistungen des Konzerns gebündelt, von den Druckereien bis zu den Finanzdienstleistungen. Dies ist der personalintensivste Zweig des Konzerns, 47000 von den insgesamt weltweit 97000 Mitarbeitern der Bertelsmann AG sind hier tätig. Er liefert 24% des Umsatzes und 19% der Gewinne.

Natürlich hat Bertelsmann sein altes Kerngeschäft, die Buchproduktion, nicht vernachlässigt. Auch hier wurde in den 1970er Jahren der Quantensprung der Internationalisierung vollzogen, als Bertelsmann 1977 den amerikanischen Verlag Bantam Books erwarb. Die heutigen Aktivitäten auf diesem Gebiet sind unter dem Namen des amerikanischen Traditionsverlages Random House gesammelt. Random House ist die größte Buchverlagsgruppe der Welt, umfasst mehr als 100 publizistisch unabhängige Einzelverlage mit jährlich mehr als 9000 Neuerscheinungen und sitzt ebenfalls in New York. Im Medienunternehmen Bertelsmann ist die Buchproduktion aber inzwischen auf 10% bei Umsatz und Gewinn zurückgegangen.

Der Weltkonzern Bertelsmann hat Mitarbeiter in 63 Ländern, nur noch 30,6% des Umsatzes von (2006) 19,3 Mrd. Euro werden in Deutschland erwirtschaft, 44% im übrigen Europa und 21% in den USA. Gesteuert wird das Unternehmen nach wie vor aus Gütersloh. Das soll auch so bleiben, wie alle Vorstandsvorsitzenden immer wieder auf skeptische Fragen versichern.

Das Selbstverständnis des Konzerns wird durch die "Bertelsmann Grundordnung" von 1960 definiert, die heute als "Essentials" bezeichnet werden. Sie sah - damals revolutionär - dezentrale Organisation, Gewinnbeteiligung der Mitarbeiter und Delegation von Verantwortung vor. Im Sinne dieser Philosophie legte Reinhard Mohn 1981 den Vorstandvorsitz nieder; die Eigentümerfamilie ist seither nicht mehr im operativen Management der Firma tätig, trifft aber sehr wohl Grundsatzentscheidungen der Firmenpolitik, wie die über den Rückkauf der GBL-Anteile zur Verhinderung des Börsengangs. 1977 wurde die Bertelsmann Stiftung gegründet, der die Familie 1993 die Mehrheit des Aktienkapitals übertrug. Nach dem Rückkauf befinden sich 76,9% der Aktien in Händen der Stiftung, 23,1% liegen bei der Familie Mohn. Die Stiftung (Sitz ebenfalls Gütersloh) begnügt sich nicht mit der Verwaltung der Finanzen, sondern greift in Untersuchungen und Publikationen immer wieder tagesaktuelle Fragen auf und macht konkrete Handlungsvorschläge, so zum Krankenhauswesen, zu Hochschulfragen, zu gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen (z.B. Demografischer Wandel) usw.

Was bedeutet nun Bertelsmann für Gütersloh und für die Region, außer dass, wenn von den Medienzentren dieser Welt die Rede ist, neben London, New York und Tokio auch Gütersloh genannt wird? Zunächst einmal ist Bertelsmann der größte Arbeitgeber in der Stadt (8600 von 45000) und im Kreis Gütersloh (10500 von 131000). Das bedeutet, dass jeder siebte der weltweiten Bertelsmann-Mitarbeiter in einem der 35 Bertelsmann-Unternehmen im Kreis tätig ist. Auch von der Zahl der Mitarbeiter her liegt Bertelsmanns Zentrum also nach wie vor in Gütersloh und Umgebung. Für die Qualifizierung der Arbeitskräfte spielt Bertelsmann ebenfalls eine wichtige Rolle: 457 Auszubildende waren 2005 bei Bertelsmann-Unternehmen beschäftigt; das ist die höchste Zahl unter allen Betrieben des Kreises. In der Stadt Gütersloh ist jeder zweite Auszubildende im gewerblichen oder im kaufmännischen Bereich bei Bertelsmann tätig. Die relativ hohen Löhne bei Bertelsmann sind - nicht nur, aber auch - daran beteiligt, dass die Kaufkraft in Gütersloh mit 18000 Euro pro Einwohner um 10% über dem Bundesdurchschnitt und an der Spitze in Ostwestfalen-Lippe liegt, 5% über der von Bielefeld. Nach Schätzungen von Bertelsmann sind die Mitarbeiter der Firma mit jährlich etwa 250 Mio. Euro an der Kaufkraft der Region beteiligt. Auch im Beschäftigungsspektrum Güterslohs lässt sich der Einfluss von Bertelsmann deutlich spüren: die Stadt hat 4,6% der Einwohnerzahl des Regierungsbezirks, aber 18,5% der Beschäftigten im Bereich Papier-, Verlags- und Druckgewerbe. Nach Angaben von Bertelsmann beziehen die Firmen des Konzerns jährlich Waren im Werte von 200 Mio. Euro aus der Region OWL.

Die heutige Weltfirma führt auch insofern die Tradition von Carl Bertelsmann und Johannes Mohn fort, als dass sie sich sehr stark fördernd in Gütersloh engagiert. Das reicht vom Sponsoring für Vereine und Initiativen über hohe Zuschüsse zum Bau der 1984 eröffneten, damals revolutionären Stadtbibliothek bis zur 1996 von Reinhard Mohn angeregten Stadt Stiftung, die gemeinnützige Initiativen in der Stadt unterstützt und mittlerweile Vorbild für 90 ähnlich aufgebaute Stadtstiftungen geworden ist. Große Attraktivität besitzt auch der jährlich durchgeführte und von Bertelsmann unterstützte Gesangswettbewerb "Neue Stimmen", der junge Nachwuchstalente der Oper für eine Woche zur Endausscheidung nach Gütersloh führt.

Bertelsmann ist von Gütersloh ausgegangen, ist heute sicherlich ein Global Player, wie immer man diesen Begriff definiert, hat sich aber nie von seinen Wurzeln gelöst.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007