Zwischen Stagnation und Boom – die Beschäftigtenentwicklung in ostwestfälischen Mittelstädten 2008–2018

15.08.2019 Ludger Siemer

Inhalt

Regionale Beschäftigtenentwicklung

Die regionale Beschäftigtenentwicklung hat in der Wissenschaft und Kommunalpolitik in den letzten Jahren längst nicht die Aufmerksamkeit erzielt wie die demographische Entwicklung. Während zur Bevölkerungsentwicklung und deren Auswirkungen fast jede Kommune Gutachten in Auftrag gegeben oder eigene Untersuchungen erstellt hat, ist dies zum Thema "Beschäftigtenentwicklung" gerade bei Klein- und Mittelstädten kaum der Fall. Dabei ist die Bedeutung dieses Bereiches für die Kommunalentwicklung unstrittig: Quantität und Qualität der Arbeitsplätze vor Ort und in der Region stellen einen ganz wichtigen Faktor der Entwicklung und Attraktivität von Städten und Gemeinden dar.

Die Entwicklung im Beschäftigtenbereich war im letzten Jahrzehnt deutlich dynamischer als die Bevölkerungsentwicklung. Während die Einwohnerzahl in Nordrhein-Westfalen von 2018 fast exakt auf der Höhe von 2008 lag und auch die jährlichen Veränderungsraten bis auf das Jahr 2015 (Flüchtlingszuzug) immer unter 1% lagen, wies der Beschäftigtenbereich 2008–2018 landesweit einen Zuwachs von 17% auf – mit jährlichen Zuwachsraten von bis zu 2,5%. Der Landeswert verdeckt im Übrigen starke Unterschiede zwischen den einzelnen Kommunen.

Nachfolgend wird die Entwicklung der Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den Mittelstädten Ostwestfalen-Lippes (OWL, deckungsgleich mit dem Regierungsbezirk Detmold) zwischen dem 30.06.2008 und dem 30.06.2018 analysiert und verglichen. In diesen insgesamt 21 Städten mit einer Größe von 25.000 bis 100.000 Einwohnern lebten am 01.01.2018 zusammen 889.257 Menschen, das sind 44,5% der Bevölkerung OWLs. Der Anteil dieser Städte an den Beschäftigten in Gesamt-OWL lag am 30.06.2018 mit 47,3% etwas höher.

Es erfolgt eine Beschränkung auf die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Nur für diese liegen Zeitreihen in tiefer regionaler Gliederung vor. Sie machen ca. 90% der Gesamtbeschäftigten aus.

Die Entwicklungen werden untereinander und mit dem Landes- und Regierungsbezirksdurchschnitt verglichen, um sowohl regionale als auch größenbedingte Spezifika herauszufiltern (vgl. auch Beitrag Wittkampf).

Abb. 1: Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Zeitraum 2008–2018 in den Mittelstädten OWLs (Quellen: IT.NRW, Bundesagentur für Arbeit)

Überdurchschnittliches Wachstum bei sehr starken Unterschieden auf kleinem Raum

Die Beschäftigtenzahl in den 21 Mittelstädten OWLs wuchs zwischen 2008 und 2018 von 332.229 auf 393.413, also um 18%. Das Wachstum in den Mittelstädten lag damit knapp über demjenigen auf Landes- und Regierungsbezirksebene (jeweils 17%).

Die auffälligste Entwicklung der vergangenen zehn Jahre sind die sehr starken kleinräumigen Unterschiede, die sich bei den Beschäftigtenzahlen herausgebildet haben. So liegen die Wachstums-Werte für die betrachteten Städte zwischen 3% (Bad Salzuflen) und 59% bzw. 60% (Verl und Schloss Holte-Stukenbrock). Diese Spannweite ist – auch im Hinblick auf den Landes- bzw. Riegierungsbezirksdurchschnitt – enorm. Städte mit annähernd einer Stagnation (neben Bad Salzuflen auch Lübbecke, Bünde, Lage und Löhne) stehen solchen mit Steigerungsraten von über 25% gegenüber (neben Schloss Holte-Stukenbrock und Verl auch Rheda-Wiedenbrück, Rietberg und Salzkotten). Auffällig dabei ist, dass die Städte mit den höchsten Steigerungsraten allesamt im Westen von Ostwestfalen-Lippe bzw. südlich oder westlich des Oberzentrums Bielefeld liegen. Nördlich und östlich von Bielefeld ist das Wachstum dagegen insgesamt deutlich geringer, das Bild jedoch im Einzelnen sehr heterogen: Hier liegen sowohl Städte mit über 20% Wachstum als auch solche mit Steigerungsraten von unter 10%, die räumlich fast unmittelbar benachbart sind.

Es lässt sich zumindest eine kleinräumige "Boomregion" erkennen, nämlich das Gebiet südwestlich von Bielefeld bzw. zwischen Bielefeld und Paderborn entlang der Autobahnen A2 und A33 (Abb. 1). Inwieweit die Autobahnen hierbei als Standort- und Wachstumsfaktor eine entscheidende Rolle spielen, wäre noch näher zu untersuchen, denn auch eher autobahnferne Städte wie Lemgo und Höxter verzeichnen hohe Wachstumsraten, andere Städte mit guter Autobahnerschließung (Bünde, Löhne) dagegen nur geringe Zuwächse.

Vergleicht man die Unterschiede hinsichtlich der Einwohnerzahl der betrachteten Städte, so fällt auf, dass die großen Kreisstädte (Gütersloh, Herford, Detmold, Minden) zwar weiterhin auch die Arbeitsplatzzentren sind, aber eher moderate Wachstumsraten aufweisen. Die Städte mit dem höchsten Wachstum liegen bis auf Rheda-Wiedenbrück (ca. 50.000 Ew.) alle nur knapp über der Untergrenze von 25.000 Einwohnern. Unter den wachstumsschwächeren Städten sind eher mittelgroße Kommunen vertreten, wie z.B. Bünde, Löhne und Lage.

Teilt man die Dekade in zwei 5-Jahreszeiträume 2008–2013 und 2013–2018 und betrachtet diese getrennt voneinander, so ist festzustellen, dass im ersten Zeitraum das Wachstum sowohl landesweit als auch in den meisten Städten eher moderat verlaufen ist. Die Stadt Lage musste in dieser Zeitspanne sogar einen leichten Rückgang der Beschäftigung hinnehmen (-5%). Der Anstieg in Verl, der Stadt mit dem höchsten Wert, ist mit 18% allerdings in diesem Zeitraum bereits beachtlich.

Zwischen 2013 und 2018 ist das Wachstum landesweit fast doppelt so hoch (+11%) wie in dem 5-Jahreszeitraum zuvor. In der Gesamtheit der Mittelstädte von OWL liegt das Wachstum in diesem Zeitraum bei 12%. Alle untersuchten Städte verzeichnen nun Steigerungsraten, die allerdings auch in diesem Zeitraum sehr stark voneinander abweichen (zwischen 3% in Bad Salzuflen und 48% in Schloss Holte-Stuckenbrock).

Betrachtung nach Wirtschaftssektoren

Nach Wirtschaftssektoren unterschieden ist für ganz NRW festzuhalten, dass die Beschäftigtenentwicklung im Zeitraum 2008–2017 (bis zum Abschluss der Arbeiten für diesen Beitrag lagen für das Jahr 2018 noch keine Zahlen vor) im produzierenden Gewerbe stagnierte (+0%), während der tertiäre Sektor deutlich gewann (+22%) (vgl. auch Beitrag Wittkampf).

In OWL verzeichnete auch das produzierende Gewerbe einen deutlichen Zuwachs (+8%), der tertiäre Sektor gewann ähnlich stark wie auf Landesebene (+20%).

In den betrachteten Städten war die Entwicklung sehr unterschiedlich. Die Städte im Norden und Osten von Ostwestfalen-Lippe, also die mit unterdurchschnittlichem Gesamtwachstum (z.B. Bünde, Löhne, Bad Oeynhausen), verloren im produzierenden Gewerbe Beschäftigte oder gewannen nur wenige hinzu. Dagegen wuchsen die Beschäftigtenzahlen der Städte im Süden und Westen von OWL (entgegen dem Landestrend) auch im produzierenden Gewerbe deutlich. Die Steigerungsraten betrugen hier z.T. über 50% (z.B. in Verl u. Schloss Holte-Stuckenbrock). Im tertiären Sektor ist das Bild räumlich etwas durchmischter. Alle Städte gewannen in dem Zeitraum an Beschäftigten hinzu. Die Steigerungsraten schwankten allerdings auch hier zwischen 5% (Petershagen) und 47% (Rietberg) sehr stark.

Festzuhalten bleibt, dass in den Mittelstädten OWLs mit dem stärksten Gesamtzuwachs – anders als auf Landesebene – auch das produzierende Gewerbe noch deutlich wuchs, während in den Städten mit unterdurchschnittlichem Wachstum das produzierende Gewerbe an Beschäftigten verlor, jedoch in der Regel weniger als der Dienstleistungsbereich hinzugewann. Für die großen Entwicklungsunterschiede zwischen den einzelnen Städten ist vielmehr das produzierende Gewerbe als der Dienstleistungsbereich verantwortlich.

Fazit

Das insgesamt (nur) leicht überdurchschnittliche Wachstum in den ostwestfälischen Mittelstädten verdeckt sehr starke Entwicklungsunterschiede zwischen diesen Kommunen. Hinsichtlich des räumlichen Verteilungsmusters fällt sofort ein Südwest-/Nordost-Gefälle auf: Südlich und westlich des Oberzentrums Bielefeld bzw. in den Kreisen Gütersloh und Paderborn ist eine ausgesprochene Wachstumsregion auszumachen. Als Gründe hierfür können die verkehrsgeographisch günstige Lage im Schnittpunkt zweier Autobahnen und die ausgesprochenen Firmenkonjunkturen großer familiengeführter Unternehmen vor Ort (z.B. Claas, Miele, Tönnies) angenommen werden. Eine gewisse Rolle könnten in den letzten Jahren aber auch rein statistische Effekte gespielt haben, nämlich die Umwandlung von rechtlich anders gestalteten Arbeitsverhältnissen (Scheinselbständigkeit, Leiharbeitnehmer) in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen und damit verbundene Verlagerungen der (offiziellen) Arbeitsorte vor allem in der in diesem Raum stark vertretenen fleischverarbeitenden Industrie.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2019