weiterer Autor: Georg Schmitz
Die Biggetalsperre im Sauerland
Entstehungsgeschichte
Die enge Biggetalung zwischen Olpe und Attendorn war für einen Stausee sehr gut geeignet. Aufgrund ihres Stauvolumens (142 Mio. m3) war die Talsperre, die zusammen mit der bereits bestehenden Listertalsperre (22 Mio. m3) und dem Ahauser Stausee (2,1 Mio. m3) ein Stau-System an der Bigge bildet, in der Lage, das Wasser-Defizit des Ruhrgebietes in einem Großprojekt zu beseitigen, das zugleich wirtschaftlicher durchzuführen war als die Anlage vieler kleiner Talsperren. Zudem würde allein die Biggetalsperre 40% des erforderlichen Zuschusswassers zum Flusssystem der Ruhr liefern können. Schließlich besitzt die Talsperre ein großes Einzugsgebiet von 289 km2, in dem jährlich zwischen 1.000 bis 1.300 mm Niederschlag fällt. Die Böden im Überstauungsgebiet besaßen zudem eine geringe landwirtschaftliche Wertigkeit, wohingegen die geologischen Verhältnisse aufgrund von wasserstauenden Schichten aus Tonschiefern und Grauwacke vorteilhaft für die Anlage waren.
Ein weiterer Vorteil der Talsperre war der Hochwasserschutz sowie die Nutzung von Wasserkraftanlagen. So konnte durch die Errichtung des Biggekraftwerks bei Attendorn eine Kapazität von 22 Mio. kWh geschaffen werden. Ein weiteres Argument für den Bau der Talsperre war die zu erwartende Steigerung des Fremdenverkehrs – nicht zuletzt aufgrund der günstigeren verkehrsräumlichen Lage. Da die Biggetalsperre nicht als Trinkwasserreservoir fungiert, kann sie für den Wassersport genutzt werden. Die hierfür notwendige touristische Infrastruktur wurde durch eine Vielzahl von Freizeit- und Erholungseinrichtungen inklusive verkehrstechnischer Erschließung (z. B. Campingplätze, Strandbäder, Parkplätze) eingeplant.
Nach langjährigen Voruntersuchungen begannen die konkreten Entwurfsarbeiten für die Biggetalsperre 1938. Bereits 1939 wurde für den betroffenen Teil des Biggetals eine Bausperre verhängt. Der Zweite Weltkrieg unterbrach zunächst die Planungen, die dann 1954 konkret in Angriff genommen wurden. Rechtliche und finanzielle Grundlage für den Bau war das Biggetalsperrengesetz, welches 1956 im NRW-Landtag beschlossen wurde. Wesentlicher Inhalt war in finanzieller Hinsicht der sog. Biggepfennig, der von allen Wasserbeziehern, auch den Oberliegern des Biggesees, entrichtet werden mußte. Obwohl diese Sondersteuer nach einer Laufzeit von 15 Jahren auslaufen sollte, wurde der Biggepfenning noch bis zum 01.01.2010 eingezogen, so dass die durch das Großprojekt verursachten Kosten erst mit rund 25-jähriger Verspätung getilgt werden konnten. Die Baukosten des infrastrukturellen Großprojekts nahmen im Zuge der insgesamt fast drei Jahrzehnte dauernden Planung und Durchführung erheblich zu. Von im Jahr 1952 kalkulierten 85 Mio. € stiegen die Baukosten bis 1965 auf rund 200 Mio. € an. Letztendlich beliefen sich die Baukosten inklusive Zinsen bis 2010 auf rund 250 Mio. €.
Zentrale Akteure
Bevölkerungsumsiedlung
(Land-)Wirtschaft
Landschaftsumgestaltung
Wie erwähnt, stellte der Bau der Biggetalsperre einen erheblichen Eingriff in die Landschaft dar. Durch die Talsperre selbst, die Gebäude, die neuen Verkehrswege, die Brücken sowie ein verändertes Siedlungsbild und Nutzflächengefüge wurde die Landschaft tiefgreifend umgestaltet. Insgesamt wurden für den Bau 5,5 Mio. m3 Bodenmasse bewegt. Daher unternahm der RTV große Anstrengungen, nach dem Einstau funktionsfähige Natur- und Landschaftsräume wiederherzustellen. Die Talsperre sollte sich harmonisch in das Landschaftsbild einfügen. Die bewaldeten Randgebiete der Sperre wurden auf einer Breite von ca. einem km unter Landschaftsschutz gestellt. Dadurch sollte und konnte die Zersiedlung der Landschaft und der ungehinderte Zutritt in freie und ungestörte Natur für die Allgemeinheit sichergestellt werden.
Sowohl für den Straßen- als auch für den Eisenbahnverkehr war die Anlage von insgesamt 34 Brücken notwendig, von denen zwei als architektonisch bemerkenswerte Doppelstockbrücken gebaut wurden. Sie waren aufgrund starker Reliefierung und steiler Hänge notwendig und werden auf der oberen Fahrbahn vom Straßen- und auf der unteren vom Eisenbahnverkehr genutzt. Insgesamt wurden durch den Bau der Biggetalsperre 37 Straßen-km sowie 31 km Randwege entlang der Talsperre neu geschaffen.
Tourismusinfrastrukturausbau
Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre machten sich allerdings zunehmend ein Investitionsstau und fehlende Neuinvesitionen bemerkbar. Die Besucherzahlen sind rückläufig und angesichts gestiegener Ansprüche der Kunden sind Investitionen in die touristische Infrastruktur dringend notwendig. Der 2002 aufgestellte "Masterplan für die Seen im Sauerland" hält hier zahlreiche Entwicklungsmaßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des Biggesees bereit, deren Umsetzung jedoch bis heute weitgehend unterblieb.
Fazit
Seit dem Einstau des künstlichen Sees 1965 hat sich die Hauptfunktion der Talsperre vom Wasserreservoir für die Montanindustrie des Ruhrgebietes hin zur insbesondere durch Freizeit- und Erholungsnutzung gekennzeichneten Wasserfläche deutlich verändert. Die Biggetalsperre ist der größte künstlich angelegte See Westfalens, dessen Bedeutung als weicher Standortfaktor für die Bevölkerung, die Wirtschaft und den Tourismus des gesamten südlichen Sauerlandes aus der Distanz von 50 Jahren nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Becker, G. (1998): Der Kreis Olpe – historisch-landeskundliche Einführung. In: Becker, G., H. Heineberg, K. Temlitz und P. Weber (Hg.) (1998): Der Kreis Olpe. Münster, S. 1–17 (= Städte und Gemeinden in Westfalen, Band 5) | |
• | Becker, G., H. Heineberg, K. Temlitz und P. Weber (Hg.) (1998): Der Kreis Olpe. Münster (= Städte und Gemeinden in Westfalen, Band 5) | |
• | Henseling, E. und B. Heintze (1991): Im Biggetal. Olpe | |
• | Krajewski, Chr. und P. Weber (1998): Attendorn. In: Becker, G., H. Heineberg, K. Temlitz und P. Weber (Hg.) (1998): Der Kreis Olpe. Münster, S. 37–54 (= Städte und Gemeinden in Westfalen, Band 5) | |
• | Krajewski, Chr. und G. Schmitz (2010): Planung und Realisierung eines infrastrukturellen Großprojektes – der Biggetalsperrenbau im Sauerland. In: Wermert, J. (Hg.) (2010): Stadtgeschichte Olpe, Band 2. Olpe (in Druckvorbereitung) | |
• | Weber, P. (1993): Biggetalsperre und Neu-Listernohl – Planung und Bau. In: Höffer, O. (1993): Im Bann des Wassers. Die Orte der Pfarrei Neu-Listernohl einst und heute und die Geschichte der Stadt Attendorn. Attendorn, S. 355–397 |
Erstveröffentlichung 2010