Die Biggetalsperre im Sauerland

01.01.2010 Christian Krajewski

weiterer Autor: Georg Schmitz

Inhalt

Eine der größten landschaftsprägenden Veränderungen des südlichen Sauerlands im 20. Jh. war der Bau der Biggetalsperre von 1957 bis 1965. Noch vor dem Bau der Autobahnen A45 Dortmund–Siegen–Frankfurt und der A4 Köln–Olpe hat dieses Infrastrukturgroßprojekt das Erscheinungsbild des Kreises Olpe maßgeblich verändert.

Entstehungsgeschichte

Entscheidend für den Bau der Biggetalsperre war die hohe Wasserentnahme aus der Ruhr für Trink- und Brauchwasser. Durch die Ballung von Bergbau, Indus­trie und Kraftwerken im Industriezeitalter verzeichnete das Ruhrgebiet einen hohen Brauchwasserbedarf. Verschiedene Gründe – v. a. steigender Was­serbedarf durch Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum – sprachen aus raum­planerischer Sicht für das Projekt Biggetalsperre und dominierten die Diskussion um den Talsperren-Bau im Biggetal.

Die enge Biggetalung zwischen Olpe und Attendorn war für einen Stausee sehr gut geeignet. Aufgrund ihres Stauvolumens (142 Mio. m3) war die Talsperre, die zusammen mit der bereits bestehenden Listertalsperre (22 Mio. m3) und dem Ahauser Stausee (2,1 Mio. m3) ein Stau-System an der Bigge bildet, in der Lage, das Wasser-Defizit des Ruhrgebietes in einem Großprojekt zu beseitigen, das zugleich wirtschaftlicher durchzuführen war als die Anlage vieler kleiner Talsperren. Zudem würde allein die Biggetalsperre 40% des erforderlichen Zuschusswassers zum Fluss­sys­tem der Ruhr liefern können. Schließlich besitzt die Talsperre ein großes Einzugsgebiet von 289 km2, in dem jährlich zwischen 1.000 bis 1.300 mm Niederschlag fällt. Die Böden im Überstauungsgebiet besaßen zudem eine geringe landwirtschaftliche Wertigkeit, wohingegen die geologischen Verhältnisse aufgrund von wasserstauenden Schichten aus Tonschiefern und Grauwacke vorteilhaft für die Anlage waren.
Abb. 1: Blick talabwärts über die neue Sonderner Brücke im September 1965 (Quelle: Henseling/Heintze 1991)

Ein weiterer Vorteil der Talsperre war der Hochwasserschutz sowie die Nutzung von Wasserkraftanlagen. So konnte durch die Errichtung des Biggekraftwerks bei Attendorn eine Kapazität von 22 Mio. kWh geschaffen werden. Ein weiteres Argument für den Bau der Talsperre war die zu erwartende Steigerung des Fremdenverkehrs – nicht zu­letzt aufgrund der günstigeren verkehrsräumlichen Lage. Da die Biggetalsperre nicht als Trinkwasserreservoir fungiert, kann sie für den Wassersport genutzt werden. Die hierfür notwendige touristische Infrastruktur wurde durch eine Vielzahl von Freizeit- und Erholungseinrichtungen inklusive verkehrstechnischer Erschließung (z. B. Campingplätze, Strandbäder, Parkplätze) eingeplant.

Nach langjährigen Voruntersuchungen begannen die konkreten Entwurfsarbeiten für die Biggetalsperre 1938. Bereits 1939 wurde für den betroffenen Teil des Biggetals eine Bausperre verhängt. Der Zweite Weltkrieg unterbrach zunächst die Planungen, die dann 1954 konkret in Angriff genommen wurden. Rechtliche und finanzielle Grundlage für den Bau war das Biggetalsperrengesetz, welches 1956 im NRW-Landtag beschlossen wurde. Wesentlicher Inhalt war in finanzieller Hinsicht der sog. Biggepfennig, der von allen Wasserbeziehern, auch den Oberliegern des Biggesees, entrichtet werden mußte. Obwohl diese Sondersteuer nach einer Laufzeit von 15 Jahren auslaufen sollte, wurde der Biggepfenning noch bis zum 01.01.2010 eingezogen, so dass die durch das Großprojekt verursachten Kosten erst mit rund 25-jähriger Verspätung getilgt werden konnten. Die Bau­kos­ten des infrastrukturellen Großprojekts nahmen im Zuge der insgesamt fast drei Jahrzehnte dauernden Planung und Durchführung erheblich zu. Von im Jahr 1952 kalkulierten 85 Mio. € stiegen die Baukosten bis 1965 auf rund 200 Mio. € an. Letztendlich beliefen sich die Bau­kos­ten inklusive Zinsen bis 2010 auf rund 250 Mio. €.

Zentrale Akteure

Hauptakteur bei Planung und Bau der Biggetalsperre war der Ruhrtalsperrenverein (RTV; heute Ruhrverband) aus Essen. Unter dem zunehmenden Leidensdruck des seit 1939 bestehenden Baustopps von Gebäuden im Biggetal gründete die betroffene Be­völkerung 1950 die Interessengemeinschaft Biggetal e. V., deren vornehmliches Ziel die Aufhebung des bestehenden Baustopps und – mittelfristig – die Einstellung des Projekts Biggetalsperre war. Als deutlich wurde, dass das Projekt nicht (mehr) verhindert werden konnte, war die wichtigste Forderung der Interessengemeinschaft, zumindest ihre Anliegen in Form einer großzügigen Kompensation für das untergegangene Eigentum und die Wiederansiedlung in neu zu errichtenden Dörfern zu berücksichtigen. Eine Be­wertung der Arbeit der Interessengemeinschaft zeigt: Durch die Gemeinschaft wurden die zahlreichen und unterschiedlichen Belange der betroffenen Bevölkerung professioneller gegenüber dem RTV und den Behörden vertreten. Zudem wurde durch die Bündelung und Koordinierung der Interessen eine Vereinfachung der umfangreichen Projektsteuerung möglich. Die Aufgabe, den Bau der Talsperre kommunalpolitisch durchzusetzen, oblag schließlich dem Oberkreisdirektor des Kreises Olpe.

Bevölkerungsumsiedlung

Erste Überlegungen in den 1950er Jahren gingen davon aus, die vom Einstau betroffene Bevölkerung überwiegend in den Städten Olpe und Attendorn wiederanzusiedeln. Dagegen erhob sich Widerstand der Bevölkerung, die sich zum überwiegenden Teil für eine geschlossene Wiederansiedlung in neuen Dörfern aussprach. Die Umsiedlung stellte – insgesamt gesehen – den schwierigsten Teil des Projektes dar und verzögerte den Grunderwerb und die Bauarbeiten. 1956 konnte eine Übereinkunft zwischen dem RTV und dem Landkreis Olpe sowie den betroffenen Gemeinden geschlossen werden. Sie umfasste insbesondere die Durchführung der Umsiedlung, die teilweise Umsiedlung nach Olpe und Attendorn, den Neubau der Siedlungen Sondern und Neu-Listernohl, die Kostenübernahme zur Errichtung von öffentlichen Einrichtungen sowie den Neu- und Ausbau von Straßen durch den RTV. Für den Bau der Talsperre mußten vor Baubeginn im Jahr 1957 letztendlich 2.555 Einwohner umgesiedelt werden.

(Land-)Wirtschaft

Weniger schwierig als die Umsiedlung der Wohnbevölkerung erwies sich die Standortverlagerung der Industriebetriebe. Betroffen waren ebenso die landwirtschaftlichen Betriebe. Die landwirtschaftlichen Flächen im Überstauungsbereich wurden zu einem großen Teil im Nebenerwerb bewirtschaftet. Insgesamt waren 64 landwirtschaftliche Betriebe ganz oder teilweise betroffen. Davon konnten schließlich 36 ausgesiedelt und 28 durch Flurbereinigungsverfahren reorganisiert werden. 1958 wurde auf einem Gesamtgebiet von 4.749 ha ein Flurbereinigungsverfahren angeordnet, das erst 1974 rechtswirksam abgeschlossen werden konnte.

Abb. 2: Neu-Sondern aus der Luft mit dem Heimathafen der Weißen Flotte (Foto: B. Heintze)

Landschaftsumgestaltung

Wie erwähnt, stellte der Bau der Biggetalsperre einen erheblichen Eingriff in die Landschaft dar. Durch die Talsperre selbst, die Gebäude, die neuen Verkehrswege, die Brücken sowie ein verändertes Siedlungsbild und Nutzflächengefüge wurde die Landschaft tiefgreifend umgestaltet. Insgesamt wurden für den Bau 5,5 Mio. m3 Bodenmasse bewegt. Daher unternahm der RTV große Anstrengungen, nach dem Einstau funktionsfähige Natur- und Landschaftsräume wiederherzustellen. Die Talsperre sollte sich harmonisch in das Landschaftsbild einfügen. Die bewaldeten Randgebiete der Sperre wurden auf einer Breite von ca. einem km unter Landschaftsschutz ge­stellt. Da­durch sollte und konnte die Zersiedlung der Landschaft und der ungehinderte Zutritt in freie und ungestörte Natur für die Allgemeinheit sichergestellt werden.

Sowohl für den Straßen- als auch für den Eisenbahnverkehr war die Anlage von insgesamt 34 Brücken notwendig, von denen zwei als architektonisch bemerkenswerte Doppelstockbrücken gebaut wurden. Sie waren aufgrund starker Reliefierung und steiler Hänge notwendig und werden auf der oberen Fahrbahn vom Straßen- und auf der unteren vom Eisenbahnverkehr genutzt. Insgesamt wurden durch den Bau der Biggetalsperre 37 Straßen-km sowie 31 km Randwege entlang der Talsperre neu geschaffen.

Tourismusinfrastrukturausbau

Angesichts des niedrigen Stellenwerts, den der Tourismus zum Zeitpunkt der Projektrealisierung einnahm, erfolgten Planungen zu Investitionen in die Tourismus- und Naherholungsinfrastruktur erst zeitversetzt und auf finanziell niedrigem Niveau. Der Stellenwert der Freizeitinfrastruktur nahm erst später zu und wurde durch einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft zu Gunsten der Freizeit flankiert. So wurde ein Großteil der touristischen Infrastruktur erst in den 1970er Jahren nachträglich geschaffen. Die Zielgruppenschwerpunkte wurden vor allem auf Gäste mit mittlerem Einkommen im Bereich Camping und Baden gelegt. Dazu wurden die Einrichtungen besonders im Süden der Talsperre konzentriert, wohingegen das nördliche Drittel der Talsperre frei von Erholungseinrichtungen bleiben sollte.

Spätestens seit Mitte der 1980er Jahre machten sich allerdings zunehmend ein Investitionsstau und fehlende Neuinvesitionen bemerkbar. Die Besucherzahlen sind rückläufig und angesichts gestiegener Ansprüche der Kunden sind Investitionen in die touristische Infrastruktur dringend notwendig. Der 2002 aufgestellte "Masterplan für die Seen im Sauerland" hält hier zahlreiche Entwicklungsmaßnahmen zur Attraktivitätssteigerung des Biggesees bereit, deren Umsetzung jedoch bis heute weitgehend unterblieb.

Fazit

Seit dem Einstau des künstlichen Sees 1965 hat sich die Hauptfunktion der Talsperre vom Wasserreservoir für die Montanindustrie des Ruhrgebietes hin zur insbesondere durch Freizeit- und Erholungsnutzung gekennzeichneten Wasserfläche deutlich verändert. Die Biggetalsperre ist der größte künstlich angelegte See Westfalens, dessen Bedeutung als weicher Standortfaktor für die Bevölkerung, die Wirtschaft und den Tourismus des gesamten südlichen Sauerlandes aus der Distanz von 50 Jahren nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2010