Binnenschifffahrt in Westfalen

01.01.2007 Markus Wieneke

Kategorie: Verkehr

Schlagworte: Westfalen · Hafen · Schifffahrt · Güterverkehr

Inhalt

Über 100 Jahre ist es her, als Dampf- und später Motorschiffe begannen, Kohlen und Erze über den ersten künstlichen westfälischen Wasserweg, den Dortmund-Ems-Kanal (DEK), zu transportieren. In den folgenden Jahrzehnten wurden in Westfalen vier weitere Kanäle gebaut, allein drei davon im Ruhrgebiet. Hintergrund dieser aufwändigen wasserbaulichen Maßnahmen war die Absicht, die Standortnachteile der Industrien im westfälischen Teil der Montanregion gegenüber denjenigen, die sich auf rheinischer Seite angesiedelt hatten, zu beseitigen. Außerdem konnte die deutsche Kohle durch die nun geringeren Transportkosten noch stärker mit der englischen konkurrieren. Nicht zuletzt wurde mit dem Wasserstraßennetz eine wichtige Voraussetzung für die Nordwanderung des Bergbaus im Ruhrgebiet geschaffen.

Abb. 1: Binnenschifffahrt in Westfalen: Wasserstraßen, Umschlag der einzelnen Gütergruppen 2003 (Entwurf: M. Wieneke, Quelle: LDS NRW)

Güterumschlag und Gütergruppen

Die damals entstandenen verkehrswirtschaftlichen Strukturen sind auch zu Beginn des 21. Jh.s unverkennbar. Nach wie vor hat die westfälische Binnenschifffahrt ihren Schwerpunkt im Ruhrgebiet. Hier ist der Güterumschlag in den Häfen mit insgesamt rund 20 Mio. Tonnen (83%) weiterhin mit Abstand am höchsten. Im Vergleich nehmen die münsterländischen Häfen entlang des DEK (6%) sowie die auf westfälischer Seite befindlichen Häfen des Mittellandkanals (9%) und der Ober- und Mittelweser (2%) eine eher untergeordnete Rolle ein (vgl. Tab. 1).

Trotz der seit Jahrzehnte andauernden Krise im Bergbau ist Kohle bzw. Koks mit einem Anteil von rund 33% am gesamten Güterumschlag immer noch das wichtigste Transportgut der westfälischen Binnenschifffahrt. Auf Rang zwei folgt die Gruppe Erdöl, Mineralölerzeugnisse und Gase (21%) vor den Produkten der chemischen Industrie (11%). Die Städte Werne, Marl, Hamm und Herne stellen als Bergwerks- bzw. Kraftwerksstandorte mit z.T. werkseigenen Häfen die Hauptumschlagstellen für Kohle dar (vgl. Abb. 1). Mit dem Chemiepark befindet sich in Marl ferner einer der bedeutendsten Verbundstandorte in Deutschland. Dessen Erzeugnisse sowie die dafür benötigten Rohstoffe werden in dem größten Privathafen Westfalens umgeschlagen. Gelsenkirchen ist als traditionell wichtiger Erdölraffineriestandort (BP und Ruhr Oel GmbH) mit einem entsprechend hohen Umschlag an Kraftstoffen und Heizöl zu nennen.
Tab. 1: Hauptverkehrsbeziehungen der Wasserstraßengebiete in Westfalen 2003 nach Güterumschlag (in t) (Quelle: LDS NRW)

Verkehrsströme

Betrachtet man die Verkehrsströme der Binnenschiffe, so fällt auf, dass vor allem die Verbindungen zu den Niederlanden und innerhalb Deutschlands eine große Rolle spielen (vgl. Tab. 1). Über 90% der hierzulande umgeschlagenen Güter stammen zu etwa gleichen Teilen aus den Niederlanden und Deutschland (vornehmlich NRW und den angrenzenden Bundesländern sowie Baden-Württemberg) bzw. werden dorthin verschifft. Der Anteil der Transporte von und in die mittel- bzw. osteuropäischen Länder ist trotz der verbesserten Handelsbeziehungen und EU-Osterweiterung bislang verschwindend gering. Gründe für diese einseitige Verteilung zu Gunsten der westlichen Nachbarn sind u.a. die geographische Lage sowie die im Vergleich gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur.

Verkehrswirtschaftliche Bedeutung

Mit dem Rhein-Herne- und dem Wesel-Datteln-Kanal besitzt Westfalen direkte Anschlüsse an Europas meist befahrene Wasserstraße, den Rhein. Trotz dieser günstigen Verkehrsanbindungen ist es bis heute nicht gelungen, die westfälische Binnenschifffahrt der rheinischen gleichzustellen. Hauptursache hierfür ist die wesentlich geringere Leistungsfähigkeit des Kanalsystems. Während die westfälischen Häfen zusammen im Jahr 2003 einen Güterumschlag von rund 24 Mio. Tonnen aufwiesen, wurden in den nordrhein-westfälischen Häfen entlang des Rheins ca. 90 Mio. Tonnen ein- und ausgeladen. Dennoch ist die Binnenschifffahrt für Westfalen wie für gesamt NRW ein wichtiger und unverzichtbarer Verkehrsträger. Allein auf NRW entfällt über die Hälfte des Güteraufkommens der Binnenschifffahrt in Deutschland (ca. 220 Mio. t in 2003). Ebenso hat hier die Binnenschifffahrt im Vergleich mit dem übrigen Bundesgebiet einen doppelt so hohen Anteil am Güterfernverkehr (25% zu 12% in 2001). Diese Zahlen spiegeln die regionale Bedeutung der Branche wider, v.a. im Hinblick auf die in den Ballungsräumen entlang der Wasserstraßen angesiedelten Großindustrien.

Aufgrund des höheren Binnenschiffanteils ist die Lkw-Dominanz in NRW mit rund 50% (2001) nicht ganz so stark ausgeprägt wie in den anderen Bundesländern (knapp 70%). Dennoch ist man auch hier nicht in der Lage, mit dem Straßengüterverkehr ernsthaft zu konkurrieren - und das trotz der Vorteile, die dem Binnenschiff seit jeher zugesprochen werden wie große Transportkapazität, geringer Energieverbrauch, niedrige Personalkosten, Umweltfreundlichkeit und Sicherheit.

Zukunftsperspektiven

Angesichts des prognostizierten fortlaufenden Anstiegs des Verkehrsaufkommens in den kommenden Jahren soll die Binnenschifffahrt in der politischen Gesamtverkehrsplanung stärker berücksichtigt werden. Ziel ist es, das Ungleichgewicht zugunsten der Binnenschifffahrt zu reduzieren, da dieser Verkehrsträger neben den genannten Vorteilen im Gegensatz zur Straße und Schiene über noch unausgeschöpfte Transportkapazitäten verfügt. Aus westfälischer Sicht wurde mit dem derzeit laufenden Ausbau des westdeutschen Kanalnetzes (v.a. des DEK) bereits ein wichtiger Schritt in diese Richtung getan. Bis zum Jahr 2010 sollen alle westfälischen Kanäle dem Wasserstraßenklassentyp Vb entsprechen. Sie wären dann durchweg für Großmotorgüterschiffe sowie größere Schubverbände mit einer Ladung von bis zu 3600 Tonnen befahrbar (bisherige max. Tragfähigkeit des DEK: 1500 t) und daher wirtschaftlich attraktiver. Dies gilt ebenfalls in Bezug auf den Containertransport per Binnenschiff, dem für die folgenden Jahre gute Wachstumchancen attestiert werden.

Um das verkehrspolitische Konzept zu verwirklichen, besteht allerdings weiterer Handlungsbedarf - u.a. hinsichtlich der infrastrukturellen Ausstattung der westfälischen Häfen. Um modernen Logistikzentren gerecht zu werden, die als so genannte trimodale Standorte eine Schnittstellenfunktion zwischen Binnenschiff, Eisenbahn und Lkw einnehmen und mit entsprechenden Dienstleistungen einen reibungslosen Transportfluss ermöglichen, bedarf es mancherorts technologischer und organisatorischer Verbesserungen. Dortmund (s. Beitrag Ellerbrock) und Minden (s. Beitrag Bischoff) z.B. verfügen zur Zeit als einzige öffentliche Häfen in Westfalen über Anlagen für den "nassen" Containerumschlag. Herne-Wanne ist als einziger Privathafen entsprechend ausgestattet. Ferner besitzen einige Häfen wie z.B. Münster gar keine oder nur eine unzureichend ausgebaute Infrastruktur für eine Umladung auf die Schiene bzw. Straße.

Nicht zuletzt hängt die Entwicklung des Verkehrsträgers Binnenschiff von einer Reihe weiterer äußerer Faktoren ab. Der fortlaufende Strukturwandel im Ruhrgebiet, die langzeitlichen Auswirkungen der EU-Osterweiterung, die kürzlich eingeführte Lkw-Maut, die Entwicklung der Energiepreise sowie die zukünftige Subventionierung der Binnenschifffahrt durch Bund und Länder sind Variablen, deren positive wie negative Einflüsse auf die nationale und damit verbunden die westfälische Binnenschifffahrt heute noch nicht absehbar sind.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007