Entwicklungstendenzen des mittelzentralen Einzelhandels in Westfalen

01.01.2008 Christian Krajewski

Kategorie: Wirtschaft

Schlagworte: Westfalen · Mittelzentrum · Einzelhandel

weiterer Autor: Sven Schulte

Die Einzelhandelslandschaft ist in den letzten Jahren grundlegenden strukturellen Veränderungen unterworfen, welche auch die Entwicklung der Grund- und Mittelzentren in Westfalen prägen. Dabei zeichnet sich der interne Strukturwandel des Handels durch unterschiedliche Merkmale aus, die sich besonders auf die traditionellen innerstädtischen Einzelhandelsstandorte auswirken und diese mit diversen Problemen konfrontieren. Diese Situation wird häufig schlagwortartig als "Innenstadtverödung", "Banalisierung des Angebots" oder gar als "Krise der Innenstadt" charakterisiert. Als Indikatoren dieser Entwicklung sind neben städtebaulichen Missständen oder Fehlentwicklungen vor allem strukturelle Funktionsverluste zu identifizieren. Neben einer Zunahme des großflächigen Einzelhandels in nicht-integrierten Lagen (zumeist auf so genannten "grünen Wiesen" im suburbanen Raum) sind ein steigender Filialisierungsgrad in den Innenstädten, eine häufig mit dem Betriebsformenwandel einhergehende Maßstabsvergrößerung, eine Abnahme der Konkurrenzfähigkeit des gewachsenen Facheinzelhandels sowie vermehrte Leerstände zu beobachten. Im Zusammenspiel dieser Aspekte ergibt sich letztlich häufig ein Qualitätsverlust der Hauptgeschäftsbereiche, der die zukünftige Innenstadtentwicklung vor neue Herausforderungen stellt.
Abb. 1: Veränderung der Einzelhandelsstruktur in Deutschland (Quellen: Ifo-Institut 2007, HDE 2007)

Die Ursachen für solche Entwicklungen sind vielschichtig und haben ihre Ursprünge sowohl auf der Anbieter- und der Nachfrageseite als auch auf der politisch-administrativen Ebene. Beispielsweise sind in den letzten Jahren auf der Nachfrageseite wesentliche Veränderungen des Kundenverhaltens wahrnehmbar. So wird neben dem reinen Versorgungseinkauf ebenso der Kauf von Waren des längerfristigen Bedarfs mittlerweile von einer gesteigerten räumlichen Flexibilität der Kunden geprägt. Zudem bestimmt die Fragmentierung der Lebensstile und Einkaufsmotive - zum Beispiel in Form der "Schnäppchenjagd" oder einer erhöhten Erlebnisorientierung - das Einkaufsverhalten. Die Gründe für diese Trends liegen vorwiegend im Anstieg der Realeinkommen, der gesteigerten räumlichen Mobilität aufgrund einer nahezu ubiquitären Motorisierung oder auch in dem anwachsenden Freizeitbudget des Einzelnen.

Einerseits als Reaktion hierauf, andererseits bedingt durch neue politische und ökonomische Rahmenbedingungen sind zugleich auf der Anbieterseite Veränderungen wahrnehmbar (Abb. 1). Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Verkaufsflächenexpansion im Einzelhandel zu, die trotz aktuell stagnierender Nachfrage deutlich vorangetrieben wird. Ursächlich hierfür sind nicht zuletzt Änderungen im Bereich der Betriebsformenstruktur zugunsten großflächiger Discounter oder Fachmärkte, die einen Rückgang des relativen Verkaufsflächenanteils des traditionellen Facheinzelhandels zur Folge haben. Darüber hinaus haben durch die Globalisierung vorangetriebene Trends wie eine Unternehmenskonzentration und die eng damit verknüpfte Internationalisierung und Filialisierung die Einzelhandelslandschaft und gleichzeitig die Geschäftsstrukturen wesentlich beeinflusst.

In der Konsequenz führen diese Tendenzen vielerorts, vor allem bedingt durch eine zunehmende Vereinheitlichung des Geschäftsbestandes, zu einer Austauschbarkeit des Angebotes, was einen Verlust der Einkaufsatmosphäre, des individuell-typischen innerstädtischen Flairs und letztlich des Alleinstellungsmerkmals mit sich bringt. Durch die verstärkte Herausbildung dezentraler Konkurrenzstandorte werden des Weiteren erhöhte Ansprüche an die innerstädtischen Geschäfts- und Immobilienstrukturen gestellt. Dies steht einer Neuansiedlung attraktiver Geschäftsbetreiber und Ankermieter im Wege und kann unter Umständen die Zunahme von Leerständen oder Mindernutzungen, etwa in Form so genannter Billigläden oder 1-€-Shops, zur Folge haben.

Als Reaktion der Kundschaft auf solche Missstände ist nicht selten eine Umorientierung auf höherrangige Zentren zu beobachten, da diese häufig ein vielfältigeres Angebot, eine vermeintlich ansprechendere Atmosphäre und einen gesteigerten Erlebniswert beim Einkauf bieten. Multifunktionale Shopping-Malls (s. Beitrag Heineberg) oder innerstädtische Einkaufspassagen entsprechen den Kundenwünschen häufig in weitaus größerem Maße als das oftmals als eintönig empfundene Angebot in Grund- und Mittelzentren. Im Zuge solcher Konkurrenzsituationen fällt es speziell den im ländlichen Raum gelegenen Grund- und Mittelzentren schwer, ansprechende Einzelhandelsstrukturen in den Innenstädten zu schaffen bzw. aufrecht zu erhalten, die eine angemessene Versorgung gewährleisten und zugleich über eine kunden- und kaufkraftbindende Attraktivität verfügen. Die Bemühungen zur Attraktivitätssteigerung dieser Orte münden dann häufig in der Ansiedlung von Filialbetrieben, eigenen kleineren Einkaufscentern oder Discountern - auch in nicht-integrierten Lagen, die dem Facheinzelhandel vor Ort zusätzliche Konkurrenz bereiten. Speziell für solche Zentren besteht somit die Gefahr, auf lange Sicht in eine Abwärtsspirale zu geraten.

Abb. 2: Entwicklung des Einzelhandelsumsatzes 2001-2005 in Westfalen (Quelle: A. Jenne 2006)

Unmittelbare Folgen für den innerstädtischen Einzelhandel sind dabei auch in der westfälischen Einzelhandelslandschaft und den dortigen Mittelzentren (und Grundzentren) vor allem rückläufige Kunden- und Umsatzzahlen (Abb. 2). Zudem sind häufig nachlassende Kaufkraftbindungsquoten - bezogen auf die lokale Bevölkerung - festzustellen, was eine verstärkte Umorientierung dieser Personengruppe auf alternative Einkaufsorte bedeutet. Da vielerorts gleichzeitig ein Anstieg des einzelhandelsrelevanten Kaufkraftpotenzials zu verzeichnen ist, sinkt als Konsequenz daraus die ortsspezifische Einzelhandelshandelszentralität ab, die als Maß für die Attraktivität eines Einkaufsstandortes anzusehen ist. Diese Tendenzen werden durch diverse Untersuchungen belegt (vgl. z. B. Jenne 2006).

Hinsichtlich einer regionalen Betrachtung ist festzuhalten, dass sich die Zentren mit überdurchschnittlichem Kaufkraftpotenzial in den vergangenen Jahren in der Region Bielefeld, im Bereich des Münsterlandes sowie - eingeschränkt - im südlichen Westfalen befanden (s. Beitrag Böhnisch). Zukünftig ist, wie schon die Entwicklungen der Kaufkraft für den Zeitraum 2001 bis 2005 belegen, eine Stabilisierung bzw. ein Anstieg der Kaufkraft im Umland Münsters und im nördlichen Sauerland zu erwarten, während für die Region Bielefeld und das nördliche Ruhrgebiet mit Kaufkraftverlusten zu rechnen ist.

Speziell auf die Mittelzentren bezogen fällt auf, dass für den Großteil der diesem Zentrentyp zugehörigen Städte der Einzelhandelsumsatz im Zeitraum 2001 bis 2005 sank (Abb. 2): Für 70% der insgesamt knapp über 100 westfälischen Mittelzentren sind rückläufige Werte zu verzeichnen. Für 30% belaufen sich diese auf mehr als 10%, so dass vor allem in diesen Städten erhebliche Umsatzeinbußen zu verzeichnen sind. Lediglich 28% aller Mittelzentren konnten eine positive Umsatzentwicklung vorweisen. Räumlich gesehen sind diesbezüglich zwar keine einheitlichen Trends auszumachen. Festzuhalten ist jedoch, dass zum Beispiel im Münsterland Umsatzsteigerungen nachzuweisen sind, während weite Teile des Ruhrgebietes und Ostwestfalens Negativtrends aufweisen. Vor allem die Mittelzentren in diesen Regionen sind besonders gefordert, um den angesprochenen Herausforderungen durch entsprechende Gegenstrategien zu begegnen.

Eine Ausrichtung entsprechender Maßnahmen sollte dabei zusätzlich der demographischen Entwicklung Rechnung tragen. Zwar ist es aufgrund der heterogenen Größenverteilung der Mittelzentren (von 9.500 Einwohnern in Barntrup bis zu 269.000 Einwohnern in Gelsenkirchen) schwierig, allgemeingültige Aussagen zu treffen, dennoch ist zu berücksichtigen, dass 46% der Mittelzentren im Zeitraum von 1995 bis 2005 auf eine negative Bevölkerungsentwicklung zurückblicken. Lediglich 9% können einen Bevölkerungszuwachs von mehr als 10% vorweisen. Für eine langfristig erfolgreiche Gestaltung der mittelzentralen Einzelhandelsplanung ist es daher unerlässlich, neben dem Strukturwandel im Einzelhandel auch die Konsequenzen möglicher demographischer Alterungs- und Entleerungsprozesse in zukünftige Anpassungs- oder Entwicklungsstrategien einzubinden.

In der Praxis bedeutet dies für die westfälischen Mittelzentren zusammenfassend, dass es von großer Bedeutung ist, Einzelhandelsstrukturen zu erhalten bzw. zu schaffen, die eine ausreichende Versorgung sichern und gleichzeitig mit einer angemessenen Ausstrahlungskraft ausgestattet sind, um die Konkurrenzfähigkeit des Standortes zu wahren. Wesentliche Ansatzpunkte sind neben der Anpassung der Produktpalette in der Etablierung einer umfassenden und den vielfältigen Konsumentenansprüchen entsprechenden Servicestruktur, einer städtebaulichen und architektonischen Aufwertung der Innenstädte (s. Beitrag Lücke), aber auch in der angemessenen Versorgung dezentral gelegener Stadtbereiche sowie den älteren Bevölkerungsgruppen zu sehen.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2008