Die Entstehung des westfälischen Eisenbahnnetzes bis 1885

01.01.2010 Lisa Tschorn

Kategorie: Verkehr

Schlagworte: Westfalen · Geschichte · Schienenverkehr

Inhalt

Mit der Inbetriebnahme der Köln-Mindener Eisenbahn begann 1847 auch in Westfalen das Eisenbahnzeitalter. In den folgenden Jahrzehnten kamen zahlreiche weitere Strecken hinzu und ließen ein dichtes Netz entstehen. Im rheinisch-westfälischen Industriegebiet wies es eine besonders dichte Struktur auf, während es nach Norden, Osten und Süden hin deutlich weitmaschiger geknüpft war.

Weite Teile dieses Streckennetzes werden noch heute von Zügen befahren, und mancher Reisende mag sich über die "undurchdachte" Streckenführung wundern, ohne sich der politischen, administrativen und wirtschaftlichen Interessen bewusst zu sein, die einst ihre Entstehung begleitet haben.

Ausgangslage

Bis zum Beginn des Eisenbahnzeitalters erfolgten Güter- und Personentransport zu Land durch (Pferde-)Fuhrwerke und zum Teil über Wasserwege. Reichweite und Ladekapazitäten der Fuhrwerke waren jedoch begrenzt. Auch der am Ende des 18. Jh.s aufkommende staatliche Chausseenbau erhöhte lediglich die Geschwindigkeit, nicht aber die Kapazitäten der Fuhrwerke. Daher wurde es immer schwieriger, den steigenden Bedarf an Ruhrkohle, v. a. im bergischmärkischen Textil und Eisen verarbeitenden Gewerbe, zu befriedigen. Auch wegen der Beschränkung der Handelsschifffahrt durch die niederländischen Durchgangszölle auf dem Rhein blieb der Landweg konkurrenzlos (Steitz 1984, S. 309).

Abb. 1: Das westfälische Eisenbahnnetz am 31.12.1882 (Entwurf: Chr. Hübschen, Quelle: Eigene Erhebungen)

Anfänge der Netzentwicklung

In den 1820er Jahren entstanden erste Pläne, eine direkte Verbindung zwischen Rhein und Weser herzustellen und so die Zölle zu umgehen. Einer der bedeutendsten Befürworter dieser Verbindung, die zunächst als Wasserweg angedacht war, war der bergische Politiker und Unternehmer Friedrich Harkort. Er konkretisierte die zunächst noch vagen Pläne im Jahr 1833 in seiner Denkschrift "Die Eisenbahn von Minden nach Cölln" durch Vorschläge zur Streckenführung und Finanzierung (Steitz 1988, S. 319). Aufgegriffen wurden seine Pläne durch die 1836 gegründete und 1837 konzessionierte Rhein-Weser-AG, die eine Eisenbahnlinie von Minden über Bielefeld – Gütersloh – Lippstadt – Soest – Unna – Hörde – Hagen – Elberfeld nach Köln realisieren wollte. Der preußische Staat zeigte jedoch kein Interesse, sich finanziell zu beteiligen, und das Projekt scheiterte schließlich mangels Kapital.

Aufkommende Eisenbahnpläne in den deutschen Nachbarstaaten brachten Preußen in Zugzwang, die Kosten für Vorarbeiten sowie Zinsgarantien zu übernehmen. Damit konnte das Rhein-Weser-Projekt schließlich durch die 1843 gegründete Köln-Mindener Eisenbahn (KME) begonnen werden. Die Strecke folgte von Köln über Düsseldorf bis Duisburg der Rheinischen Tiefebene und schwenkte dann nach Osten in die Lippeniederung weiter durch das südöstliche Münsterland in Richtung Teutoburger Wald. Während Deutz, Minden, Dortmund und Bielefeld als Fixpunkte feststanden, war der kleinräumige Verlauf bis zum ersten Spatenstich im Frühjahr 1844 noch ungeklärt.

Die Strecke umging aus Kostengründen den bergisch-märkischen Raum und das damalige Zentrum des Ruhrkohlenbergbaus nordwärts. Um dies zu kompensieren, wurde die Bergisch-Märkische Eisenbahn (BME) gegründet, deren Keimzelle die Strecke Düsseldorf – Elberfeld war (die 1838 eröffnete Strecke war die erste Eisenbahnstrecke in den preußischen Westprovinzen), die sie über Hagen und Witten nach Dortmund weiterführte (Hübschen 1999, S. 5). Bedingt durch das bergige Terrain fielen die Baukosten deutlich höher als erwartet aus, so dass der preußische Staat gezwungen war, in erheblichem Maße Kapital beizusteuern und 1850 schließlich die Geschäftsführung der weiterhin privatwirtschaftlich betriebenen Gesellschaft unter staatliche Kontrolle stellte.

Auch die bereits 1845 konzessionierte Köln-Minden-Thüringer Verbindungsbahngesellschaft wurde nach ihrem Konkurs 1848 als Westfälische Eisenbahn (WE) vom Staat übernommen, da diese an dem Versuch gescheitert war, den ersten Tunnelbau Westfalens zu realisieren. Die WE schuf schließlich mit der tunnelfreien Hellwegstrecke über Hamm nach Lippstadt und weiter über Paderborn und Warburg 1853 zur hessischen Landesgrenze die Anknüpfung an die hessisch-thüringische Bahn in Richtung Kassel.

In den nächsten Jahren trug auch weiterhin die KME, die 1862 mit der Köln-Gießener Bahn (mit Abzweig nach Siegen) und 1874 mit der Hamburg-Venloer Bahn zwei weitere für Westfalen bis heute bedeutsame Magistralen eröffnete, zum Netzausbau bei. Weitere wichtige Verbindungen schufen die WE, die mit der Übernahme der Hannoverschen Westbahn Rheine – Emden ihr Netz ebenfalls bis an die Nordsee ausdehnte, und die für die innere Erschließung des Ruhrkohlengebietes enorm wichtige Bergisch-Märkische Eisenbahn (BME), die von Hagen aus auch nach Siegen und durch das Ruhrtal nach Kassel vorstieß.

Die Grundstruktur des westfälischen Eisenbahnnetzes wurde weitgehend von der Köln-Mindener Eisenbahn, der Westfälischen Eisenbahn und der Bergisch- Märkischen Eisenbahn geprägt. Ende der 1870er Jahre existierte so ein Nebeneinander staatlicher, teilstaatlicher und privater Eisenbahnen, die sich jedoch gleichermaßen renditeorientiert verhielten (Klee 2001, S. 54).

Verstaatlichung

Mit der 1873 hereinbrechenden ersten Gründerkrise zeichneten sich zunehmend die strukturellen Probleme des Mischsystems zwischen privaten und staatlichen Eisenbahnen ab: Die Konkurrenz der Bahngesellschaften hatte v. a. im Ruhrkohlenrevier ein zunehmend unübersehbares Gewirr von unterschiedlichen, teils parallel verlaufenden, aber unzureichend verknüpften Strecken, Tarifen und technischen Standards entstehen lassen. In Eisenbahnknotenpunkten wie Dortmund verfügte jede Gesellschaft über ihren eigenen Bahnhof.

Gleichzeitig hatten die Kriege von 1866 und 1871 das strategische Potenzial der Eisenbahn als leistungsfähiges Massentransportmittel aufgezeigt. Zu dem erzielten die Eisenbahngesellschaften in zwischen lukrative Gewinne. Der preußische Ministerpräsident Bismarck bemühte sich daher um eine Verstaatlichung aller Eisenbahngesellschaften. Die Konkurse der Gründerzeit, Börsenschwindel und Missstände in der Geschäftsführung einzelner Eisenbahnunternehmen begünstigten dieses Vorhaben. Im Jahr 1879 wurde die Verstaatlichung gesetzlich geregelt und durchgesetzt (Steitz 1984, S. 318). Bis 1885 gingen daher die meisten privaten Eisenbahngesellschaften in staatlichen Besitz über. Die von Bismarck ebenfalls angestrebte Schaffung einer einheitlichen Reichseisenbahn scheiterte allerdings am Widerstand der anderen deutschen Staaten.

Aufbauend auf die bis 1885 entstandene Grundstruktur ging es in der Folgezeit um Ausbau und bessere Verbindung der Strecken. Im Ruhrkohlenrevier lag der Schwerpunkt dagegen auf dem planmäßigen Aus- und Umbau des oft ungeordnet gewachsenen Netzes (s. Beitrag Hübschen).

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Weiterführende Literatur/Quellen