Die Europawahl 2019 in Nordrhein-Westfalen

17.06.2019 Meinolf Rohleder

Inhalt

Vom 23. bis 26. Mai 2019 fand die Wahl für die neunte Wahlperiode des Europaparlaments in den 28 Staaten der Europäischen Union (EU) statt. Wie in den meisten EU-Staaten war auch in Deutschland der 26. Mai (Sonntag) Wahltag. Insgesamt waren rund 400 Mio. EU-Bürger/innen ab 18 Jahre wahlberechtigt. Damit ist diese Wahl die zweitgrößte der Welt nach den Parlamentswahlen in Indien.

Von den 751 Sitzen im EU-Parlament stellt Deutschland 96 direkt gewählte Abgeordnete. Gewählt wird nach dem Verhältniswahlrecht auf der Grundlage der von den Parteien in den einzelnen Mitgliedsstaaten aufgestellten nationalen oder regionalen Lis­ten. In Deutschland legten nur CDU/CSU Landeslisten für die 16 Länder der Bundesrepublik Deutschland vor (CSU nur in Bayern). Die 62 Mio. Wahlberechtigten in Deutschland konnten sich zwischen 40 Wahlvorschlägen entscheiden; der Stimmzettel war 94 cm lang.

Bei der Wahl 2019 traten alle im EU-Parlament vertretenen deutschen Parteien erneut zur Wahl an, darunter auch die sieben "Kleinstparteien", die jeweils mit nur einem Sitz vertreten waren. In manchen Bundesländern wurden zeitgleich Kommunalwahlen abgehalten, im Land Bremen fand parallel die Bürgerschaftswahl statt.

Über die jeweiligen Listen der Wahlvorschläge stimmten die Parteien z.T. bereits gegen Ende des Jahres 2018 ab. Dabei dominierten in der Regel die bisherigen Mandatsträger im EU-Parlament, mit einer sehr prominenten Ausnahme: Der langjährige außenpolitische Experte der EVP-Fraktion Elmar Brok aus Bielefeld konnte sich auf der CDU-Landesliste NRW nicht mehr durchsetzen.

Abb. 1: Europawahl 2009, 2014, 2019 – Wahlbeteiligung in EU, D, NRW (Quelle: Bundeswahlleiter 2019)

Europawahl 2019 mit überragender Bedeutung

In der Vergangenheit wurden die Wahlen zum Europaparlament häufig als "Wahlen zweiter Ordnung" oder als "Testwahlen" vor oder nach Bundes- oder Landtagswahlen charakterisiert. Das war in den Monaten vor der Wahl 2019 völlig anders. Einerseits beherrschte der angekündigte Austritt Großbritanniens aus der EU ("Brexit") noch bis kurz vor dem Wahltermin die Debatten. Andererseits hatten bei nationalen Wahlen nach 2014 populistisch orientierte Parteien und europaskeptische Gruppierungen vorwiegend am rechten Rand des Parteienspektrums weiterhin Erfolge erzielt. Eine Woche vor der Wahl erschütterte die Regierungskrise in Österreich zusätzlich das politische Geschehen.

In Deutschland konnte die AfD nach 2014, als diese neue Partei sieben Abgeordnete ins EU-Parlament entsandte, in fast alle Landtage und den Bundestag einziehen – trotz zahlreicher innerparteilicher Kontroversen. Wegen der politischen Situation in vielen Ländern der EU, einer veränderten globalen Lage und der Migrations- bzw. Flüchtlingsproblematik sowie einer Veränderung des traditionellen Parteienspektrums durch das Aufkommen neuer Gruppierungen (z.B. in Frankreich) wurde mit einer beschleunigten Zersplitterung der Parteienlandschaft im EU-Parlament sowie einem Rechtsruck gerechnet.

Im Gegensatz zu den Aussagen zahlreicher EU-Skeptiker war in Deutschland früh eine Pro-Europa-Stimmung festzustellen. 2016 gründete sich in Frankfurt die Bewegung "Pulse of Europe", die bis zum Wahltermin fortlaufend eine "überparteiliche Straßenmobilisierung" (Leggewie 2018, S.10) mit viel Fantasie organisierte – im Wesentlichen getragen von jungen Leuten.

Abb. 2: Europawahl 2014 und 2019 – Ergebnisse für Deutschland und Nordrhein-Westfalen (Quelle: Bundeswahlleiter 2019)

Personalisierung des Wahlkampfs

Anders als 2014 (s. Beitrag Rohleder) gab es eine stärkere Personalisierung des Wahlkampfes. Das lag nicht zuletzt daran, dass die Parteien – sowohl auf der nationalen als auch europäischen Ebene – bewusst "Spitzenkandidaten" oder ein "Spitzenduo" benannten. Obwohl viele der aufgestellten Wahlbewerber gerade bei CDU und SPD ein weiteres Mal kandidierten und sich dabei gerne regional verankert sehen, wurde erneut eine Möglichkeit verpasst, das EU-Parlament über dessen Abgeordnete konkreter erfahrbar zu machen. Sog. EU-Wahlarenen, wie etwa in Münster Anfang April, vermochten diese Lücke nur ansatzweise zu schließen. Stattdessen traten die Spitzenkandidaten/innen erneut zu Fernsehduellen, z.T. in transnationalen Sendungen, auf. Zudem wurden die üblichen Formen des Wahlkampfes wie Spots in den Medien, Infostände und Plakatierung eingesetzt. Programmatische Aussagen blieben dabei allerdings eher im Hintergrund. Wesentliche Aspekte für die Bürger waren die Klima- und Unweltpolitik, Soziale Sicherung, Friedenspolitik und die Zukunft der EU im Kontext mit dem Brexit. In Deutschland wurde die EU von einer breiten Mehrheit generell positiv beurteilt.

Abb. 3: Europawahl 2019 – Mehrheiten und Wechsel in den Kreisen/kreisfreien Städten, Wohnorte der gewählten Abgeordneten in NRW (Quelle: Bundeswahlleiter 2019)

Die Ergebnisse

Die Wahlbeteiligung stieg in Deutschland insgesamt und ebenso in allen kreisfreien Städten und Landkreisen gegenüber 2014 erheblich an. Sie erhöhte sich in NRW um rd. 9%-Punkte auf 61,4% und entsprach damit exakt dem Bundesdurchschnitt. In Müns­ter wurde mit 73,7% bundesweit die zweithöchste Wahlbeteiligung erreicht. Alle vier Münsterlandkreise konnten einen Wähleranteil von über 65% verzeichnen. Die niedrigsten Quoten in Westfalen wiesen die beiden Großstädte Gelsenkirchen mit 51,3% und Herne mit 53,7% auf. Abbildung 1 zeigt eine Übersicht der Wahlbeteiligung in NRW, Deutschland und der EU bei den vergangenen drei Europawahlen.

Hinsichtlich der Parteipräferenzen gab es in NRW wie in Deutschland insgesamt massive Veränderungen. Trotz großer Verluste, teilweise im zweistelligen Bereich, erhielt die CDU/CSU sowohl auf Bundesebene (28,9%) als auch in NRW (27,9%) wie bereits 2014 die meisten Stimmen. Allerdings veränderte sich die weitere Rangfolge grundlegend: Die GRÜNEN wurden 2019 zum ersten Mal bei einer deutschlandweiten Wahl mit Anteilen von 20,5% im Bund bzw. 23,2% in NRW zweite politische Kraft (Abb. 2). Die CDU hingegen erreichte auch in ihren traditionellen Hochburgen, den Kreisen Borken, Höxter, Olpe und im Hochsauerlandkreis, lediglich noch eine relative Mehrheit. Die SPD verlor sogar dramatisch mit z.T. zweistelligen Stimmenverlusten. In keinem Kreis und keiner kreisfreien Stadt NRWs konnten weder CDU noch SPD eine absolute Stimmenmehrheit erringen.

Den vierten Platz in der Rangfolge nahm NRW-weit die AfD vor einer relativ stabilen FDP und der LINKEN ein (Abb. 2).

Zu diesen sechs Parteien gesellten sich sieben kleinere Gruppierungen, u.a. Die PARTEI (2,3%), gefolgt von der Tierschutzpartei (1,5%). Die PIRATEN, in vorangegangenen Wahlen erfolgreich, fielen in NRW auf 0,7% zurück.

Auch bei dieser Wahl profitierten die "kleinen" Parteien vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2014 (Wegfall der "Drei-Prozent-Hürde") und können aufgrund ihres Abschneidens auf Bundesebene jeweils zwei bzw. einen Vertreter in das Europäische Parlament entsenden.

Gewählte Bewerber/innen

Gewählt wurden insgesamt 19 Bewerber/innen aus NRW: CDU 6, GRÜNE und SPD je 4, AfD 2, FDP, LINKE und FAMLIE je 1 (Abb. 3). Der Landesteil Westfalen stellt mit sieben EU-Parlamentariern nicht einmal die Hälfte. Vier davon kommen aus dem Regierungsbezirk Arnsberg, drei aus dem Regierungsbezirk Münster. Ostwestfalen-Lippe ist dagegen nicht mehr vertreten. Für Westfalen bedeutet das eine erhebliche Schwächung der Präsenz im EU-Parlament.

In der neuen Legislaturperiode bedarf es vor dem Hintergrund der Brexit-Entscheidung und den möglicherweise global stärker werdenden ökonomischen Auseinandersetzungen vor allem eines intensiven Zusammenhalts der EU-Mitgliedstaaten.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2019