Die Europawahl 2024 in Westfalen
Am 9. Juni 2024 fand bundesweit die Abstimmung für die zehnte Wahlperiode des Europäischen Parlamentes statt. Zum ersten Mal waren hierbei in Deutschland auch Jugendliche ab 16 Jahren wahlberechtigt. EU-weit durften insgesamt rd. 380 Mio. Menschen aus 27 Nationen an der Europawahl teilnehmen.
Die Wahl fand in sehr unruhigen Zeiten statt: Im Februar 2022 begann Russland einen Krieg gegen die Ukraine, der bis heute andauert und dessen Folgen für Europa noch nicht abzuschätzen sind. Der Krieg beeinflusste in erheblichem Maße die wirtschaftspolitische Entwicklung im europäischen Raum. Zudem flammte ein weiterer Konfliktherd im Nahen Osten wieder auf, nachdem im Oktober 2023 Terroristen aus dem Gazastreifen grenznahe Gebiete Israels überfielen, was die Zerstörung großer Teile des Gazastreifens durch Israel zur Folge hatte. Auch dieser Konflikt schlug sich im gesellschaftspolitischen Diskurs innerhalb Europas nieder.
Insbesondere die neuen Flüchtlingsströme aus der Ukraine (s. Beitrag Wittkampf) sowie die bestehende Migration aus Nordafrika und dem Mittleren Osten nach Europa beeinflussten laut Einschätzung zahlreicher Expertinnen und Experten der Politikwissenschaft nicht nur den Wahlkampf, sondern bestimmten auch den Ausgang der Europawahl 2024 entscheidend mit.
Wahlrechtlicher Rahmen
Von den 720 Sitzen im EU-Parlament steht den einzelnen Staaten gemäß der Bevölkerungszahl ein entsprechender Anteil zu. Das bedeutet für Deutschland 96 Sitze (zum Vergleich: Frankreich: 81 Sitze, Italien: 76, Spanien: 61, ... Luxemburg, Zypern und Malta: je 6 Sitze).
Gewählt werden keine Direktmandate in einzelnen Wahlbezirken, sondern Listen nach dem Verhältniswahlrecht. Insgesamt wurden in Deutschland 34 Parteien und Wählergruppen zur Europawahl 2024 zugelassen. Dabei stellen die Parteien in der Regel auf Wahlparteitagen Bundeslisten auf – mit Ausnahme der CDU/CSU, die für jedes der 16 Bundesländer eine eigene Liste zusammenstellen; die CSU ausschließlich in Bayern, die CDU jeweils für alle weiteren Bundesländer. So umfasste beispielsweise die NRW-Liste der CDU 18, die Bundesliste der SPD 96 Bewerberinnen und Bewerber. Kleinere Parteien dagegen können naturgemäß nicht so viele Kandidierende rekrutieren. Insgesamt stellten sich 2024 bundesweit 1.413 Personen zur Wahl. 486, also gut ein Drittel davon, waren Frauen (Bundeswahlleiterin 2024a).
Eine Sperrklausel, beispielsweise die "5-Prozent-Hürde" wie bei anderen Wahlen in Deutschland, existiert bei der Europawahl nicht. Somit können auch die kleineren Parteien bei einem Stimmenanteil von mindestens 1,04% einen Sitz im EU-Parlament erhalten.
Wahlbeteiligung
Abbildung 1 zeigt die Wahlbeteiligungen bei den Europawahlen in den Jahren 2009, 2014, 2019 und 2024 – jeweils in der EU, Deutschland und Nordrhein-Westfalen. Sowohl deutschlandweit als auch in NRW gingen 2024 wesentlich mehr Menschen zur Wahlurne als bei den vorangegangenen Abstimmungen. Die Wahlbeteiligung hierzulande lag auch 2024 weit über dem EU-Durchschnitt.
Bei der Betrachtung der Wahlbeteiligung in den westfälischen Kreisen und kreisfreien Städten (Abb. 2) fällt auf, dass das Oberzentrum Münster 2024 mit 74,3% einmal mehr den (NRW-weit) höchsten Wert aufwies. Im Gegensatz dazu gingen in Gelsenkirchen lediglich 52,3% aller Berechtigten zur Wahl, was – zum wiederholten Mal – die niedrigste Beteiligungsquote in ganz NRW bedeutet. Auf Kreisebene schwanken die Wahlbeteiligungen zwischen 72,2% Kreis Coesfeld und 58,6% im Märkischen Kreis (Abb. 2).
Diese Schwankungen werden bei kleinräumiger Betrachtung noch gravierender: Schaut man z.B. im Fall von Gelsenkirchen auf die dortigen Wahlbezirke, so gibt es hier einige, in denen die Wahlbeteiligung 2024 weit unter dem städtischen Durchschnitt lag. Die "Schlusslichter" bildeten mit lediglich 15,4%, 18,5% und 21,9% drei Wahlbezirke, die allesamt in Gelsenkirchen-Mitte liegen. Damit ist es nicht verwunderlich, dass auch der gesamte Stadtbezirk bei der Wahlbeteiligung mit 48,3% am schlechtesten abschnitt.
In solchen Stadtvierteln bzw. Quartieren spiegelt die geringe Wahlbeteiligung das politische Desinteresse, aber auch die Unzufriedenheit der dortigen Bevölkerung wider – eine Herausforderung, der sich nicht zuletzt die kommunale Politik stellen muss.
Wahlausgang
Zugewinne bei den konservativen und vor allem bei rechtspopulistischen Parteien, herbe Verluste bei den Grünen und Liberalen – so lässt sich das Ergebnis der Wahl 2024 auf europäischer Ebene grob zusammenfassen. Dies trifft im Wesentlichen (abgesehen vom Abschneiden der FDP) auch auf den Wahlausgang in Deutschalnd und ebenfalls in Westfalen zu. Bundesweit legte die CDU im Vergleich zu 2019 geringfügig zu (+1,1 %-punkte). Verlierer sind die Grünen, die mit -8,6 %-punkten die größten Verluste hinnehmen mussten. Die SPD erreichte das niedrigste Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl (13,9%). Trotz der zahlreichen Auseinandersetzungen mit der AfD wurde diese in Deutschland zur zweitstärksten politischen Kraft (15,9%).
In Westfalen erreichte die CDU in allen Kreisen bzw. kreisfreien Städten die meisten Wählerinnen und Wähler – nur nicht in Münster, wo die Grünen die Mehrheit der Stimmen erhielten. Ansonsten belegten stets SPD, AfD oder die Grünen den jeweils zweiten bzw. dritten Rang (Abb. 3). Die AfD erzielte ihr schlechtestes Wahlergebnis in Münster (4,8%), ihr bestes mit 21,7% in Gelsenkirchen (Abb. 4). Aus dem Stand wurde das kurz zuvor gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zu einer neuen Kraft, lag – außer in Münster – stets vor der Partei Die Linken und erhielt auf Kreisebene insgesamt fünf Mal mehr als 6% (Abb. 4). Die Linke kam in Westfalen auf Kreisebene nicht über 4,2% (in Bielefeld) hinaus. Die FDP erreichte in den meisten Teilregionen Westfalens mehr als 5% und insgesamt sechs Mal über 6% (Abb. 4).
Die Hochburgen ausgewählter Parteien werden in Abbildung 4 auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte Westfalens dargestellt. Demnach ist die CDU traditionell in Teilen Ost- und Südwestfalens (höchster Stimmenanteil im Kreis Olpe mit 49,8%) sowie im Westmünsterland (Kr. Coesfeld u. Borken) am stärksten vertreten. Die SPD konnte die meisten ihrer Wählerinnen und Wähler in Herne gewinnen (23,9%), die AfD in Gelsenkirchen (s.o.). Bei den Grünen war dies, wie bereits erwähnt, in Münster der Fall, der einzigen Großstadt, in der sich die Partei über eine relative Mehrheit freuen durfte. Die absolute Mehrheit in einem westfälischen Kreis oder einer kreisfreien Stadt hat bei der Europawahl 2024 keine Partei erreicht.
Aus Westfalen konnten insgesamt sechs Kandidierende (zwei Frauen, vier Männer) einen Sitz im neuen EU-Parlament gewinnen (Abb. 3) – einen Sitz weniger als noch fünf Jahre zuvor (s. Beitrag Rohleder).
Weiterführende Literatur/Quellen
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Bundeswahlleiterin (Hg.) (2024a): Europawahl 2024. Parteien und Kandidaturen.
(https://www.bundeswahlleiterin.de/europawahlen/2024/wahlbewerber.html) -
Bundeswahlleiterin (Hg.) (2024b): Europawahl 2024. Ergebnisse.
(https://www.bundeswahlleiterin.de/europawahlen/2024/ergebnisse.html) -
Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.) (2024): Ergebnisse der Europawahl 2024.
(https://www.bpb.de/kurz-knapp/taegliche-dosis-politik/549344/ergebnisse-der-europawahl-2024) -
Landeswahlleiterin des Landes NRW (Hg.) (2024): Europawahl 2024. Endgültige Ergebnisse in NRW. Heft 3. Düsseldorf
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Münstersche Zeitung, 13.05.2024: "Wer löst das Ticket nach Europa?"
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Münstersche Zeitung, 05.06.2024: "Große Chancen für kleine Parteien"
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Rohleder, M. (2019): Die Europawahl 2019 in Nordrhein-Westfalen.
(https://www.westfalen-regional.de/de/europawahl_2019_i) -
Westfalenspiegel, Heft 3/2024, S. 28–30: "Jugend wählt Europa"
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https://www.westfalen-regional.de/de/ukraine_gefluechtete
Erstveröffentlichung 2024