Findlinge, die man in der geologischen Fachsprache auch "erratische Blöcke" oder "Großgeschiebe" nennt, sind in Westfalen vielerorts zu finden. Zu den bekanntesten Findlingen im westfälischen Raum zählen der "Große Stein" von Tonnenheide nahe Rahden, der mit einem Gewicht von 271,3 t und einem Volumen von 102,4 m3 zugleich der größte Findling Westfalens ist, der "Große Johannisstein" in Lage bei Detmold (103,6 t/39,1 m3) und das "Holtwicker Ei" (28,3 t/10,8 m3) (Speetzen 1998).
Wie die Findlinge nach Westfalen kamen
Die großen, isoliert in der Landschaft auftretenden Findlinge haben die menschliche Phantasie immer wieder angeregt und schon früh zu mancherlei Spekulationen geführt. So sind um diese Findlinge zahlreiche Sagen entstanden, in denen oftmals der Teufel als Inbegriff des Bösen für den Transport oder die lokale Anhäufung dieser Blöcke verantwortlich gemacht wird (Wegner 1921). Ein Beispiel: "Holt wiek oder ik smiet, rief der Teufel aus, als das Christentum ins Münsterland kam und auch in unserer Gegend mit dem Bau von Kirchen begonnen wurde. Der Teufel glaubte, durch Steinwürfe die Kirchenbauten zertrümmern zu müssen, um dem Christentum Einhalt gewähren zu können. Ein gewaltiger Block musste es nur sein, wenn er seine Absicht erreichen wollte. Schwer drückte ihn die Last des Steinbrockens, den er im Ärmel trug. Jetzt hinderte ihn gar ein alter Eichenwald, als er von Norden kommend das Kirchlein unseres Ortes sah. Über den Wald hinwegzufliegen hinderte ihn das Gewicht des Steines. Deshalb versuchte er, das Kirchlein aus der Ferne zu treffen. Er setzte zum Wurf an, jedoch der Stein flog nicht weit. Mit großer Wucht schlug er tief in den Boden ein. Heute noch liegt er hier und wird dies auch noch lange Jahre hindurch tun. Der Ort aber, an dem der Stein niedergefallen war, hat den Namen Holtwick erhalten" (Heimatverein Holtwick 1992).
Soweit eine, vielleicht die schönste der zahlreichen Sagen um diesen Stein. Auf welche Weise sind die Findlinge nun aber tatsächlich auch in den westfälischen Raum gelangt?
Bis Anfang des 19. Jh.s galten die zum Teil riesigen Blöcke bei vielen Forschern als Zeugen der Sintflut. Der Schweizer Louis Bourguet sah um 1740 die Findlinge des Alpenvorlands als vom Himmel gefallene Steine an. Sein Landsmann J. A. de Luc hielt sie 1779 für vulkanische Auswürflinge. Der deutsche Geologe Leopold von Buch betrachtete 1811 große Blöcke als das Resultat urplötzlicher, gigantischer Sturzfluten, die unter den Alpen hervorgebrochen seien. Er übertrug diese Deutung auf die Findlinge im norddeutschen Tiefland. Johann Wolfgang von Goethe glaubte 1828, die Erratica seien bodenständige Trümmer ehemaliger Felsmassen. Erst als der schwedische Geologe Otto Torell im Jahr 1875 in der Nähe von Berlin Gletscherschrammen auf den Geschiebeblöcken entdeckte und damit der Inlandeistheorie zum Durchbruch verhalf, wurde das Rätsel um die Findlinge endgültig gelöst. Findlinge sind demnach eiszeitliche (glaziale) Ablagerungen, die durch Inlandeis- oder Gletscherströme an ihre gegenwärtigen Positionen transportiert wurden.
Die Findlinge Westfalens sind während der vorletzten großen Vereisungsperiode in Nordeuropa, der Saale-Eiszeit (vor 240.000 - 125.000 Jahren), an ihre Ablagerungsstellen verdriftet worden. Während der Saale-Vereisung erfolgte der weiteste Vorstoß der Eismassen in Westfalen in südlicher Richtung; und zwar im Drenthe-Stadium. Dabei erreichte das Inlandeis etwa die Linie Düsseldorf - Dortmund - Paderborn (s. Beitrag Liedtke). Diese ist damit zugleich die südlichste Grenze der glazialen Verbreitung der Findlinge in Westfalen (Abb. 2).
Die Inlandeismassen aus Skandinavien überfuhren den Untergrund und hobelten ihn dabei zum Teil ab. Auf diese Weise nahmen sie viele der oberflächlich anstehenden Gesteine unterschiedlichster Zusammensetzung und Größe in sich auf und transportierten diese nach Süden. Als das in unserer Region zeitweise mehr als 300 Meter mächtige Eis schließlich mit dem Anstieg der Temperaturen am Ende der verschiedenen Vereisungsphasen niedertaute, lagerte sich jeweils das mitgeführte Gesteinsmaterial samt der darin enthaltenen Findlinge als Grundmoränendecke ab. Bei den Großgeschieben nordischer (fennoskandischer) Herkunft handelt es sich überwiegend um kristalline Gesteine aus den Gruppen der Magmatite und Metamorphite; nordische Sedimentgesteine sind demgegenüber relativ selten. Unter den Findlingen treten besonders oft Granite auf. Es kommen aber auch Pegmatite, Porphyre und Gneise vor. Nur wenige erratische Blöcke wurden bis dato als Leitgeschiebe bezeichnet. Leitgeschiebe sind eiszeitlich verfrachtete und in Moränen abgelagerte Steine und Blöcke mit gut bekanntem und eng begrenztem Herkunftsgebiet, das Rückschlüsse über die Strömungsrichtung des Inlandeises oder Gletschers ermöglicht. Während sich die Wissenschaftler bei der Bestimmung des Ursprungsgebietes beispielsweise des "Holtwicker Eis" und des in zwei Teile zerbrochenen Blockes von Averfehrden ("David und Goliath") uneinig sind (Abb. 3), wurde der "Große Stein" von Tonnenheide bisher unstrittig als Leitgeschiebe identifiziert. Nach Schallreuter (1987) handelt es sich hierbei um mittelschwedischen Uppsala-Granit.
Die aus dem Norden vorrückenden saalezeitlichen Eismassen brachen aber nicht nur in Skandinavien Gesteine aus dem Untergrund heraus, sondern auch Gesteinsabfolgen der nordwestdeutschen Mittelgebirge (Wiehengebirge und Teutoburger Wald) und der nördlichen und zentralen Höhen der Westfälischen Bucht (Baumberge und Beckumer Berge). Diese werden in der Fachterminologie als einheimische Geschiebe bezeichnet. Die westfälischen Findlinge mit lokaler Herkunft bestehen ausnahmslos aus Sandsteinen (Abb. 2). Sowohl der "Dicke Stein" von Ahlen (62,8 t/28,6 m3) oder auch der Findling in Horstmar (44,7 t/20,3 m3) sind hierfür eindrucksvolle Beispiele. Einzelne dieser Sandsteinfindlinge haben den Charakter lokaler Leitgeschiebe, da sich ihre Ursprungsgebiete genauer identifizieren ließen.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Holtwicker Heimatverein (1992): Holtwicker Dagblatt. Holtwick | |
• | Otto, K.-H. (2004): Der Kreis Borken - Lage und Naturraum. In: Heineberg, H. und K. Temlitz (Hg.): Städte und Gemeinden in Westfalen, Band 9. Münster, S. 1-40 | |
• | Schallreuter, R. (1987): Geschiebekunde in Westfalen. In: Geol. Paläont. Westf., Nr. 7. Münster, S. 5-13 | |
• | Schleicher, L. (1995): Der "Gronauer Brocken". Größter Findling im Westmünsterland. In: Der Oberkreisdirektor, Borken (Hg.): Westmünsterland. Jahrbuch des Kreises Borken 1995. Borken, S. 59-66 | |
• | Speetzen, E. (1993): Großgeschiebe (Findlinge) in der Westfälischen Bucht und angrenzenden Gebieten und ihre Bedeutung für die Eisbewegung. In: Skupin, K., E. Speetzen und J. G. Zandstra (1993): Die Eiszeit in Nordwestdeutschland. Zur Vereisungsgeschichte der Westfälischen Bucht und angrenzender Gebiete. Krefeld, S. 34-42 | |
• | Speetzen, E. (1998): Findlinge in Nordrhein-Westfalen und angrenzenden Gebieten. Krefeld |
Erstveröffentlichung 2007