Das ''Heilige Meer'' – größter natürlicher See Westfalens

11.01.2016 Richard Pott

Eingebettet in die pleistozäne Sandlandschaft des nördlichen Kreises Steinfurt liegt das Naturschutzgebiet "Heiliges Meer", ein ungefähr 120 ha großes ehemaliges Heideland mit Waldresten, altem Kulturland, Wacholderbüschen, natürlichen Stillgewässern verschiedenen Alters und Vermoorungen unterschiedlicher Größe und Tiefe auf engstem Raum. Alle Gewässer dort sind aus Erdfällen oder Dolinen hervorgegangen und unterscheiden sich altersbedingt sowohl hinsichtlich ihrer Entwicklung, ihrer Pflanzen- und Tierwelt, aber auch in ihrer Trophie.

Das Gebiet gehört bereits zur norddeutschen Tiefebene, im Grenzbereich zur sog. "Ibbenbürener Karbonscholle". Hier befindet sich eine breite geologische Senkungszone mit kaum gefalteten Sand- und Tonsteinen sowie Konglomeraten und Kohleflözen des Karbon im tiefen Untergrund. Darüber liegen geschichtet Kalke, Mergel und Dolomite des Zechstein. Grundlage für die Entstehung der Dolinen im Gebiet bilden vor allem in unteren Horizontabschnitten der speziellen Münder-Mergel auftretende, mehrere Meter mächtige Anhydrit-Schichten und Steinsalzbänke. Diese wiederum sind vor Ort überdeckt von 30 bis 80 m mächtigen quartären Sandschichten mit organogenen Einlagerungen.

Abb. 1: Verlandungssukzession und Schwimmblattzone im NSG ''Heiliges Meer'' (Foto: R. Pott 1990)

Durch das Grundwasser werden die Salze gelöst und ausgewaschen. Es entstehen unterirdisch große Hohlräume, und – wenn das Deckgebirge dem Druck der pleistozänen Sandschichten nicht mehr standhält –, bricht dieses ein und der Sand rinnt – wie bei einer Eieruhr – in die neu entstandenen Kavernen. Dadurch entstehen an der Erdoberfläche zunächst flache, abflusslose Senken und letztendlich tiefe Dolinen als Einsturztrichter. Diese füllen sich sofort mit Grund- und Oberflächenwasser, und ein neuer See ist entstanden. So haben sich alle Gewässer im Gebiet dieser Senkungszone im Naturschutzgebiet "Heiliges Meer" gebildet.

Hier gibt es heute verschieden alte Erdfälle neben extrem nährstoffarmen (oligotrophen und dystrophen) Gewässern vielfältige Übergänge zu nährstoffschwachen (mesotrophen) und nährstoffreichen (eutrophen) Gewässertypen; es existieren sowohl perennierende als auch temporäre Stillgewässer. Diese Vielfalt der Gewässerformen und -typen geht zunächst auf unterschiedliche Sukzessionsphasen ihrer Verlandung zurück; sie beruhen auf natürlichen Vorgängen und sind vor allem vom Alter und besonders von der Größe und der Ufergestalt der Gewässer bestimmt (Abb. 1).

Seit 1991 werden kontinuierlich neben Stofffrachten, trockene und feuchte Depositionen, der Einfluss auf die Nährstoffsituation der Gewässer, aber auch die Wege der pflanzlichen Nähr- und Schadstoffe in die Seen gemessen; ferner werden die Grundbedingungen im Boden, im Grundwasser und im Oberflächenwasser erforscht, um die Interaktionen zwischen Pflanze, Boden, Wasser und Klima zu verstehen und um ein Langzeit-Monitoring in derartigen Gewässerökosystemen mit natürlichen, anthropogenen und vor allem landwirtschaftlich-industriellen Einflüssen zu dokumentieren (R. Pott 2000). Auf der Basis moderner paläoökologischer Untersuchungen mit sedimentchemischen Analysen, Absolutpollenanalysen, Diatomeenanalysen und 14C-Radiocarbondatierungen konnte das Alter des "Großen Heiligen Meeres" einigermaßen festgelegt werden: Es entstand als großer Erdfall während erster historischer Landnahmeprozesse in der Sachsenzeit zwischen 450 und 750 n. Chr. Heute hat der See einen Verlandungsbereich von etwa 13 ha und eine offene Wasserfläche von 7,3 ha. Es gilt als der größte natürliche See Westfalens!

Seit den 1930er Jahren wurde die Vegetationsentwicklung im Gebiet und vor allem am "Großen Heiligen Meer" außergewöhnlich gut dokumentiert. Den Pflanzengesellschaften ist hierbei ein hohes Maß an Indikatoreigenschaften für spezielle Trophiebedingungen zuzuschreiben, wobei einzelne Arten durchaus eine weite ökologische Amplitude aufweisen und an unterschiedlichen Standorten auftreten können. Die Gewässervegetation insgesamt reagiert dabei sehr kurzfristig auf den Wandel wichtiger Parameter (Abb. 2).

Abb. 2: Vergleich der Vegetationskarten des ''Großen Heiligen Meeres'' zwischen den Jahren 2000 und 2009 (Quelle: R. Pott 2009)

Die neuen Vegetationskarten wurden auf der Basis eines Ausschnitts der Luftbildkarte 1:1.000 vom Landesvermessungsamt NRW (heute: GEObasis.nrw) erstellt. Orientierung und Flächenmarkierungen während der Kartierung wurden durch GPS-Geräte gestützt, wobei Wegpunkte bei markanten, im Luftbild und Gelände leicht zu ortenden Stellen gesetzt und Vegetationsaufnahmeflächen gekennzeichnet wurden. Das Schilfröhricht (Scirpo-Phragmitetum) ist im Verlandungsbereich am See am weiträumigsten im Norden und Nordosten des Gewässers ausgeprägt. Am südlichen Gewässerrand fehlt es wegen der Steilufer fast vollständig, nur im Südosten befindet sich ein etwa 80 m langer und bis zu 15 m breiter Bestand, der jedoch partiell stark verbuscht ist. Insgesamt hat das Schilfröhricht in den letzten Jahren durch Bisamfraß deutlich an Fläche verloren. Die im Jahr 2000 beschriebenen artenärmeren Bestände am Westufer sind nur noch fragmentarisch vorhanden. Sie wurden sowohl am Westufer als auch großflächig in den anderen Bereichen durch ein Mosaik aus Weidenfaulbaumgebüsch (Frangulo-Salicetum) mit Scirpo-Phragmitetum ersetzt, das eine voranschreitende Verlandung anzeigt. Besonders am Nordufer zeigt sich eine sehr starke Überformung des Schilfröhrichts, bei der ein verstärkter Jungbaum-Aufwuchs von Schwarzerle (Alnus glutinosa), Grauweide (Salix cinerea) und Moorbirke (Betula pubescens) stattfindet. Auch von der Seeseite haben sich die Röhrichtflächen deutlich verkleinert, wie im Kartenvergleich zu erkennen ist.

Den Verlandungsprozess leiten normalerweise die Laichkrautgesellschaften des Potamogetonetum lucentis ein, wobei ihm in größeren Tiefen bei guter Durchlichtung des Wasserkörpers Armleuchteralgen (Characeae) vorgelagert sein können. Im See kommt diese Pflanzengesellschaft manchmal nur sporadisch vor und Tausendblatt-Bestände (Myriophyllum) bilden den größten Teil der tieferen submersen Vegetation. Im Juni 2015 konnten Regenerationen und sogar großflächige Ausweitungen dieser Bestände beobachtet werden, nachdem sie Ende der 1980er Jahre vor allem am Ostufer fast verschwunden waren. Als Gründe für den Rückgang wurden damals Pestizidbelastungen durch Stoffeinträge aus dem Umfeld verantwortlich gemacht. Die Naturschutzmaßnahmen der letzten Jahrzehnte waren offenbar sehr erfolgreich (R. Pott 2009).

Anschließend an den Myriophyllum- und Potamogeton-Gürtel befindet sich in großen Teilen des Sees ein Seerosenbestand vom Typ des Myriophyllo-Nupharetum (Abb. 2). Das Arteninventar dieser Gesellschaft schwankt je nach Standort und Dichte der Seerosendecke. Einige Bestände sind durch Dominanzen der Weißen Seerose (Nymphaea alba) und der Gelben Teichrose (Nuphar lutea) gekennzeichnet, andere, weniger dichte Vorkommen werden von üppiger Submersvegetation begleitet. Auffällig ist das fast vollständige Verschwinden des Wasserknöterichs (Polygonum amphibium f. natans) innerhalb der vergangenen 15 Jahre. Im Jahr 2015 konnten nur vereinzelte Individuen dieser Art im Süden des Gewässers aufgefunden werden. Diese Entwicklung könnte dem seit 1960 erwiesenen Einfluss des Bisam (Ondatra zibethicus) zuzuschreiben sein. Die Tiere üben durch selektiven Fraß einen starken Einfluss auf die Artenzusammensetzung aus.

Auf abgestorbenen Schilfrhizomen ist ebenso ein vermehrtes Auftreten von Armleuchteralgen und der pionierhaften Laichkraut-Gesellschaft (Potamogeton obtusifolius) neu. Zunächst wurde vermutet, dass das langlebige Herbizid Atrazin – nach Austrag auf Maisäcker und Passage in das Grundwasser – im Wasserkörper des Sees inzwischen angekommen und somit für diese Massenvermehrung verantwortlich sein könnte. Hydrochemische Analysen und die Suche nach Atrazin im Oktober 2009 waren aber negativ. Es müssen also andere Gründe für die neuerliche Massenausbreitung von Myriophyllum und Potamogeton verantwortlich sein. Es sind im wesentlichen auch nur saisonale Zyklen im Aufwuchs dieser Pflanzen; das haben die letzten Jahre gezeigt.

Während F. Runge (1991) berichtet, dass sich laut Aufnahmen aus den Jahren 1949, 1956, 1961 und 1989 die Vegetation des Erlenbruchwaldes vom Typ des Carici elongatae-Alnetum glutinosae wenig verändert hat, so konnten auch hier deutliche Entwicklungen beobachtet werden: Am Westufer ist ein enormer sukzessiv bedingter Rückgang der Ausprägung des Erlenbruchwaldes mit der Schwertlilie (Iris pseudacorus) zu verzeichnen.

Grundsätzlich lässt sich aus den vorgestellten Ergebnissen der durchgeführten Vergleichsuntersuchungen von 1991 bis 2015 die Gesamttendenz einer kontinuierlichen Eutrophierung bestätigen, die im Rahmen der natürlichen Sukzession von nährstoffarmen zu nährstoffreichen Gewässern führt. Meist ist jedoch die Nährstoffakkumulation primär autogen und wird durch sukzessive Steigerungen der autochthonen, pflanzlichen Primärproduktion hervorgerufen, die mit zyklischen Nährstoffverlagerungen vom Profundal in die trophogene Zone einhergeht. In jüngster Zeit kommen gravierende Einwirkungen durch selektiven Bisamfraß an Wasser- und Röhrichtpflanzen hinzu.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Film

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Erstveröffentlichung 2010, Aktualisierung 2016