Die Stadt Hamm mit dem Sri Kamadchi Ampal-Tempel – religiöses Zentrum des Hinduismus in Deutschland
Hindu-Hochburg NRW
Zum Hinduismus bekennen sich weltweit rd. 880 Mio. Menschen, wobei lediglich 80 Mio. Hindus außerhalb von Indien leben (bpb 2024). In Deutschland gibt es rd. 100.000 Anhänger dieser Weltreligion. Ein beträchtlicher Anteil von ihnen, über 40%, lebt in Nordrhein-Westfalen (Hinduistische Gemeinde in Deutschland o.J.).
Der Hinduismus ist keine einheitliche Religion. Viele Untergruppierungen sind hierunter vereint, deren Glaubensrichtungen sich – auch aufgrund der räumlichen Herkunft – zumindest in Teilen voneinander unterscheiden. Dies spiegelt sich auch in der Anzahl der Gottheiten wider: Im Hinduismus existieren über 3 Mio. Göttinnen und Götter (ZDF online 2021).
Die überwiegende Mehrheit der in NRW lebenden Hindus sind Tamilen, die vorwiegend aus Sri Lanka stammen. Viele von ihnen mussten in den 1980er Jahren ihre Heimat verlassen, um sich vor den Repressalien im Zuge des dortigen Bürgerkrieges in Sicherheit zu bringen. Sie fanden vermehrt im Ruhrgebiet mit seiner bereits bestehenden, aus ethnisch-religiöser Sicht vielfältigen Gesellschaft ein neues Zuhause. Allen voran in Hamm, wo sich der Umfang des Zuzuges heute in gleich drei erbauten Tempelanlagen widerspiegelt (wikipedia.org/…/Hamm). Die mit Abstand größte und bedeutendste ist der Sri Kamadchi Ampal-Tempel.
Heiligtum in Hamm-Uentrop – der Sri Kamadchi Ampal-Tempel
Das Schicksal der Vertreibung ereilte auch den tamilischen Priester Arumugam Paskaran, der Mitte der 1980er Jahre über Umwege nach Hamm kam und hier sesshaft wurde. Im Laufe der folgenden Jahre entstand in Hamm unter der Führung Paskarans eine kleine, aber durch den Zuzug weiterer tamilischer Geflüchteter stetig wachsende hinduistische Gemeinde. Da deren Räumlichkeiten für religiöse Andachten mit der Zeit zu klein wurden, entschloss sich die Stadt Hamm im Jahr 1997, ein neues und geeignetes Areal für den Bau eines Tempels zur Verfügung zu stellen. In Absprache mit Paskaran fiel die Wahl auf ein Grundstück in einem Gewerbegebiet des Stadtbezirks Uentrop, wo der heutige Tempel (Abb. 1) nach rd. zweijähriger Bauzeit im Juli 2002 feierlich eingeweiht wurde. Die Baukosten von insgesamt ca. 2 Mio. Euro wurden ausschließlich durch Spenden und Darlehen der Gläubigen finanziert (Stadt Hamm o.J. a).
Der ausgesuchte Standort mag auf den ersten Blick wenig anmutig erscheinen, bietet der hinduistischen Gemeinde jedoch einige Vorteile, u.a.
- eine gute Erreichbarkeit des Tempels durch die Nähe zur Autobahn A 2 (mit Anschlussstelle Hamm-Uentrop),
- ein auch für religiöse Feste mit mehreren tausend Besuchenden ausreichend großes Gelände um den Tempel herum sowie entsprechende Parkmöglichkeiten im Umfeld,
- vor allem bei großen Festen die Vermeidung von Lärmbelästigung (keine Anwohner) sowie
- als sehr wichtiger Faktor der hier verlaufende Datteln-Hamm-Kanal als vom Tempel fußläufig erreichbares Gewässer für rituelle Waschungen der Gläubigen – quasi als Pendant zum Ganges in Indien (Müssig 2021; RVR o.J., S. 117; wikipedia.org/…/Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel).
Gewidmet ist der Tempel der Göttin Kamadchi, deren Name übersetzt "die Wünsche von den Augen abliest" bedeutet. Neben einer großen Granitstatue der "Haupt-Göttin" schmücken aber noch über 200 weitere Gottheiten das Bauwerk. Für dessen Errichtung, vor allem für die vielen Skulpturen und aufwendigen Verzierungen, wurden eigens mehrere Tempelbauer aus Indien engagiert. Als Vorlage diente der bedeutende Kamakshi-Tempel (sic!) in der südindischen Stadt Kanchipuram.
Nicht zuletzt unterstreicht der Tempel anhand der baulichen Ausmaße (s. "Steckbrief") seine außergewöhnliche Bedeutung vor allem für die tamilischen Hindus – sowohl deutschlandweit als auch darüber hinaus: Der Sri Kamadchi Ampal-Tempel ist (nach einem Tempel in London) der zweitgrößte hinduistische Tempel in Europa – auf den tamilischen bzw. südindischen Baustil (sog. Dravida-Stil) bezogen, sogar der größte (Hinduistische Gemeinde in Deutschland o.J.). Er gilt als das religiöse Zentrum der tamilischen Hindus, ist Hauptsitz der Hinduistischen Gemeinde in Deutschland und zentrale Begegnungsstätte aller deutschen Hindus (ebd.).
Das Tempelfest als Höhepunkt für hinduistische Pilger
Der Kalender der Hinduistischen Gemeinde in Deutschland beinhaltet eine Vielzahl von Festtagen. Höhepunkt aber ist das jährlich zwischen Ende Mai und Anfang Juli stattfindende, rd. zwei Wochen dauernde Tempelfest. Zentrales Ereignis hierbei ist die große Prozession, bei der die Statue der Göttin Kamadchi auf einem prachtvoll geschmückten Festwagen durch die umliegenden Straßen des Tempels geführt wird und dabei dem Glauben nach die Stadt Hamm und ihre Einwohner/innen segnet (Abb. 2). Allein an diesem Hauptfesttag kommen jedes Jahr mehrere Tausend Hindus aus ganz Deutschland und auch dem europäischen Ausland nach Hamm.
Ein anderes wichtiges Ritual ist mit einer weiteren Prozession zum nur knapp einen Kilometer entfernten Datteln-Hamm-Kanal verbunden, genauer gesagt zu der Stelle, wo der Kanal die Autobahnbrücke unterquert. Auch hierbei ist die Göttin Kamadchi anwesend. Durch sie "verwandelt" sich die Bundeswasserstraße an diesem Tag in den heiligen Fluss Ganges, in dem die Gläubigen durch Priester Arumugam Paskaran eine rituelle Waschung erfahren können, um sich von ihren Sünden zu befreien (Abb. 3).
Laut der Hinduistischen Gemeinde in Deutschland (o.J.) werden für den gesamten zweiwöchigen Zeitraum des Tempelfestes bis zu 25.000 Gläubige und interessierte Besucher/innen erwartet.
Fazit – die Bedeutung des Tempels
Nach über 20 Jahren seines Bestehens gehört der Sri Kamadchi Ampal-Tempel heute zum Hammer Stadtbild wie der Glaselefant im Maximilianpark. Der Tempel ist aber nicht nur ein architektonisches Highlight, das mittlerweile von Seiten der Stadt entsprechend touristisch vermarktet wird (Stadt Hamm o.J. b). Er ist ferner religiöses Zentrum, Anlaufstelle sowie eine Art zweite Heimat für viele vertriebenen Hindus in Deutschland.
Als offener Ort und Treffpunkt für alle Menschen, unabhängig von Nationalität, Kultur und religiöser Ausrichtung, kann darüber hinaus die integrative Bedeutung des Sri Kamadchi Ampal-Tempels nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Weiterführende Literatur/Quellen
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bpb Bundeszentrale für politische Bildung (2024): Das junge Politik-Lexikon. Stichwort: Hinduismus
(https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/320486/hinduismus/, abgerufen am 12.09.2024) -
Hinduistische Gemeinde in Deutschland (o.J.): Über uns.
(https://www.hinduistische-gemeinde-deutschland.de, abgerufen am 12.09.2024) -
Müssig, J. (2021): Szenen vom Ganges? Nein, das ist Hamm. In: Welt vom 20.03.2021
(https://www.welt.de/reise/staedtereisen/article228525451/Hindutempel-In-Hamm-fuehlt-man-sich-fast-wie-am-Ganges.html, abgerufen am 18.09.2024) -
RVR Regionalverband Ruhr (Hg.) (o.J.): route.industriekultur. Themenroute 26 Sakralbauten. Essen
(https://www.route-industriekultur.ruhr/wp-content/uploads/2023/03/2020_TR26_Sakralbauten_RIK.pdf, abgerufen am 18.09.2024) -
Stadt Hamm (Hg.) (o.J. a): Sri Kamadchi Ampal Tempel.
(https://www.hamm.de/sehenswuerdigkeiten/hindu-tempel, abgerufen am 16.09.2024) -
Stadt Hamm (Hg.) (o.J. b): Sehenswürdigkeiten.
(https://www.hamm.de/sehenswuerdigkeiten, abgerufen am 28.10.2024)Stadt Hamm (Hg.) (2023): Pilgern in Hamm. Der Sri Kamadchi Ampal Tempel.
(https://www.hamm.de/fileadmin/user_upload/Medienarchiv_neu/Dokumente/Touristik/Tempel_Flyer.pdf, abgerufen am 19.09.2024) -
ZDF online (2021): Die Weltreligion Hinduismus. (Artikel vom 28.04.2021)
(https://www.zdf.de/kinder/logo/hinduismus-102.html, abgerufen am 12.09.2024) -
https://de.wikipedia.org/wiki/Hamm (abgerufen am 10.10.2024)
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https://de.wikipedia.org/wiki/Sri-Kamadchi-Ampal-Tempel (abgerufen am 18.09.2024)
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https://www1.wdr.de/dossiers/religion/hinduismus/hamm106.html (abgerufen am 28.10.2024)
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https://www1.wdr.de/lokalzeit/heimatliebe/hindu-tempel-fest-hamm-100.html (abgerufen am 28.10.2024)
Erstveröffentlichung 2024