Städtebauliche Auswirkungen des Hochschulbaus der 1960er und 1970er Jahre in NRW und heutige Herausforderungen – das Fallbeispiel Bochum

24.08.2015 Anna Perpeet

Inhalt

Mit 72 Hochschulen verfügt Nordrhein-Westfalen im Jahr 2015 über die vielfältigste und dichteste Hochschullandschaft in Europa, die sich in 14 öffentlich-rechtlichen Universitäten, 16 öffentlich-rechtlichen Fachhochschulen, sieben staatlichen Kunst- und Musikhochschulen, 30 anerkannten privaten und kirchlichen Hochschulen mit Hauptsitz in NRW sowie fünf Verwaltungshochschulen widerspiegelt (MIWF NRW 2015). Über 700.000 Studierende sind derzeit an nordrhein-westfälischen Hochschulen eingeschrieben (IT.NRW 2015).

Eine Welle der Hochschulgründungen

Diese Entwicklung hat ihren Ur­sprung in den frühen 1960er Jahren genommen, als in erster Linie ein Fachkräftemangel und steigende Studierendenzahlen zu einer Welle von Universitätsgründungen führten. Mit den Universitäten Köln (Gründung 1388), Bonn (1768), Müns­ter (1771) und Aachen (1870) gab es in NRW lediglich vier Hochschulen, wes­halb gerade im westfälischen Raum die Notwendigkeit zum Ausbau der Bildungslandschaft entstand.

Der 1957 im Rahmen einer Bil­dungs­offensive von Bund und Land gegründete Wissenschaftsrat hat die Entwicklung des Hochschulwesens koordiniert, so dass letztlich zwischen 1961 und 1978 mehr Hochschulen gegründet wurden als in 600 Jahren zuvor (Weisser 2006).

Verbunden mit dem Wechsel von einer "Elitenbildung zur Massenausbildung" sollten Universitäten nach den allgemeinen Zielen der Raumordnungspolitik gerade in strukturschwachen Gebieten lokalisiert werden, um einheitliche Lebensverhältnisse zu schaffen und regionale Disparitäten abzubauen. Die Städte sollten so für die Ansiedlung von Unternehmen attraktiver gemacht werden, und die regionale Wirtschaft sollte durch Ausgaben der Hochschulen sowie der Studenten und Universitätsmitarbeiter profitieren. Neben einem Ausbau hochwertiger Arbeitsplätze galt es zudem, das Ausbildungsniveau in den Re­gionen anzuheben und Abwanderungen junger qualifizierter Arbeitskräfte zu vermeiden.

Abb. 1: Entwicklung der Studierendenzahlen in NRW 1949/50–2014/15 (Quelle: IT.NRW 2015)

Durch die Universitätsgründungen in Bochum, Düsseldorf, Dortmund, Bielefeld, Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal sowie der Fernuniversität in Hagen (s. Beitrag Dapprich) und die neun 1971 gegründeten Fachhochschulen stieg die Anzahl der Studierenden in kurzer Zeit erheblich an (Abb. 1).

Die Lage und Architektur der neugebauten Universitäten standen ganz im Zeichen des städtebaulichen Leitbildes "Urbanität durch Dichte" der 1960er und 1970er Jahre. Am Stadtrand auf der "grünen Wiese" galt es, Volluniversitäten auf einem geschlossenen Campus zu errichten, der neben Bildungseinrichtungen auch Mensen und Wohnheime für Studierende und Hochschulangestellte bot. Aufgrund ihrer dichten und kompakten Bauweise sowie Be­ton als führendem Baumaterial wurden die Hochschulen schnell zu einer städtebaulichen Dominante, die mit der Entstehung ganz neuer Stadtteile einherging. Während nach Eröffnung zunächst der Glanz der neugeschaffenen Hochschulen überwog, schlug diese Sichtweise in Hinsicht auf die architektonische Planung spätestens in den 1980er Jahren um (Ruhr-Universität Bochum o. J.).

Das Fallbeispiel der Ruhr-Universität Bochum

Gerade an der Ruhr-Universität-Bochum wird heute oft "die unfreundliche und abweisende Atmosphäre einer funktionalen, aber unübersichtlichen monotonen Beton-Universität" (Weisser 2006) wahrgenommen. Als erste neugegründete Universität wurde sie nach nur 18-monatiger Bauzeit 1965 auf einem 520 ha großen Freigelände in Bochum-Querenburg ca. 6 km außerhalb des Stadtzentrums fertiggestellt (Abb. 2).

Abb. 2: Die Ruhr-Universität Bochum und das Uni-Center (Foto: Ruhr-Universität Bochum)

Nachdem sich Bochum in den Auseinandersetzungen mit Dortmund um den Standort der ersten Universität im Ruhrgebiet durchsetzen konnte, galt die Stadt als strukturpolitischer Gewinner des Landes, denn kurz zuvor wurde bereits die Ansiedlung des Opel-Werks be­schlossen (s. Beitrag Fennhoff). Beide Entscheidungen waren für die Stadt Bochum von erheblicher Bedeutung, konnte man so doch den erforderlichen Strukturwandel nach dem Zechensterben besser als andere Städte in der Region bewältigen (Ruhr-Universität Bochum o. J.; Weisser 2006).

Im Jahr 2015 zählt die Hochschule mit über 42.000 Studierenden zu den größten des Landes (Ruhr-Universität Bochum 2015). Neben typischen Problemen wie leeren Kassen, die zum Sparen und Personalabbau führen, sind in erster Linie Modernisierungsmaßnahmen zwingend er­forderlich (Weisser 2006). Das Hochschulmodernisierungsprogramm des Landes NRW stellt landesweit bis zum Jahr 2020 insgesamt 8 Mrd. Euro bereit. In der ersten Modernisierungsstufe wurden zwischen 2009 und 2015 bereits 3 Mrd. Euro für Neubauten und 2 Mrd. Euro für Modernisierungszwecke zur Verfügung gestellt. Bestehende Gebäude sollen saniert und energetisch auf den neusten Stand gebracht werden, wobei die Ruhr-Universität an der Spitze der Investitionen steht.

Die Stadt Bochum hat im Jahr 2009 das Entwicklungskonzept "Masterplan Universität - Stadt" erarbeitet, das sich primär auf die Entwicklung des Raums zwischen Universitäts- und Hochschulareal und der Bochumer Innenstadt konzentriert. Ziel ist es, die "Universitätsstadt Bochum" in den Köpfen der Akteure sowie der Bevölkerung entstehen zu lassen bzw. zu fördern (Stadt Bochum 2009). Dieser Masterplan hat sich für die Stadt Bochum als er­folgreiches Instrument der Stadtentwicklung erwiesen, mit dem in den zurückliegenden Jahren bereits eine Funktionsstärkung des Campus gelungen ist. Der 2014 aktualisierte und fortgeschriebene Masterplan richtet seinen Blick nun vermehrt auf die gesamte Bochumer Hochschul- und Wissenschaftslandschaft. Neben der Weiterentwicklung bestehender so­wie der Erarbeitung neuer Projekte wurden nun auch Potenzialflächen ausgewiesen. Ihre Entwicklung stellt im Hinblick auf die weitere Verbesserung des städtebaulichen und funktionalen Übergangs zwischen Campus und Innenstadt einen be­sonders wichtigen Baustein dar.

Die Hustadt – das Wohnquartier der Universität?

Einen Schwerpunkt bildet dabei das Anfang der 1970er Jahre entstandene Wohngebiet Hustadt. In etwa einem Kilometer Entfernung zur Ruhr-Universität, nach dem Vorbild des Märkischen Viertels in Berlin erbaut, sollte die Universitätsrahmenstadt Wohnraum für Studenten und Universitätsmitarbeiter bieten. Die vier- bis achtgeschossigen Bauten der Inneren Hustadt stellen den höchsten Siedlungsteil in der Umgebung dar und bieten Wohnraum für über 3.000 Bewohner (Innovationsagentur Stadtumbau NRW 2008). Heutzutage sind jedoch nur noch 8% der Bewohner Studenten, viel mehr bewohnen Familien mit Migrationshintergrund die Hustadt. Der allgemeine Zustand der Gebäude und des Umfeldes erfordern umfassende Sanierungsmaßnahmen, die im Rahmen des Programms "Stadtumbau West" umgesetzt werden. Neben den offensichtlichen Schwächen bietet die Lage zur Universität sowie eine gute in­frastrukturelle Anbindung aber auch Potenziale, die es zu nutzen gilt.

Im Rahmen des städtebaulichen Entwicklungskonzepts wurde untersucht, inwieweit die Hustadt noch als Wohnstandort für die ursprüngliche universitäre Zielgruppe geeignet ist. Knapp ein Drittel der befragten Studenten, wissenschaftlichen Mitarbeiter und Verwaltungsangestellten kann sich danach vorstellen, in die Hustadt zu ziehen, sofern adäquater Wohnraum vorhanden ist. Wenngleich die gute Lage für alle Befragten von Vorteil ist, sind es lediglich die Studenten, die aufgrund ökonomischer Hintergründe für einen Be­zug in Frage kommen. Die hohen Erwartungen der Universitätsangestellten an ihr Wohnumfeld können durch die Hustadt nicht erfüllt werden. Durch Studenten als Be­wohner könnte es jedoch gelingen, das Quartier langfristig zu stabilisieren. Aus diesem Grund sehen zukünftige Strategien eine ganzheitliche bauliche Er­neuerung vor, die das Erscheinungsbild der Siedlung aufwertet und Studenten anzieht. Im Hinblick auf den demographischen Wandel sollen zudem altersgerechte Wohnungen ausgebaut und ein altenfreundliches Wohnumfeld geschaffen werden (Stadt Bochum 2007; Stadt Bochum o. J.).

Der Hochschulbau sowie die Entstehung von universitätsnahem Wohnen wurden durch den Bau des Uni-Centers 1973 ergänzt (Abb. 2 links unten). Der Standort des Einkaufszentrums am Rande der Hustadt profitiert von der direkten räumlichen Nähe zum Campus. Es zeigt ein auf den studentischen Bedarf ausgerichtetes Warenangebot. Vermehrt kommt es jedoch auch zu Trading-Down-Effekten, wodurch die Zahl der Billiganbieter mit minderwertigen Wa­ren steigt (Stadt Bochum 2009; www.uni-center-bochum.de).

Fazit

Wenngleich die Universität Bochum als die erste und größte der neugegründeten Hochschulen mit besonders komplexen Problemen zu kämpfen hat, sind die städtebaulichen Auswirkungen des Hochschulbaus exemplarisch für andere Universitätsstädte in NRW. Alle in den 1960er und 1970er Jahren entstandenen Hochschulen stehen heutzutage aufgrund ihrer schlechten Bausubstanz vor ganz ähnlichen Problemen und Herausforderungen und werden architektonisch oft bemängelt. Die notwendigen Modernisierungen und Sanierungen der Hochschulen und des universitären Um­felds – vor allem der Wohnheime –  werden nun durch die Aufstellung von Masterplänen oder Gebietsentwicklungsplänen erfasst und koordiniert, denn gerade in der heutigen Zeit sind die Universitäten vermehrt dem Druck ausgesetzt, sich im Wettbewerb mit anderen Hochschulen profilieren zu müssen und den Erwartungen an eine in jeglicher Hinsicht moderne Universität gerecht zu werden.

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2011, Aktualisierung 2015