Wege der Jakobspilger in Westfalen

01.06.2015 Ulrike Steinkrüger

Inhalt

Als zu Beginn des 9. Jh.s in der Nähe des nordspanischen Ortes Iria Flavia (nahe dem heutigen Padrón) ein antikes Grab entdeckt wurde, erklärte der zuständige Bischof es zur letzten Ruhestätte des Apostels Jakobus d. Ä. Dabei stützte er sich auf Legenden des 7. Jh.s, dieser erste Märtyrer der Jünger Jesu habe zu Lebzeiten in Spanien missioniert und sei von seinen Jüngern im Norden des Landes begraben worden. Immer prächtigere Kirchenbauten umschlossen im Laufe der Zeit das Grab, und um die Kathedrale entwickelte sich eine Siedlung, die den Namen Santiago de Compostela erhielt (Sant Iago = Hl. Jakobus; Compostela = lat. compostum = Begräbnisstätte). Die Legenden und Wunder um das Apostelgrab sprachen sich schnell herum, so dass eine Pilgertradition entstand, die mit Höhen und Tiefen bis heute fortbesteht und im 13. Jh. den gleichen Stellenwert wie die Hauptpilgerziele der Christenheit, Jerusalem und Rom, erreicht hatte.

Bereits im 10. Jh. ist der erste deutsche Jakobspilger bekannt, und 1174/75 machte sich aus Westfalen z.B. Bischof Anno von Minden auf den weit entfernten Weg nach Santiago.

Jakobspilger in Westfalen

Spuren weiterer Pilger, die aus oder durch Westfalen zum Grab des Jakobus gepilgert sind, finden sich in der Region: Dies sind z.B. Grabfunde wie das Grab 33 in der Kirche St. Johannes Baptist in Attendorn, in dem der Tote mit der charakteristischen Jakobsmuschel ausgestattet war, die im Mittelalter als Beweis für die erfolgreich absolvierte Pilgerfahrt an der Kleidung befestigt wurde. Weitere Hinweise sind schriftliche Nachrichten wie diejenige über einen Bettler aus Münster, der im 12. Jh. nach Santiago aufbrach. Auch Pilgerherbergen lassen sich in Westfalen vielerorts nachweisen, so u.a. in Dortmund, Herford, Münster und Soest.

Jakobuspatrozinien, -altäre und Kunstwerke, die den Heiligen zeigen, sind eindrucksvolle Zeugnisse für die Verbreitung des Jakobuskultes, stehen aber nur in Ausnahmefällen in Verbindung mit der Pilgerfahrt nach Santiago (solche Ausnahmen sind z.B. die Jakobus-Kirchen in Breckerfeld, Coesfeld (Abb. 1) und Herford).

Abb. 1: Statue aus der Jakobikirche in Coesfeld, 1696 (Foto: LWL-Medienzentrum für Westfalen, G. Schüttemeyer)

Wege der Jakobspilger

Untrennbar mit der Pilgerfahrt nach Santiago de Compostela - wie auch zu anderen Pilger- und Wallfahrtsorten - verbunden ist die Frage, wie bzw. auf welchen Wegen die Pilger ihr Ziel erreichten. Hierfür ist es notwendig, sich von dem überall präsenten Begriff "Jakobsweg" zu lösen. Jakobswege hat es in der Geschichte niemals gegeben. Pilger benutzten das vorhandene System aus Lokal- und Fernwegen. Hierbei kam den Hauptverkehrsstraßen generell eine bedeutendere Rolle zu. Denn wenn Pilger ein Fernziel anstrebten, wollten die meisten wohl so schnell und so sicher wie möglich dort ankommen. Die Hauptrouten boten dabei gegenüber den Lokalwegen einige Vorteile: Sie wurden vom allgemeinen Handels- und Reiseverkehr genutzt, was es Pilgern erleichterte, Anschluss an Kaufleute und andere Reisende zu finden, denn das Unterwegssein in Gruppen bot mehr Sicherheit vor Überfällen sowie Hilfe bei Krankheit und Verletzung. In Zeiten der Mündlichkeit war es außerdem unerlässlich, an Informationen über den Wegeverlauf, aber auch über bestehende Gefahren wie überschwemmte Brücken, lauernde Räuberbanden und Seuchen zu gelangen.

Ziel von Forschungen zu mittelalterlichen Pilgerwegen, wie sie 2002–2015 von der Altertumskommission für Westfalen betrieben wurden, ist also die wissenschaftliche Erforschung und Rekonstruktion solcher Fernstraßen. Hierfür wird ganz unterschiedliches Material hinzugezogen: Schriftliche Überlieferungen (Itinerare, Urkunden sowie andere Nachrichten), alte Kartenwerke, Flurnamen, archäologische Hinterlassenschaften (v. a. Hohlwege) und geographische Gegebenheiten. Dabei kann unterschieden werden zwischen Quellen, die sich auf die Straßen selbst beziehen, wie Hohlwege, Karten, Itinerare mit Stationsangaben, Reiseberichte und Nachrichten über Ereignisse entlang einer Straße. Hinzu kommen indirekte Quellen, die Objekte und Einrichtungen nennen, die sich üblicherweise in der Nähe bedeutender Wege befanden und daher bei der Lokalisierung derselben helfen. Dazu gehören beispielsweise Galgen, Siechenhäuser und Landwehrdurchlässe.

Abb. 2: Hohlwegbündel zwischen Schwelm und Wuppertal-Beyenburg (Foto: Altertumskommission für Westfalen, U. Steinkrüger)

Der Weg der Jakobspilger von Osnabrück nach Wuppertal-Beyenburg

Zwischen 2002 und 2007 hat die Altertumskommission für Westfalen eine erste Beispielstrecke nach diesem Prinzip bearbeitet: den Weg von Osnabrück über Münster und Dortmund nach Wuppertal-Beyenburg. Die im April 2008 vorgestellte Wegstrecke folgt einer alten Fernhandelsstraße von Lübeck an den Rhein. Historisch konnte sie zumindest in Teilstücken bis in das 12. Jh. zurückverfolgt werden. Auf Karten taucht sie erstmals zu Beginn des 16. Jh.s auf. Die Bedeutung der Verbindung auch in moderner Zeit dokumentiert die Tatsache, dass heute grob die Autobahn 1 und streckenweise die Bundesstraße 54 ihren Verlauf aufnehmen.

Von Osnabrück aus, wo neben einer Jakobi-Kapelle auch ein gleichnamiges Gasthaus zur Aufnahme fremder Pilger existierte, führten drei Straßen über die Pässe bei Tecklenburg, Lengerich und Bad Iburg bis nach Münster. Zur Blütezeit der Jakobspilgerfahrten (12.–15. Jh.) war die Strecke über Lengerich mit der Wallfahrtskirche St. Margareta und Ladbergen die am meisten genutzte. Mehrere ehemalige Landwehrdurchlässe (Schlagbäume) zeigen zwischen Münster, Herbern und Werne den Verlauf des Weges an. Von dort aus ging es weiter nach Lünen, um die Lippe zu überqueren, und weiter durch die ehemalige freie Reichsstadt Dortmund. Auch hier stand Pilgern in der Innenstadt ein Gasthaus als Unterkunft zur Verfügung, ganz in der Nähe befand sich einst eine Jakobi-Kapelle. Beschützt von der über der Ruhr thronenden Hohensyburg ging es weiter nach Herdecke, wo die Ruhr zunächst über eine hölzerne, ab dem 15. Jh. steinerne Brücke überquert wurde. Direkt bei der Brücke befand sich ebenfalls eine Pilgerherberge. Über die damalige Hansestadt Hagen führte der Weg zum geschichtsträchtigen Ort Gevelsberg, wo im Jahr 1225 der Erzbischof von Köln in einem Hohlweg überfallen und getötet wurde. Über Schwelm erreichte die Handelsstraße, von deren Verlauf hier im Wald noch gut sichtbare Hohlwegbündel erhalten sind (Abb. 2), schließlich das an der damaligen Grenze zwischen den Grafschaften Mark und Berg gelegene Wuppertal-Beyenburg und führte von hier auf Köln zu. Köln war für Pilger nicht nur als Kreuzungspunkt wichtiger Fernstraßen und Sammelpunkt, sondern - mit den Reliquien der Heiligen Drei Könige - auch als Pilgerstätte von großer Bedeutung.

Abb. 3: Karte der von der Altertumskommission erforschten Wege der Jakobspilger in Westfalen und der separat untersuchten Heidenstraße im Sauerland (Quelle: Altertumskommission für Westfalen)

Ein Wegenetz entsteht

Bis zum Jahr 2015 sind in der Altertumskommission für Westfalen insgesamt fünf solcher auch von Pilgern genutzten alten Fernrouten erforscht worden. Die weiteren führen entlang des Hellwegs von Höxter nach Bochum, von Minden nach Soest, von Bielefeld nach Wesel und von Marburg über Siegen nach Köln. Nach der wissenschaftlichen Erforschung werden die Ergebnisse der Öffentlichkeit jeweils in Form eines ausgeschilderten Pilgerweges, eines Wanderführers in Buchform und einer Web-App präsentiert. Sie informieren nicht nur über die Pilgerspuren entlang des Weges, sondern auch über Sehenswürdigkeiten rechts und links der kartierten Strecke.

Im Auftrag des Sauerländer Heimatbundes sowie des Heimatbundes Märkischer Kreis und in Absprache mit der Altertumskommission für Westfalen wird die historische Heidenstraße Köln – Leipzig von Schmallenberg-Oberkirchen bis Köln durch die Projektgruppe "Heidenstraße" erforscht. Bei der Rekonstruktion der Trasse geht die Gruppe nach den gleichen wissenschaftlichen Kriterien vor wie die Altertumskommission.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2008, Aktualisierung 2015