Klimakommune Saerbeck – Entwicklung einer Gemeinde zum klimapolitschen Vorreiter

01.01.2010 Bruno Lievenbrück

Inhalt

Inhalt

Die ehemals kleinste Kommune Nordrhein-Westfalens hat sich unter dem Leitbild "Global denken – lokal handeln" geschlossen auf den Weg gemacht, bis zum Jahre 2030 eine positive Energiebilanz zugunsten der regenerativen Energien zu erreichen. Konkret arbeitet die Gemeinde Saerbeck seit 1989 an der Umsetzung von Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Seit dieser Zeit werden die Maßnahmen von der CAJ-Bildungsstätte begleitet, einer Einrichtung, die sich in Saerbeck angesiedelt hat und eine umweltpädagogische Bildungsarbeit betreibt. So entstanden u. a. in den vergangenen Jahren auf den Dächern öffentlicher Gebäude, welche die Gemeinde kostenlos zur Verfügung gestellt hatte, insgesamt sechs Bürgersolarkraftwerke. Eine dieser Anlagen wurde von Schülern, Schülerinnen und Lehrkräften der Maximilian-Kolbe-Gesamtschule unter Anleitung der Kräfte der CAJ-Bildungsstätte montiert (Abb. 1).

Die vielen im Ort bereits sichtbaren und mehrfach ausgezeichneten Erfolge in der Umsetzung von Maßnahmen zum Umweltschutz – u. a. ein zweiter Platz in der Solarbundesliga und die Silberplakette des European Energy Award® – bewogen im Jahr 2008 die Gemeinde, sich um die höchste Auszeichnung im Lande, der Klimagemeinde der Zukunft, zu bewerben. Sie folgte damit der Ausschreibung eines Landeswettbewerbes, den die Landesregierung initiierte, nachdem sie ergänzend zu ihrer Klimaschutzpolitik eine Strategie zur Anpassung an den Klimawandel erarbeitet hatte.

Im Rahmen dieses Wettbewerbes sollten die Kommunen modellhaft ein individuell abgestimmtes Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzept erstellen, das Vorbild für andere Städte und Ge­meinden sein sollte. Saerbeck hatte sich auf diesen Wettbewerb sehr gründlich vorbereitet und berief bereits Anfang 2008 eine Expertenkommission ein, der vier Vertreter der Gemeindeverwaltung, zwei Vertreter der Fachhochschule Münster, zwei Verantwortliche der Saerbecker Ver- und Entsorgungsgesellschaft, zwei Vertreter der CAJ-Werkstätten sowie ein Abgesandter eines Büros für Stadtplanung angehörten. Dieses Expertengremium sollte ein den Wettbewerbsvorgaben entsprechendes Konzept eines integrierten Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzeptes (IKKK) erstellen. An dem Wettbewerb beteiligten sich insgesamt 59 ländliche Kommunen, aus denen eine unabhängige Jury die fünf besten auswählte, die wiederum in einer zweiten Wettbewerbsphase ein umfassendes Konzept erarbeiteten. Zwei Kommunen konnten mit ihren Konzepten gleichermaßen überzeugen: Für den städtischen Raum war es die Stadt Bocholt (s. Beitrag Schulte); für den ländlichen Raum ging die Gemeinde Saerbeck als Sieger hervor, die nun den Titel "NRW-Klimakommune der Zukunft" tragen darf.

Saerbeck hatte damit hervorragende Rahmenbedingungen für das integrierte Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzept geschaffen. Darum beschloss der Gemeinderat am 10.07.2008 "als Zielvorgabe bis zum Jahr 2030 eine positive Energiebilanz zwischen der Produktion regenerativer Energien und dem Energieverbrauch in der Gemeinde Saerbeck zu erreichen" (Ratsbeschluss V 103/2008).

Saerbeck hatte sich mit dem Entschluss, binnen zweier Jahrzehnte diese positive Energiebilanz zu verwirklichen, ein sehr ehrgeiziges Ziel gesetzt. Mit der Mobilisierung der ganzen Gemeinde wollte man dieses Ziel in drei Etappen erreichen, die jeweils einem eigenen Leitprojekt folgten.
 

Abb. 1: Schüler auf dem Dach der Maximilian-Kolbe-Gesamtschule (Foto: Gemeinde Saerbeck)

Leitprojekt I: ''Saerbecker Sonnenseite'' – Umrüstung und Einsparung im Bestand

Nach der Auswertung von Satellitenaufnahmen und mit Hilfe einer groß angelegten Fragebogenaktion ermittelten Schüler und Schülerinnen der Maximilian-Kolbe-Gesamtschule Dachflächen, die sich besonders für den Betrieb von Solaranlagen eigneten. Die Untersuchung ergab, dass gut 22.000 m2 Dachflächen innerhalb der Gemeinde sofort für solarthermische und solarenergetische Nutzung bereitstehen. Zusätzlich sammelte diese Schülergruppe Datenmaterial, um die aktuelle Energieeffizienz der Gebäude in der Gemeinde zu bestimmen. Schließlich führte sie auch eine Umfrage über die Bereitschaft zu einer Beteiligung am Leitprojekt "Saerbecker Sonnenseite" durch. Durch die gleichzeitige Erfassung der Energieeffizienzklassen der Gebäude entstand ein "differenziertes Bild der aktuellen Energieverbrauchsstruktur aller Haushalte und der damit verbundenen Einsparungspotenziale im Bestand" (IKKK, S. 32–33). Die Auswertung dieser Be­standserhebung ergab, dass "bei etwa 1.300 Gebäuden in Saerbeck umfangreiche Nutzungs- und Einsparungspotenziale zu mobilisieren sind" (IKKK, S. 33–34).

Eine Zwischenbilanz der im Jahre 2010 vorhandenen Photovoltaik-Anlagen ergab, dass zu diesem Zeitpunkt auf den Dächern Saerbecks bereits 229 derartige Anlagen errichtet worden waren.

Leitprojekt II: ''Saerbecker Einsichten'' – Zukunft transparent gemacht

Das Leitprojekt II will "faszinierende Einsichten in ein Nahwärmenetz" (MUNLV 2010) vermitteln. Zentrum dieses Leitprojektes bildet die neue Heizzentrale in der alten Hauptschule, die auf der Basis nachwachsender Rohstoffe über ein Wärmenetz öffentliche Gebäude versorgt. Bis zum Ende des Jahres 2010 sollen ein Kindergarten, die Grundschule, die Maximilian-Kolbe-Gesamtschule sowie die Turnhallen angeschlossen werden. Kern der Heizzentrale ist eine gläserne Energieleitstelle, die ihre Funktion gleichsam "einsichtig" und transparent gestalten soll. Die gläserne Heizzentrale ist der Öffentlichkeit zugänglich und bildet zusammen mit den zu Informationsräumen umfunktionierten alten Klassenzimmern "den räumlichen Kristallisationspunkt einer zentralen An­lauf-, Informations- und Kontaktstelle" (IKKK, S. 36). Zu einem späteren Zeitpunkt soll die gläserne Zentrale in einen innerörtlichen Energie-Erlebnis-Park eingebunden werden. Darüber hinaus ist bis zum Jahr 2018 die Einrichtung einer zweiten Heizzentrale in der Nähe des Rathauses geplant, die als Blockheizkraftwerk-Anlage konzipiert ist und u. a. das Rathaus, die Bürgerscheune sowie verschiedenen Ge­meindehaushalte versorgen wird.

Leitprojekt III: ''Steinfurter Stoffströme'' – Der Kreis schließt sich

Der Einfluss des dritten Leitprojektes reicht über die Grenzen Saerbecks hinaus. Dieses hat zum Ziel, "die im Kreis Steinfurt anfallende energetisch nutzbare Masse zu erfassen und zu nutzen" (MUNLV 2010). Dazu stehen eine Fläche von 90 ha eines ehemaligen Munitionsdepots, das die Gemeinde Saerbeck erworben hat, sowie eine Fläche von acht ha, die inzwischen im Besitz des Kreises Steinfurt sind, zur Verfügung. Kreis und Gemeinde wollen auf diesem Gelände gemeinsam und schrittweise einen "Energiepark mit Modellcharakter" (MUNLV 2010) errichten. Als Erstmaßnahme werden auf den Dächern von 74 ehemaligen Munitionsbunkern große Photovoltaikanlagen installiert. Darüber hinaus ist der Bau von sieben Windkraftanlagen geplant. Der Bestand der Windkraftanlagen würde sich mit der Umsetzung dieses Vorhabens auf insgesamt 14 erhöhen.

Geplant ist des Weiteren der Bau mehrerer Biogasanlagen, die Biogas bzw. thermische und elektrische Energie produzieren und anfallende Gärreste zu Düngemitteln veredeln.

Die Akteure

Hinter dem Klimakommuneprojekt "Saerbeckplus" steht ein ganzes Dorf: die Vereine und Verbände, die beiden Kirchengemeinden, die Schulen und öffentlichen Bildungsträger sowie die Bürgerinnen und Bürger selbst.

Ein wesentlicher Faktor, der zum Gelingen dieses Projektes beigetragen hat, ist die Tatsache, dass Saerbeck mit rund 7.300 Einwohnern eine überschaubare Kommune geblieben ist, was die Kommunikation der Akteure ungemein erleichtert.

Durch zahlreiche Vortragsveranstaltungen, Informationsfahrten und Workshops sowie durch die rege Teilnahme an sog. Energiestammtischen ha­ben sich die Saerbecker Bürger und Bürgerinnen stets informiert und sich aktiv an der Entwicklung der Gemeinde zur Klimakommune beteiligt.

Die Entwicklung zur Klimakommune mit Vorbildfunktion konnte Saerbeck aus eigenen Ressourcen allein jedoch nicht schultern. Darum übertrug die Gemeinde dem Gremium, das bereits die Vorlagen für den Wettbewerb erarbeitet hatte, die Entwicklung und Umsetzung eines Integrierten Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzeptes.

Beteiligung der Geldinstitute

In Saerbeck wird den Gemeindemitgliedern die Möglichkeit geboten werden, sich im Wege einer Bürger-Genossenschaft an der Einrichtung von Photovoltaikanlagen und anderen regenerativen Energiequellen sowie an dem Aufbau des Energieparks zu beteiligen. Dazu gründeten Bürger aus Saerbeck zusammen mit der Volksbank Saerbeck die Bürgergenossenschaft "Energie für Saerbeck eG". Mitglieder der Bürgergenossenschaft können Geschäftsanteile in Höhe von 1.000 Euro erwerben und haben dadurch die Möglichkeit, den Weg der Gemeinde zur Umweltkommune nicht nur ideell zu begleiten, sondern auch finanziell zu unterstützen. Dieses hat letztlich einen doppelten Effekt: in einer Kommune zu leben, die zum einen im Jahre 2030 eine ausgeglichene Energiebilanz aufweisen kann, und die zum anderen durch die finanzielle Beteiligung zusätzlich eine attraktive Rendite erwirtschaftet.

Die Kreissparkasse Steinfurt bietet erstmals in ihrer Geschichte mit ihrem "KlimaGut-Brief" ein lokales Produkt an. Dabei handelt es sich um einen fünfjährigen Sparkassenbrief mit steigendem Zinssatz und einer Mindestanlage von 500 €. Mit diesen Finanzmitteln werden ausschließlich Projekte für erneuerbare Energien bzw. zur Energeieeinsparung im Kreis Steinfurt gefördert.

Die Umsetzung

Zur Umsetzung des integrierten Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepts hat die Gemeinde das Energiemanagement Saerbeckplus gebildet. Ihm obliegt die zentrale Steuerung und Koordination sämtlicher mit der Umsetzung der im IKKK verankerten Aufgaben.

Der Bürgermeister als Verwaltungschef ist zugleich auch Chef des Energiemanagements. Ihn unterstützt ein Beirat aus Expertenteams. Je nach Arbeitsfeld ändert sich deshalb die Zusammensetzung des Beirates. "Da­durch wird sicherstellt, dass eine möglichst breite Schicht lokaler Akteure in den umwelt- und klimabezogenen Anpassungsprozess der Kommune eingebunden wird" (IKKK, S. 40).

Da die Grundform der Zusammenarbeit eine Organisation von Arbeitsgruppen nach Projekten vorsieht, muss eine "zentrale Anlaufstelle in Form des Klimakommune-Projekt-Managements eingerichtet" werden (IKKK, S. 41).

Die Krönung aller bisherigen Bemühungen bildet die Verleihung des European Energy Award® in Gold. Damit ist Saerbeck eine der wenigen Gemeinden in Deutschland, die bisher diese Auszeichnung erhalten hat.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: < 1 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2010