Die Kräuterweihe – ein alter Brauch nur südlich der Lippe

10.08.2018 Wilfried Stichmann

Inhalt

Abb. 1: Beifuß (Foto: Angelika von Tolkacz)

Ein Brauch wird wiederbelebt

Zu den Bräuchen, die neuerdings an verschiedenen Orten wiederbelebt werden, gehören das Kräutersammeln und die Kräuterweihe zum Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel (Mariä Himmelfahrt, 15. August). In Westfalen war dieser Brauch vor allem im Erzbistum Paderborn verbreitet, jedoch nicht im Bistum Münster. Deshalb gab es nur südlich der Lippe in vielen Orten Pflanzenlisten mit eigenen "Krautbundarten", die zwischen 8 und 32 Pflanzennamen umfassten. Diese regionale Besonderheit hat sich bis auf den heutigen Tag gehalten.

Die Arten waren in der Kriegs- und Nachkriegszeit in Vergessenheit geraten und mussten wieder in Erfahrung gebracht werden. Zum Glück gab es in etlichen Orten dazu Aufzeichnungen. In anderen befragte man ältere Leute, denen allerdings manchmal nur plattdeutsche Namen einfielen. Hilfreich war es, an Altennachmittagen die im August blühenden Wild- und Gartenpflanzen auszulegen und die Senioren auswählen zu lassen, welche Arten sie früher für das Krautbund sammelten. Dabei stellte sich heraus, dass etliche Arten inzwischen in der Nachbarschaft nicht mehr aufzufinden oder so selten geworden sind, dass sie unter Naturschutz gestellt wurden. Überraschend war, dass selbst in benachbarten Dörfern zumindest z.T. unterschiedliche Pflanzenarten zum Krautbund gehörten. Diese Unterschiede bei der Wiederbelebung des Brauchs aufrecht zu erhalten, ist kaum möglich, weil schon mit jeder Heirat über die Dorfgrenzen hinaus die unterschiedlichen Traditionen vermengt wurden.

Abb. 2: Rainfarn (Foto: Angelika von Tolkacz)

Um nicht ein völlig regelloses Gemisch entstehen zu lassen, wurde aus 18 lokalen Pflanzenlisten aus der Region zwischen Olpe und Warburg ein Grundstock von 12 Pflanzenarten zusammengestellt, die früher fast überall zum Krautbund gehörten und heute vorzugsweise zum Sammeln empfohlen werden können. Darunter sind keine Arten, die unter Naturschutz stehen oder bereits so selten geworden sind, dass sie unangetastet bleiben sollten. Das gilt auch für die weiteren Arten, die als Ersatz oder Ergänzung genannt werden können.

Wahrscheinlich wurden die Kräuter früher in der Vollblüte gesammelt. Wenn heute einige der genannten Arten Mitte August bereits verblüht sind, ist das wohl schon eine Folge des Klimawandels, der zu einem teilweise schon um zwei bis drei Wochen früheren Blühbeginn geführt hat.

Abb. 3: Baldrian (Foto: Angelika von Tolkacz)

Pflanzenarten

Die Pflanzenarten, die in kaum einem Krautbund fehlten, wachsen – vor allem in der Agrarlandschaft – fast nur noch an Straßen- und Wegerändern, deren Vegetation – wenn überhaupt – erst nach der Samenreife im Hochsommer gemäht werden sollte. Weitere Wuchsorte der Wildkräuter sind Böschungen und Gräben, Brachen und Bauerwartungsland, die es allerdings nicht in allen Gemeinden gibt. Einige Pflanzenarten holte man auch aus den Bauerngärten, wo sie allerdings auch nicht mehr sicher anzutreffen sind.

Eine typische Ruderalpflanze ist der Beifuß (Artemisia vulgaris; Abb. 1), der auch heute noch als Gewürz geschätzt wird. Seine unscheinbar grünlichen Blütenkörbchen wirken wie kleine eiförmige Einzelblüten. Er ist auch im städtischen Umfeld anzutreffen. Ebenso häufig sind die Schafgarbe (Achillea millefolium) mit ihren fein gefiederten Blättern und der Rainfarn (Tanacetum vulgare; Abb. 2), dessen gelbe Körbchen wie Knöpfe aussehen und deshalb im Volksmund auch "Soldatenknöpfe" genannt werden. Wie fast alle anderen Pflanzen des historischen Krautbundes hatten auch sie früher für den Menschen eine besondere Bedeutung. Heute wird vom Rainfarn wegen seiner Giftwirkung bei Überdosierung als Heilmittel abgeraten.

Abbn. 4/5: Königskerze und Alant (Fotos: Angelika von Tolkacz)

Die Stellen, wo Johanniskraut (Hypericum perforatum) wächst, wird man sich gut merken. Es ist reich an ätherischen Ölen und auch in modernen Medikamenten enthalten, u.a. als Antidepressivum zur Aufhellung der Stimmung. Der Dost (Origanum vulgare) ist erst in der jüngeren Vergangenheit auch unter dem Namen "Oregano" u.a. als Pizzagewürz bekannt geworden.

An feuchten Stellen wächst noch häufig der Baldrian (Valeriana officinalis; Abb. 3), dessen beruhigende Wirkung wie einst hoch geschätzt wird und heute als Baldriantinktur zur Verfügung steht. Nur die stolze Königskerze (Verbascum densiflorum; Abb. 4) ist örtlich so selten, dass man sie schon früher oft durch eine ebenso große Gartenpflanze, den Alant (Inula helenium; Abb. 5), ersetzte. Er bildet vielerorts schon lange den Mittelpunkt des Krautbundes.

Abb. 6: Echte Kamille (Foto: Angelika von Tolkacz)

Weitere Arten eines modernen Brauchs, die fast überall genannt wurden und als häufig und weit verbreitet bezeichnet werden können, sind die Echte Kamille (Matricaria chamomilla; Abb. 6), die am hohen Blütenkorb zu erkennen ist, und das Jakobskreuzkraut (Senecio jacobaea; Abb. 7), vor dem heute im Interesse des Weideviehs gewarnt werden muss. Die vier alten Getreidearten – Weizen, Roggen, Gerste und Hafer – komplettieren das 12 Arten umfassende, überall übliche Ensemble des Krautbundes, das natürlich durch weitere häufige Pflanzenarten ergänzt werden kann, wie z.B. durch Odermenning (Agrimonia eupatoria), Wilde Möhre (Daucus carota), Spitzwegerich (Plantago lanceolata), Sumpfgarbe (Achillea ptarmica) und Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense). Diese Arten werden zwar nicht in allen, aber mit Abstand in den meisten Pflanzenlisten aufgeführt.

Abb. 7: Jakobskreuzkraut (Foto: Angelika von Tolkacz)

Bedeutung und Verwendung

Früher verbrannte man bei schweren Gewittern Teile des Krautbundes im Ofen, um Menschen und Tiere, Haus und Hof vor Unheil zu bewahren. Tee-Aufgüsse galten als Medizin für Mensch und Tier. Geblieben ist das Krautbund als besondere Zier an einem der hohen Feste der katholischen Kirche im Jahreslauf, als Lobpreis Gottes und des unersetzlichen Wertes seiner Schöpfung.

Heute gilt das Krautbund auch noch als Ausdruck des Dankes für das, was die Natur alljährlich immer wieder neu hervorbringt. Nicht zuletzt wirbt es für die Bewahrung der Schöpfung, für die sich die Kirchen verstärkt einsetzen. Schließlich kann das Krautbund als Trockenstrauß seinen Reiz bis in den Herbst behalten und beispielsweise in der evangelischen Kirche noch zum Erntedankfest den Altar schmücken. Mit dem Brauch werden Kenntnisse über die Vielfalt der Pflanzenwelt weitergegeben, die Wertschätzung der Wildpflanzen und ihrer Lebensräume gefördert und fast vergessene Erfahrung über die Nutzbarkeit und die Heilwirkung von Arten der Wildflora lebendig gehalten.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2018