Kommunal geplante Kreativquartiere als Instrument zur Gestaltung des Strukturwandels

01.01.2012 Fabian Terbeck

Inhalt

In der letzten Dekade haben verschiedene wissenschaftliche Arbeiten die Chancen der Kreativwirtschaft für einen ökonomischen Strukturwandel betont, so dass mittlerweile eine Reihe von Hoffnungen mit diesem Wirtschaftssektor verbunden werden. So sollen mit Hilfe von Unternehmen aus diesem Sektor weggefallene Arbeitsplätze der Industrie kompensiert und mindergenutzte Industriegebäude umgenutzt werden. Weiterhin sollen Kreative mit ihren Projekten Städte beleben und für "High-Professionals" aus anderen Wirtschaftsbereichen attraktiver machen, beispielsweise für Unternehmen und Institutionen aus dem Finanzsektor oder dem Research & Development-Bereich.

Darüber hinaus erhofft man sich auch direkte wirtschaftliche Impulse aus der Kreativwirtschaft, da sich zumindest einige der dazugehörigen Wirtschaftszweige (v. a. Software-Entwicklung) in den letzten Jahren erfolgreich etablieren konnten und sich dies in den kommenden Jahren weiter fortsetzen soll (BMWi 2010). So rechnet die Deutsche Bank mit einem jährlichen Wachstum der deutschen Kreativwirtschaft von ca. 2,5% bis zum Jahr 2020. Voraussetzung für dieses Wachstum ist demnach jedoch eine intensive Förderpolitik des Staates (Deutsche Bank Research 2011).

Ein Problem der Kreativwirtschaft sind nämlich die in einigen Branchen vergleichsweise niedrigen Gewinnmargen und Umsätze. Insbesondere neue, noch nicht etablierte Unternehmen weisen häufig nur sehr geringe Umsätze von teilweise unter 20.000 Euro pro Jahr auf (Pritzkow 2009, S. 56). Fehlendes Kapital muss deshalb von kreativwirtschaftlichen Existenzgründern durch ein überdurchschnittliches Engagement kompensiert werden, was vor allem gelingt, wenn man Synergieeffekte durch die Kombination verschiedener Branchen der Kreativwirtschaft schafft. Eine räumliche Konzentration scheint sich hierbei als förderlich zu erweisen. In Szene- oder Kreativquartieren können Netzwerke zwischen Kreativen schnell gebildet werden und es entsteht im Idealfall ein kreatives Milieu, welches anregend und inspirierend auf die Ak­teure wirkt (Florida 2004).

Die Entstehung solch ungeplanter Kreativquartiere ist jedoch eher selten, weshalb einige Städte dazu übergegangen sind, Kreativquartiere gezielt zu entwickeln. So auch in Westfalen (vgl. auch Beitrag Terbeck).
 

Abb. 1: Kreativkai in Münster (Foto: F. Terbeck, 2011)

Kreativquartiere in Westfalen

Im Rahmen einer mehrmonatigen Erhebung konnten verschiedene kommunale Projekte zur Entwicklung von Kreativquartieren in Westfalen ermittelt werden (Stand 06/2011). Weitestgehend verwirklicht sind bisher die beiden Projekte "Kreativkai" in Münster (Bauabschnitt I; Abb. 1; s. auch Beitrag Krajewski), sowie das Kulturwerk Lothringen in Bochum. Noch in der Umsetzung befinden sich aktuell die Projekte "Victoriaquartier" in Bochum, "Dortmunder U" in Dortmund und "Kreativ.Quartier: Am Kanal" in Herne. Diese drei Projekte sind im Zuge der Kulturhauptstadt 2010 initiiert worden, die das Thema "Kreativwirtschaft" gleichberechtigt zu den klassischen Kultur-sparten wie beispielsweise Malerei, Musik oder Theater behandelt hat und für die ein Ansatz zur Förderung der Kreativwirtschaft die Entwicklung von Kreativquartieren war (RUHR.2010 GmbH 2008, S. 15).

Schaut man sich die umgesetzten oder noch im Umsetzungsprozess befindlichen Projekte genauer an, fällt auf, dass neben dem vordergründigen Ziel, die Kreativwirtschaft zu fördern, die Entwicklung von Kreativquartieren auch als ein Instrument zur Gestaltung des Strukturwandels in der Region gesehen wird. Durch den ökonomischen Strukturwandel bleiben nicht nur im Ruhrgebiet Flächen und Gebäude der Schwerindustrie ungenutzt, für die es momentan teilweise noch keine Nachnutzungsstrategien gibt. Neben der Ansiedlung von neuen Wachstumsbranchen ist somit ein weiteres Ziel, Nachnutzungen für die ehemaligen Industriegelände zu finden (Becker 2010).

Die Kreativwirtschaft bietet sich hier besonders an. Einerseits, weil sie eine Wachstumsbranche ist und darüber hinaus ein wichtiger Imageträger für einen gelungen Strukturwandel sein kann, steht sie doch für Innovation, Kreativität und Aufbruch. Andererseits sind Kreative aufgrund der geringen Erlöse und prekären Arbeitssituationen insbesondere in der Existenzgründungsphase auf günstige Räume, die gleichzeitig viel Platz für die Verwirklichung der Projekte bieten, angewiesen. Dies können häufig die mindergenutzten Industrieräume bieten, die darüber hinaus auch ein ganz eigenes Ambiente besitzen und teilweise aufgrund ihrer Historie innenstadtnah gelegen sind.

Doch wie sehen die kommunalen Versuche, Kreativquartiere zu entwickeln, konkret aus? Schaut man sich die Projekte an, stellt man einige Gemeinsamkeiten fest. So wird erstens versucht, verschiedene kulturelle Nutzungen in dem Projektgebiet zu bündeln, in dem man neue kulturelle Angebote schafft oder bereits in der Stadt vorhandene Nutzungen in das Projektgebiet verlegt. Beim Kreativkai und dem Victoriaquartier handelt es sich sogar um eine Kombination von Ansiedlungen neuer und bestehender kultureller Angebote.

Die Aufwertung des Projektgebietes wird zweitens durch weitere bauliche Aufwertungsmaßnahmen begleitet, beispielsweise durch die Sanierung von historischem Gebäudebestand (Beispiel: Dortmunder U) oder eine Neugestaltung des öffentlichen Raumes (Beispiel: Kaianlage des Münsteraner Kreativkai, Abb. 1).

Mit diesen Maßnahmen sollen drittens Anreize für private Investoren gesetzt werden, weitere Investitionen in dem Projektgebiet zu tätigen, die dann letztendlich zur Herausbildung eines Kreativquartiers führen sollen. Sprich: Unternehmer sollen neue (Szene-) Geschäfte, kreativwirtschaftliche Büros, privat geführte Kultureinrichtungen und (Szene-)Gastronomie schaffen.

Und viertens wird durch die Bespielung des Projektgebietes in Form von Konzerten, Festen, Ausstellungen, Installationen etc. das Kreativquartier bekannt gemacht. Beispiele sind hier das Hafenfest in Münster, das Kino im U als Ort für Filmfestivals in Dortmund oder das schon länger bestehende Musikfestival "Bochum Total" im Victoriaquartier.

Anzumerken ist jedoch, dass die genannten Maßnahmen größtenteils nicht auf das Kulturwerk Lothringen in Bochum zutreffen, das vom Charakter her eher einem Technologie- und Gründerzentrum gleicht und bei dem als einzige Maßnahme aus dem oben genannten die bauliche Aufwertung des Quartiers umgesetzt wurde.

Insgesamt wird jedoch deutlich, dass die Entwicklung von Kreativquartieren mehr ein Instrument der Wirtschaftsförderung bzw. zur Aufwertung bestimmter städtischer Räume und weniger ein Instrument zur Kulturförderung ist.

Einschätzungen des Instruments ''Kreativquartiere'' für die Gestaltung des Strukturwandels

Wie erfolgreich das Instrument der Kreativquartiere zur Gestaltung des Strukturwandels ist, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend bewertet werden, da viele Projekte noch relativ jung sind bzw. sich noch in der Phase der Durchführung befinden. Das Beispiel des älteren Kreativkais in Münster zeigt jedoch, dass erfolgreiche Projekte in der Tat eine städtebauliche Aufwertung bewirken können, die sich als sehr attraktiv für Unternehmen der Kreativwirtschaft herausstellt.

Besonders interessant dürfte die weitere Beobachtung der Entwicklung des Victoriaquartiers in Bochum sein. Im Unterschied zu den anderen untersuchten Projekten handelt es sich hier um ein innerstädtisches Wohn- und Geschäftsviertel und nicht um eine alte Industriefläche. Der Erfolg dieses Projektes könnte verschiedene Impulse auch für Städte mit anderen Handlungsherausforderungen geben, beispielsweise in Bezug auf die Revitalisierung von Einzelhandelslagen im Umfeld von Kultureinrichtungen.

Allerdings merken Heinze & Hoose zu Recht an, dass die Erwartung an die positiven Auswirkungen der Kreativwirtschaft für den Strukturwandel "eine schöne, aber möglicherweise zu hoch angesetzte Wunschvorstellung" (2011, S. 363) ist. Schließlich mache kein Manager eine Standortentscheidung vom Spielplan des Bochumer Schauspielhauses abhängig, wie es dort zugespitzt heißt. Dennoch sehen auch sie mögliche positive Auswirkungen der Kreativwirtschaft auf die Region, insbesondere als Element in wissensbasierten Clustern.

Auch ist fraglich, ob eine Aufwertung der Quartiere im Ruhrgebiet dauerhaft Bestand hat und weitere Investitionen von privaten Akteuren nach sich zieht. So merkt erstens Laurin (2010) an, dass es im Ruhrgebiet genügend freie Räume für Kreative und damit sehr viele Alternativen zu den Kreativquartieren gäbe. Auch würde eine Aufwertung in Form von Gentrifizierung (der Veränderung in der Sozialstruktur), die eigentlich hinter der Idee der Kreativquartiere stehe, im Ruhrgebiet nicht funktionieren, da die Abwanderung höher sei als die Zuzüge und deshalb die Mieten auch in den Kreativquartieren kaum steigen dürften. Zweitens zeigen bisherige Erfahrungen mit Kreativquartieren in Berlin, dass Kreativquartiere ggf. "gesellschaftliche Laboratorien auf Zeit" (Ebert & Kunzmann 2007, S. 71) sind. Nach einer bestimmten Zeit verlieren Kreative das Interesse an einem Raum und suchen sich neue, noch unentdeckte Quartiere.

In Anbetracht dessen bleibt abzuwarten, wie sich die Projekte tatsächlich in den kommenden Jahren entwickeln werden und wie nachhaltig dieser Ansatz für die Stadtentwicklung und kommunale Wirtschaftsförderung ist.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2012