Problematische Aspekte der modernen Landwirtschaft

14.01.2019 Richard Pott

Inhalt

Die Natur vor der Bedrohung durch den Menschen zu schützen erscheint heute als etwas rundum Positives, ja als notwendig für das Überleben des Menschen selbst. König Friedrich II. von Preußen erließ vor etwa 250 Jahren ein Edikt zur "Nutzbarmachung der Wysteneyen", also zur Trockenlegung und Nutzung der Moore. Wurden Moore früher als unproduktive Lebensräume betrachtet und systematisch trockengelegt, so schätzt man heute ihre Fähigkeit, das Kohlendioxid in großen Mengen zu speichern (s. Beiträge Otto und Steinmann). In der deutschen "Strategie zur Biologischen Vielfalt für das Jahr 2010" formulierte die Bundesregierung im Jahr 2007: "Unsere Vision für die Zukunft ist: Die landwirtschaftlich genutzte Landschaft Deutschlands ist geprägt durch die Vielfalt von Agrar­ökosystemen mit ihren standorttypischen Strukturen [...]; zusammen mit einer nachhaltigen Landnutzung ist damit eine geeignete Lebensgrundlage für eine Vielzahl von typischen Tier- und Pflanzenarten gesichert."

Diese optimistischen Ziele sind bislang nicht erreicht worden und auch in der Zukunft wohl nicht erreichbar. Vielerorts ist genau das Gegenteil eingetreten. Überall auf der Erde sind die heutigen Kulturlandschaften das Produkt einer Folge von zivilisatorischen Prozessen. Von Menschen geschaffene und beeinflusste Landschaften sind im Laufe der letzten zehn Jahrtausende, seit dem Neolithikum, aus natürlichen Lebensräumen hervorgegangen. Mit zunehmender Technisierung war der Mensch in der Lage, sich mehr und mehr über natürliche Bedingungen und Grenzen hinwegzusetzen und sie weitgehend nach seinen Plänen zu gestalten. Im Zusammenhang mit den wachsenden technischen Möglichkeiten, sich Landschaft und Vegetation dienstbar zu machen, änderte sich auch die geistige Einstellung des Menschen gegenüber seiner Umwelt: Er versteht sich nicht mehr als Glied der Natur, sondern als ihr Beherrscher, und genau wie er hat die Natur dem Fortschritt zu dienen.

Ausgeräumte Agrarlandschaften

Sichtbar wird diese Einstellung gerade in den Gegenden Westfalens mit überwiegend landwirtschaftlicher Nutzung. Riesige Ackerschläge mit Mais- und Getreide-Anbauten prägen hier das Bild der hochtechnisierten modernen Agrarlandschaften. Dazu kommen hoch gedüngte, mit Stickstoff überfrachtete, große Grünflächen für Grasproduktion mit entsprechenden Silage- und Biogasanlagen (s. Beitrag Wittkampf). Im Freiland weidende Rinder und Pferde sieht man nur noch selten, dagegen prägen große Ställe für die Massentierhaltung von Hühnern und Schweinen vielerorts das Landschaftsbild.

Direkte und atmosphärische Stickstoffeinträge

Stickstoffeinträge aus direkter Düngung oder durch atmosphärische Depositionen (s. Beitrag Lethmate) haben sich während der vergangenen 150 Jahre verdreifacht, und es ist davon auszugehen, dass diese in vielen Ländern Europas auch während des 21. Jh.s weiter ansteigen. Stickstoffeinträge beeinflussen viele Ökosystemfunktionen wie Primärproduktion und Nährstoffkreisläufe und somit auch die zwischen Pflanzenarten wirksamen Konkurrenzmechanismen. Eine durch Stickstoffeinträge verursachte Verschiebung der Konkurrenz um Licht wird heute als eine der wesentlichs­ten Ursachen für Veränderungen im Artengefüge von Ökosystemen angesehen. Dazu kommt der Ausfall konkurrenzschwacher Sippen in vielen Pflanzengesellschaften. Beispielsweise sind Stickstoffeinträge aus der Luft für die Verschiebung der Konkurrenzbedingungen in Heidelandschaften (s. Beitrag Hetzel/Schmitt) zugunsten von Gräsern und auf Kosten des Heidekrautes verantwortlich, das kann man derzeit auch hierzulande in vielen Heide-Naturschutzgebieten beobachten.

Etwa die Hälfte der Fläche Westfalens wird landwirtschaftlich genutzt mit 30% Ackerland und 20% Grünland. Sowohl der Ackerbau als auch die Grünlandbewirtschaftung haben in den letzten 50 Jahren eine rasante Intensivierung erfahren. Verbesserte Bewirtschaftungsmethoden, ertragreichere Kulturpflanzensorten, die nahezu flächendeckende Anwendung von Herbiziden und Pestiziden, vor allem aber stark angestiegene Düngermengen haben zu einer eindrucksvollen Erhöhung des Kulturpflanzenanbaus seit der Mitte des 20. Jh.s geführt.

So stiegen die Stickstoffüberschüsse auf Ackerland von 1950 bis in die 1980er Jahre um ungefähr das Vierfache und verbleiben seitdem auf diesem hohen Niveau von jährlich etwa 120 kg Stickstoff pro ha. Die Phosphatüberschüsse erhöhten sich von 1950 bis 1980 um das Acht­fache, konnten jedoch bis zum Jahr 2010 durch effizienteren Einsatz und Reduktion wieder bis auf das Nachkriegsniveau gesenkt werden.

Artenrückgang der Flora in Äckern und im Grünland Westfalens

Seit den 1950/60er Jahren sank hierzulande die Artenzahl auf den Äckern um 71% (von 24 auf 7 Arten), im Grünland um 30% (von 27 auf 19 Arten). Die Gewinner sind Pflanzen mit breiter ökologischer Amplitude und großer Konkurrenzkraft, wie z.B. Brennnessel, Giersch, Wiesenkerbel, auf Kosten spezieller Ackerunkräuter, u.a. Kornblume, Klatschmohn und Kamille, sowie Pflanzen mit engem ökologischem Spektrum, beispielsweise sog. Magerkeits- und Feuchtezeiger.

Traditionelle und konventionelle Agrarnutzung im Wandel

Die einst wichtigen – heute meist his­torischen – agrarischen Nutzungen mit Viehweiden und Heuproduktion erzeugten typische Graslandökosysteme als Magerrasen, Wiesen und Weiden. Diese waren und sind in vielen Kulturlandschaften Westfalens von großer Bedeutung für die Schönheit und den Erholungswert dieser Landschaften. Vor allem in den Mittelgebirgen, aber auch in Fluss- und Bachtälern sind sie nach wie vor unverzichtbar für die Erhaltung der biologischen Vielfalt. Zugleich sind sie aber auch immer noch Grundlage einer umweltverträglichen und flächengebundenen Grünlandnutzung durch Weidetiere.

Abb. 1: Es gibt nur noch wenige Halbtrockenrasenformationen, wie hier auf der Egge bei Marsberg (Foto: R. Pott)

Intensivierung und Verarmung im Grünland

In allen Naturräumen wurden Wiesen, Weiden und Magerrasen noch bis Ende der 1950er Jahre überwiegend extensiv genutzt. Die Intensivierung der Grünlandnutzung mit starker Düngung zeichnete sich seit den 1960er Jahren ab, mit der Konsequenz, dass viele ehemals blüten- und artenreiche Wiesen zunehmend verarmten, bis schließlich hochproduktive monotone, hochgedüngte Grasbestände ihren Platz einnahmen. Besonders drastisch geschah dies in den nordwesteuropäischen Tiefländern, wie z.B. in Dänemark, in den Niederlanden, in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und auch in Teilen von NRW. Hier findet noch immer sog. Grünlandumbruch statt, mit Umwandlung in Ackerland für die moderne Gras-, Raps- und Maisproduktion.

Eine Nutzungsintensivierung ergab sich auch dadurch, dass die moderne Milchwirtschaft eine hohe Qualität der Grünland-Silage und damit auch ein relativ hohes Düngungsniveau voraussetzt. Dazu sind heute frühe Schnittnutzungen zur Silagegewinnung sowohl für konventionelle wie für ökologisch wirtschaftende Milchviehbetriebe erforderlich. Viele Agrarprodukte sind auf den Märkten der Welt im Überschuss vorhanden, vor allem derzeit die Milch. Der Preisverfall für Agrarrohstoffe ließ in jüngster Zeit den Erlös der Landwirte auf ein unverantwortlich niedriges Niveau verfallen. Heute muss man in Europa beispielsweise den Milchbauern helfen, ihre Existenz zu sichern. Aber künstlich hochgehaltene Milchpreise helfen da auch nicht weiter (s. Beitrag Wittkampf).

Pflanzengifte, Herbizide und Pestizide auf den Äckern

Die Stickstoffdüngungen durch die Landwirtschaft sind die eine Seite der Medaille – das Pflanzengift Glyphosat kannten bis vor kurzem nur wenige Eingeweihte und die Fachwelt. Es ist das heute von den Landwirten am meisten verwendete Herbizid, es ist eines von derzeit mehr als 1.400 zugelassenen chemischen Pestiziden. Diese Herbizide reduzieren massiv die biologische Vielfalt unserer Äcker, das ist die andere Seite der Medaille. Die Geschichte der aktuellen politischen Glyphosatkampagne mit erbitterten Gegnern und ebensolchen Befürwortern begann etwa im Jahr 2015; die Zukunft dieses Herbizids in Europa steht derzeit auf der Kippe. Aber wenn es verboten wird, wird es durch andere ersetzt. Als Produkt "Round­up" gilt dieses Breitbandherbizid bei den Landwirten in den USA und in einigen Ländern Südamerikas als Wunderwaffe gegen Schadinsekten in den gewaltigen Monokulturen von Soja, Mais und Getreide. Meist sind es hier sogar gentechnisch veränderte Kulturpflanzen, deren Saatgut das Pflanzenschutzmittel verträgt.

Uniformierung und Vermassung

Die industrielle Landwirtschaft erfordert auch entsprechende Kulturlandschaften, wie wir sie heute zunehmend wahrnehmen: Große Acker­schläge ohne Hecken, Gebüsche, Einzelbaumstrukturen, dafür Windkraftanlagen, Solarfelder und Biogascontainer. Dieser Landschaftswandel setzt sich im Zuge der Energiewende rapide fort. Die ehemalige bäuerliche Kulturlandschaft mit ihren Streuobstwiesen, Triftweiden, Standweiden, Streuwiesen, Getreide- und Hackfruchtäckern auf kleineren Parzellen mit Einfriedungen, Hecken, Zäunen, Acker- und Wegrainen fällt zunehmend weg. Unsere ehemals reich gegliederte Kulissen- und Parklandschaft wandelt sich heute mehr und mehr zu einer nivellierten, ausgeräumten und intensiv bewirtschafteten Kulturlandschaft.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2019