Lebenshaltungskosten in Westfalen
Wenn es um das Ziel "gleichwertiger Lebensbedingungen" geht, spielen oft auch die Stichworte "Lebensqualität" und "Lebenshaltungskosten" eine Rolle. In einer 2021 herausgegebenen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung NRW heißt es z.B.: "Dabei ist die Wahrnehmung von Lebensqualität natürlich individuell. Je nach Prioritäten und Empfinden spielen beispielsweise kurze oder lange Wege, die Verfügbarkeit und Qualität kultureller Angebote, die Leistungsfähigkeit des ÖPNV, die Nähe zur Natur oder die Höhe der Lebenshaltungskosten unterschiedlich große Rollen in der Beurteilung der eigenen Lebensqualität" (Fina et al. 2021, S. 3).
Gibt es auch innerhalb Westfalens Unterschiede speziell bei den Lebenshaltungskosten? Und wenn ja, sind sie so gravierend, dass sie die räumlichen Disparitäten entscheidend beeinflussen können?
Studie "Regionaler Preisindex"
In einer aufwändigen Studie, die das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) und das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) gemeinsam erarbeitet und im Oktober 2023 herausgegeben haben, werden speziell die Lebenshaltungskosten bzw. der "Regionale Preisindex" in den insgesamt 400 Kreisen und kreisfreien Städten Deutschlands für das Jahr 2022 untersucht. Hierfür mussten zunächst viele methodische Fragen geklärt werden, u.a.:
- Welche Daten zu Gütern und Dienstleistungen, die das Statistische Bundesamt im Zusammenhang mit dem "Warenkorb" erhebt, können und sollen in die Berechnungen einfließen?
- Wenn innerhalb von Kreisen die Daten uneinheitlich sind: Wie können dann die dortigen Durchschnittswerte ermittelt werden?
- Wie können bei den Wohnkosten – außer den aktuellen "Angebotsmieten" und den "Bestandsmieten" – auch Wohnkosten für selbstgenutztes Eigentum mit Hilfe der "Mietäquivalenzmethode" angemessen berücksichtigt werden?
In diesem Beitrag soll auf methodische Probleme nicht vertiefend eingegangen werden. Wichtig ist, dass für Deutschland insgesamt ein Durchschnitt errechnet wurde, der die Indexzahl 100 erhielt. So lässt sich bestimmen, wie stark hiervon die einzelnen Kreise und kreisfreien Städte nach oben oder unten abweichen.
Die Ergebnisse für Westfalen werden im Folgenden dargestellt.
Lebenshaltungskosten ohne Wohnkosten
Wenn man zunächst die Lebenshaltungskosten ohne die Wohnkosten betrachtet, wird deutlich, dass hierbei die Preisindizes in den Kreisen und kreisfreien Städten Westfalens nur sehr geringe Unterschiede untereinander aufweisen und auch nur geringfügig vom Bundesdurchschnitt abweichen. Die Werte liegen hier zwischen 99,1 in den Kreisen Coesfeld, Gütersloh sowie Unna und 101,3 in der kreisfreien Stadt Hagen.
Viele Waren werden in den Supermarktketten oder bei den Discountern eingekauft. Dort sind die Preise in der Regel überregional einheitlich. Auch die Einkäufe per Internet und durch die entsprechenden Lieferdienste nivellieren mögliche regionale Unterschiede. Ausgaben z.B. für die Mobilität, etwa die Benzinkosten, und solche für Dienstleistungen können allerdings sehr wohl regional unterschiedlich sein. Wenn etwa im Kreis Höxter längere Autofahrten unternommen werden müssen, um zur Arbeit oder zu einer zentralen Einrichtung zu kommen, kann sich dies durchaus auf die privaten Geldausgaben auswirken. Und auch andere Kostenfaktoren, z.B. die von den Kommunen festgelegten Hebesätze oder Entgelte, können durchaus eine Rolle spielen. Beispielsweise lag die "Grundsteuer B" im Jahr 2022 im Kreis Coesfeld – je nach Kommune – zwischen 410% und 590%, in Hagen dagegen bei 750%. Die Hebesätze für Gewerbesteuern lagen im Kreis Coesfeld zwischen 410% und 460%, in Hagen betrug der entsprechende Wert 520% (IT.NRW 2023). Auch die Kosten für die Ver- und Entsorgung sind unterschiedlich. Als Trinkwasser- und Abwasserentgelt musste man 2022 etwa im Kreis Paderborn 1,46 Euro bzw. 2,52 Euro pro Kubikmeter bezahlen, im Kreis Höxter dagegen 1,69 Euro bzw. 3,03 Euro (IT.NRW 2022). In Bezug auf die Abfallentsorgungsgebühren waren 2022 die Städte Bottrop, Bielefeld, Recklinghausen und Paderborn vergleichsweise günstig, die Städte Lünen, Iserlohn, Gütersloh, Dortmund, Hagen, Siegen dagegen relativ teuer (Kempermann et al. 2022, S. 4 ff.). Obgleich solche Kostenunterschiede jeweils nur einen kleinen Teil der durchschnittlichen Lebenshaltungskosten ausmachen, können sie sich dennoch auswirken.
Wohnkosten
Ein völlig anderes Bild ergibt sich, wenn man ausschließlich die Wohnkosten betrachtet. Sie machen 25,9% des "Warenkorbs" aus. In Westfalen reichte hierbei die Spanne der Preisindizes im Jahr 2022 von 77,4 im Hochsauerlandkreis bis 121,0 in Münster (Abb. 1). Die positiven und negativen Ausschläge gegenüber dem Durchschnittswert 100 sind also gravierend. Relativ geringe Wohnkosten gibt es außerdem noch in den Kreisen Höxter (Indexwert 79,2) sowie in Gelsenkirchen (80,6) und Hagen (80,7). Bei den höchsten Wohnkosten folgen – mit großem Abstand nach Münster – die Städte Bielefeld (95,6), Dortmund (94,2) und Bochum (92,5). Bis auf Münster blieben die Wohnkosten-Indexwerte demnach in allen Kreisen und kreisfreien Städten Westfalens unter dem Bundesdurchschnitt.
Dass die Werte in den großen Städten aufgrund ihrer Anziehungskraft ("Pull-Faktoren") höher sind als in eher ländlichen Regionen, trifft hier nicht generell zu. Gegen eine solche Verallgemeinerung sprechen die niedrigen Indexwerte z.B. in Gelsenkirchen und Hagen. Die Studie von BBSR/IW (2023, S. 44) sieht einen wichtigen Erklärungsansatz in der jeweiligen Bevölkerungsentwicklung. Unterdurchschnittliche Indizes weisen demnach alle Kreise und Städte mit Einwohnerverlusten auf, während stark wachsende Kreise und Städte mit einem jährlichen Zuwachs von mehr als 1% grundsätzlich höhere Werte beim Preisindex aufweisen.
In der Tat hat beispielsweise in Münster die Einwohnerzahl von 2012 bis 2022 um mehr als 24.000 (+8,2%) zugenommen. In Dortmund gab es im gleichen Zeitraum ein Plus von 3,7%, in Bochum von knapp 1%. Im Kreis Höxter (-1,3%) und im Hochsauerlandkreis (-0,8%) nahm dagegen die Einwohnerzahl ab.
Dass aber z.B. in Gelsenkirchen von 2012 bis 2022 die Bevölkerungszahl um 2,1% anstieg, macht deutlich, dass außer der Bevölkerungsentwicklung noch weitere Aspekte eine Rolle spielen müssen, etwa der verfügbare Wohnraum und dessen Entwicklung.
Gesamt-Preisindex
Aus den beiden erläuterten Teilindizes ergibt sich die Synthese des Gesamtindex (Abb. 2). In Westfalen bewegten sich dessen Werte – laut BBSR/IW (2023, S. 59) – zwischen 106,6 in Münster und 92,6 im Kreis Höxter. Für die Städte Bielefeld (98,4), Bochum und Dortmund (jeweils 97,9) wurden zwar innerhalb Westfalens recht hohe Zahlen errechnet, diese blieben aber dennoch knapp unter dem bundesdeutschen Durchschnitt. Am niedrigsten waren die Indexwerte – außer im Kreis Höxter – im Hochsauerlandkreis (93,7) sowie in Hamm (94,7) und Gelsenkirchen (94,9).
Im Vergleich zum deutschen Spitzenwert von 125,1 in München fällt der für Münster (106,6) relativ moderat aus. Die niedrigsten Indexwerte innerhalb Deutschlands gab es – mit Werten knapp unter 91 – u.a. in einigen Kreisen Ostdeutschlands. Hiervon allerdings sind die 92,6 für den Kreis Höxter nicht sehr weit entfernt.
Weiterführende Literatur/Quellen
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BBSR Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung / IW Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V. (Hg.) (2023): Regionaler Preisindex für Deutschland – ein neuer Erhebungsansatz mit Big Data. Bonn
(https://www.iwkoeln.de/fileadmin/user_upload/Studien/Gutachten/PDF/2023/Gutachten_Regionaler_Preisindex_2023.pdf) -
Fina, S., M. Frommhold-Eisebith und K. Voglmann (2021): Ungleiches Nordrhein-Westfalen. Gleichwertige Lebensverhältnisse für mehr Chancengleichheit und starke Zukunftsperspektiven. Bonn (Hg.: Friedrich-Ebert-Stiftung)
(https://library.fes.de/pdf-files/bueros/nrw/18321.pdf) -
IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2022): Verbrauchsabhängige Trink- und Abwasserentgelte in NRW 2012 bis 2022.
(https://www.it.nrw/sites/default/files/itnrw_presse/506_22.pdf) -
IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2023): Realsteuer-Hebesätze in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2022.
(https://www.it.nrw/system/files/media/document/file/204_23.pdf) -
Kempermann, H., J. Ewald, C. Kestermann, T. Okos und B. Zink (2022): Müllgebührenranking 2022. Müllgebühren im Vergleich. Die 100 größten deutschen Städte. Berlin/Köln
(https://www.hausundgrund.de/sites/default/files/downloads/mullgebuhrenranking-20220.pdf) -
https://www.bbsr.bund.de
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https://www.fes.de/landesbuero-nrw
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https://www.iwkoeln.de
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https://www.radiomk.de/artikel/guenstigere-lebenshaltungskosten-im-maerkischen-kreis-1807031.html
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https://www.wn.de/welt/wirtschaft/regionale-lebenshaltungskosten-wohnen-macht-den-unterschied-2853099
Erstveröffentlichung 2023