Die Zusammensetzung der Lehrerschaft an allgemeinbildenden Schulen in Westfalen
Im Schuljahr 2023/24 waren laut IT.NRW rd. 88.400 Lehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen in Westfalen tätig – und damit 1,8% mehr als im vorhergehenden Schuljahr 2022/23. Die Schülerzahl wuchs in diesem Zeitraum um 1,2% (destatis.de), wobei dieser Zuwachs hauptsächlich durch Zugewanderte – etwa aus der Ukraine – zustande kam. Die Herausforderungen für die Pädagoginnen und Pädagogen wurden dadurch erheblich größer (s. Beitrag Wittkampf). Tabelle 1 zeigt die Verteilung der Lehrkräfte auf die verschiedenen Schulformen im Schuljahr 2023/24.
Weitere Kennzahlen in Bezug auf die Zusammensetzung der Lehrerschaft betreffen z.B. die Anteile der Vollzeit- bzw. Teilzeitkräfte sowie die Geschlechterproportion. Diesbezüglich zeigen die von IT.NRW vorgelegten Daten für Westfalen Folgendes:
- Von allen Lehrkräften waren 74% weiblich, 26% männlich, wobei speziell im Grundschulbereich ca. 90% aller dort tätigen Lehrpersonen Frauen waren. In Realschulen beispielsweise betrug dieser Anteil 68%, in Gymnasien 61%.
- 55% der Lehrkräfte waren Vollzeitbeschäftigte, 45% Teilzeit- oder stundenweise Beschäftigte. Auch hier weist der Grundschulbereich mit insgesamt lediglich 45% Vollzeitbeschäftigten eine Besonderheit auf. Bezieht man sich nur auf die weiblichen Grundschullehrkräfte, betrug der Anteil der Vollzeitbeschäftigten ca. 42%.
Die Frauen- bzw. Männeranteile in der Lehrerschaft
Seit mehreren Jahren bereits ist zu beobachten, dass NRW-weit die Anteile der Lehrerinnen an der Lehrerschaft zu- und entsprechend die der Lehrer abnehmen. Lag der Männeranteil in der Lehrerschaft beispielsweise im Schuljahr 2005/06 laut IT.NRW noch bei ca. 33%, scheint mit den jetzigen 26% noch immer kein Ende des "Feminisierungstrends" erreicht zu sein. Speziell in den Grundschulen kommen Männer inzwischen nur noch auf einen Anteil von etwa 10% der Lehrkräfte. Diese Entwicklung wird z.T. sehr kritisch gesehen. Udo Beckmann, bis 2017 NRW-Landes- und bis 2022 Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, formulierte es bereits 2015 so: "Kinder brauchen sowohl weibliche als auch männliche Rollenvorbilder" (news4teachers.de, 02.11.2015).
Als Gründe für die Feminisierung der Lehrer- und speziell der Grundschullehrerschaft werden vor allem "traditionelle Rollenbilder" genannt, also "die Vorstellung, dass Frauen besser für die Betreuung und Erziehung von Kindern geeignet sind" (praxistipps.focus.de, 27.06.2023).
In den westfälischen Kreisen und kreisfreien Städten lag 2023/24 im Grundschulbereich der Frauenanteil zwar durchweg, wie anderswo auch, bei etwa 90%, dennoch gibt es einige bemerkenswerte Besonderheiten (Abb. 1). Wenn es stimmt, dass "traditionelle Rollenbilder" große Bedeutung haben, dann scheinen diese sich in den Münsterlandkreisen Coesfeld, Warendorf und Steinfurt, aber auch im Hochsauerlandkreis sowie im Kreis Olpe relativ stark auszuwirken. Hier lagen die Anteile jeweils über 90%. In Städten wie Bottrop, Bielefeld, Hagen oder Herne hingegen waren sie niedriger.
In insgesamt 44 westfälischen Kommunen gab es nach IT.NRW in den Grundschulen 2023/24 keine einzige männliche Lehrkraft. 18 dieser 44 Kommunen liegen in den Münsterlandkreisen Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf. In Telgte (Kr. Warendorf) beispielsweise wurden für das Schuljahr 2023/24 insgesamt 70 Grundschullehrerinnen, aber kein einziger Grundschullehrer gezählt.
Die Anteile der Voll- bzw. Teilzeitbeschäftigten
Der hohe Anteil an Teilzeit- bzw. stundenweise Beschäftigten gerade bei den Lehrkräften, ganz besonders bei jenen im Grundschulbereich, ist ein deutschlandweit anzutreffendes Phänomen. Wie bereits gesagt, arbeiten in Westfalen 45% aller Lehrkräfte als Teilzeit- oder stundenweise Beschäftigte (Frauen: 53%, Männer: 23%). Petra Büker, Professorin für Grundschulpädagogik und Frühe Bildung an der Uni Paderborn, nennt als einen wichtigen Grund für den sehr hohen Prozentsatz der Teilzeitarbeit bei Lehrerinnen "eine gute Vereinbarkeit mit der Familie" (Haller Kreisblatt, 02.12.2019).
Abbildung 2 zeigt die unterschiedlichen Anteile der Vollzeitbeschäftigten innerhalb Westfalens. Die höchsten Prozentsätze, jeweils deutlich über 60%, wiesen 2023/24 die Städte Gelsenkirchen, Herne und Hamm auf. Dementsprechend lagen dort die Quoten der Teilzeit-Lehrkräfte klar unter der 40%-Marke. Prozentual die wenigsten Vollzeit-Lehrkräfte hatte dagegen Münster (43%). Speziell in den Grundschulen Münsters waren nur 31% der Lehrkräfte Vollzeitbeschäftigte, 69% arbeiteten dort also in Teilzeit oder nur stundenweise (IT.NRW). Bei der Frage nach möglichen Gründen für die räumlichen Disparitäten, die es in dieser Hinsicht innerhalb Westfalens gibt, sollte man wohl auch die Frage bedenken, wie sehr und wo relativ viele Lehrkräfte finanziell auf eine Vollzeitstelle angewiesen sind.
Das von der NRW-Landesregierung Ende 2022 vorgestellte "Handlungskonzept zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung" beinhaltet u.a. das Bestreben, "Anträge der Lehrkräfte auf Teilzeitbeschäftigung, die nicht im Zusammenhang mit familiären Gründen stehen (z.B. Kinderbetreuung oder Pflege eines nahen Angehörigen)" nach Möglichkeit zu reduzieren. Diesem Ziel widersprachen Berufsverbände z.T. vehement. Die Vorsitzende des NRW-Philologenverbandes, Sabine Mistler, äußerte sich am 12.01.2024 folgendermaßen: "Viele unserer Kolleginnen und Kollegen (…) können einfach nicht mehr und flüchten sich regelrecht in die Teilzeit. Für viele Lehrkräfte ist Teilzeit ein Akt der Notwehr geworden" (PhV NRW 2024).
Die Belastungen der Lehrkräfte sind u.a. durch die Veränderungen der Schüler- und Elternschaft in letzter Zeit in der Tat erheblich gewachsen. Teilweise quittieren Lehrkräfte deshalb ihren Dienst oder fallen wegen Krankheit aus. Im Deutschlandfunk hieß es hierzu am 09.04.2024: "Die jüngste Statistik aus Nordrhein-Westfalen zeigt, dass im vergangenen Schuljahr fast fünf Prozent des Unterrichts ersatzlos ausgefallen sind. Hauptgrund ist der Personalmangel – und der hat seinen Grund auch in den vielen Krankmeldungen von Lehrkräften". Bei "Lehrer-News" hieß es am 14.02.2024: "NRW: Immer mehr Lehrkräfte geben auf".
Der Schulsozialindex
Um die Probleme besser einschätzen zu können, die durch die jetzige Zusammensetzung der Schülerschaft und durch die Elternhäuser den Alltag der Lehrkräfte inzwischen besonders belasten, wurde für das NRW-Schulministerium ein "Sozialindex für Schulen" entwickelt, der folgende vier Indikatoren berücksichtigt:
- Kinder- und Jugendarmut (Sozialraumindikator auf Basis der Quote der SGB II-Dichte),
- Anteil der Schülerinnen und Schüler mit vorwiegend nichtdeutscher Familiensprache,
- Anteil der Schülerinnen und Schüler mit eigenem Zuzug aus dem Ausland sowie
- Anteil der Kinder mit LSE-Förderung im Zusammenhang mit Kinder- und Jugendarmut (Landtag NRW o.J., S. 1).
Diesen Sozialindex gibt es seit 2020. Er umfasst neun Indexwerte, wobei "1" die "beste" und "9" die problematischste Stufe bedeutet. In der aktualisierten Fassung wurden für die Zeit ab dem Schuljahr 2024/25 für die einzelnen Schulen die Indexwerte errechnet. Wenn man diese Werte z.B. speziell nur für die Grundschulen der Stadt Gelsenkirchen und des Kreises Coesfeld vergleicht, zeigt sich Folgendes: Von insgesamt 40 Grundschulen in Gelsenkirchen erhielten 13 einen der "schlechtesten" Indexwerte, eine "8" oder "9". Eine "1" erhielt eine einzige Grundschule, eine "2" ergab sich bei fünf Grundschulen, der Gesamtdurchschnitt aller 40 Grundschulen betrug 5,83. Im Kreis Coesfeld lag der Durchschnittswert der 34 Grundschulen bei 2,15; eine "1" oder eine "2" wurde in 28 Fällen errechnet. Der schlechteste Wert, in einem einzigen Fall vergeben, war eine "5" (MSB NRW 2023).
Der Sozialindex stellt eine wichtige Grundlage zur Berechnung eventuell zusätzlich erforderlicher Stellen an Lehrkräften, sozialpädagogischen Fachkräften usw. dar.
Auf der Basis der Index-Neuberechnung ergibt sich für das Schuljahr 2024/25 voraussichtlich ein noch erheblich höherer Stellenbedarf als im Schuljahr 2023/24, als – nach "altem" Berechnungsmodus – der Bedarf bei 6.315 Stellen lag (Landtag NRW 2024). Einer der räumlichen Schwerpunkte ist dabei das Ruhrgebiet, speziell das nördliche Ruhrgebiet. Die Abordnung von Lehrkräften beispielsweise aus dem weiteren Umland dorthin ist zur Zeit (April 2024) in vollem Gange – und sorgt u.a. in Münster und in den Münsterlandkreisen für erhebliche Unruhe bei allen Beteiligten.
Das nördliche Ruhrgebiet ist auch ein Schwerpunkt bei Neueinstellungen, was sich auch auf den Prozentsatz der unter-35-jährigen Lehrkräfte auswirkt. Im Schuljahr 2023/24 lag dieser Prozentsatz z.B. in Gelsenkirchen bei 32%, in Bottrop bei 31%, in Münster dagegen nur bei 17% (IT.NRW).
Weiterführende Literatur/Quellen
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Deutschlandfunk, 09.04.2024/10.04.2024: Lehrkräfte im Teufelskreis: Hoher Krankenstand sorgt für weitere Krankmeldungen.
(https://www.deutschlandfunk.de/lehrkraefte-im-teufelskreis-hoher-krankenstand-sorgt-fuer-weitere-krankmeldungen-100.html) -
GEW Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hg.) (2018): Männer ins Grundschullehramt. Frankfurt a.M.
(https://www.gew.de/fileadmin/media/publikationen/hv/Hochschule_und_Forschung/Ausbildung_von_Lehrerinnen_und_Paedagogen/Zukunftsforum_Lehrer_innenbildung/190228_MaennerInsGrundschulamt_2018_A4_171218.pdf) -
Haller Kreisblatt, 02.12.2019: Warum wollen so wenige Männer an Grundschulen arbeiten?
(https://www.haller-kreisblatt.de/region/22628459_Warum-wollen-so-wenige-Maenner-an-Grundschulen-arbeiten.html) -
IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2016): Hauptamtliche und hauptberufliche Lehrer an allgemeinbildenden Schulen in Nordrhein-Westfalen. (https://www.it.nrw/sites/default/files/itnrw_presse/291_16.pdf)
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IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2023): Lehrkräfte an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen in NRW im Schuljahr 2022/23. (https://www.it.nrw/system/files/media/document/file/103a_23.pdf)
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IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024): Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen in NRW im Schuljahr 2023/24 nach Verwaltungsbezirk, Schulform, Geschlecht und Beschäftigungsart.
(https://www.it.nrw/system/files/media/document/file/107_24.pdf) -
Landtag Nordrhein-Westfalen (Hg.) (o.J.): Aktualisierung des Schulsozialindex im Schuljahr 2022/2023.
(https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV18-1569.pdf) -
Landtag Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024): Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3277 vom 1. Februar 2024 der Abgeordneten Dilek Engin und Kirsten Stich SPD, Drucksache 18/7959.
(https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMD18-8391.pdf) -
Lehrer-News, 14.02.2024: NRW: Immer mehr Lehrkräfte geben auf.
(https://www.lehrer-news.de/blog-posts/nrw-immer-mehr-lehrkraefte-geben-auf) -
MSB NRW Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2022): Handlungskonzept Unterrichtsversorgung.
(https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/handlungskonzept-unterrichtsversorgung-14-12-2022.pdf) -
MSB NRW Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2023): Übersicht über die Sozialindexstufen der Schulen nach Bezirksregierung, Kreis/kreisfreier Stadt und Schulform ab dem Schuljahr 2024/25.
(https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/schulsozialindex_schulliste_2024_2025.pdf) -
news4teachers (2015): Nur noch ein Viertel der Lehrkräfte sind männlich – VBE: Vorbilder aus beiden Geschlechtern nötig. (Pressemitteilung vom 02.11.2015)
(https://www.news4teachers.de/2015/11/nur-noch-ein-viertel-der-lehrkraefte-sind-maennlich-vbe-schueler-brauchen-vorbilder-aus-beiden-geschlechtern) -
PhV NRW Philologenverband Nordrhein-Westfalen (2024): Teilzeit bei Lehrkräften ist häufig ein Akt der Notwehr. (Pressemeldung vom 12.01.2024) (https://phv-nrw.de/2024/01/12/teilzeitquote-bei-lehrkraeften)
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Wittkampf, P. (2024): Ukrainische Schülerinnen und Schüler in Westfalen.
(https://www.westfalen-regional.de/de/ukrainische_schueler) -
https://praxistipps.focus.de/lehrer-in-deutschland-so-wenig-maenner-gibt-es-unter-den-fachkraeften_163050
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https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/03/PD24_101_211.html
Erstveröffentlichung 2024