Historische Stadtstruktur und neue städtische Funktionen – ein Rundgang durch die Altstadt von Lemgo

01.01.2009 Winfried Meschede

Inhalt

Geschichte der Altstadt

Die mittelalterliche Stadt Lemgo kann man mit den Begriffen fürstliche Gründungsstadt mit planmäßiger Erweiterung und Fernhandelsstadt mit Zugehörigkeit zur Hanse charakterisieren.

Nach dem Vorbild der 1120 von dem Fürstengeschlecht der Zähringer gegründeten, mit Kölner Stadtrecht ausgestatteten Stadt Freiburg im Breisgau und der von den Welfen gegründeten Städte München und Lübeck gründete Bernhard III. zur Lippe um 1190 Lippstadt und kurz darauf Lemgo. Hauptziel der nach dem Sturz Heinrich des Löwen 1180 einsetzenden zahlreichen fürstlichen Stadtgründungen war die Förderung von Handel und Gewerbe an Standorten mit günstiger Verkehrsposition, in der Regel in Tallage (vgl. Lemgos Lage in der Bega-Niederung) bei lediglich sekundärer Schutzfunktion. Angestrebt wurden nach C. Haase Stadtgrößen von 20 bis 50 ha gegenüber rund 100 ha der wenigen älteren "Großstädte" wie Köln oder dessen Ableger Soest (s. Beitrag Gorki).

Der Typus der lippischen geplanten Fürstenstadt ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet:
•  länglicher abgerundeter oder kreisförmiger Umriss,
•  von zwei parallelen Straßen begleitete Hauptachse (Mittelstraße in Lemgo),
•  zentrale Lage von Marktplatz, Rathaus und Hauptkirche nahe der Kreuzung der Hauptachse mit einer senkrechten Nebenachse (Breite Straße in Lemgo).
Abb. 1: Hexenbürgermeisterhaus (Foto: S. Althaus)

Um 1280 erfolgte eine Stadterweiterung durch Anlage einer südlich an die Altstadt angegliederten selbstständigen Neustadt mit eigener Kirche (Marienkirche) und zugehörigem zweiachsigen Straßensystem. Aus dem Jahr 1360 datieren die erste Ratsverfassung und die Vereinigung der beiden Städte zu einer Einheit mit gemeinsamer Verteidigungsanlage (Wall und Graben, später Stadtmauer).

Seit 1295 ist Lemgo Mitglied der Hanse (s. Beitrag Wieneke). In der Endphase der mittelalterlichen Städte Westfalens zwischen 1350 und 1500, in der nach C. Haase das Landesfürstentum zunehmend als Machtfaktor an Bedeutung gewann, kann sich Lemgo als größte lippische Handels- und Gewerbesiedlung weiter behaupten, ebenso in der nachfolgenden Zeit der Weserrenaissance. Es entstehen zahlreiche Zeugnisse einer glänzenden Baukultur (Fachwerk-Giebelhäuser und steinerne Prunkbauten wie das Hexenbürgermeisterhaus, Abb. 1).

Zwischen 1584 und 1587 baute Graf Simon zur Lippe die schon um 1300 erwähnte benachbarte Burg Brake zur Residenz aus (s. Beitrag Lüpkes). Zunehmende Bedeutung gewann seit Ende des 16. Jh.s das bis dahin unbedeutende Detmold als Standort eines neuen Schlosses im prächtigen Stil der Weserrenaissance. Nach der Teilung der Grafschaft 1621 in Schaumburg-Lippe und Lippe-Detmold wurde Detmold Regierungssitz. Dadurch und auf Grund des durch den 30-jährigen Krieg ausgelösten Niederganges er reichte Lemgo seinen Entwicklungstiefpunkt. Zum dunkelsten Kapitel der Stadtgeschichte gehören die berüchtigten Hexenverfolgungen in vier Wellen zwischen 1566 und 1681. Der Niedergang seit dem 30-jährigen Krieg hatte dazu geführt, dass noch bis 1890 die städtische Bebauung nur minimal über die mittelalterlichen Wallanlagen vorgedrungen war.

Erst nach dem späten Bahnanschluss 1905 begann das stetige Wachstum zu einer Stadt mit heute rund 42.000 Einwohnern.

Abb. 2: Baudenkmäler und neue städtische Funktionen Lemgos – Karte zum Altstadtrundgang

Stadterneuerung nach 1970

Die im Zweiten Weltkrieg unzerstörte Altstadt war bis 1970 durch negative Entwicklungsmerkmale wie Verfall der historischen Bausubstanz und ein mittelalterliches Straßennetz, das durch den Autoverkehr hoffnungslos überfordert war, gekennzeichnet. Nach 1970 wurde die durch das Städtebau-Förderungsgesetz angeregte dringend notwendige Altstadtsanierung in Angriff genommen. Das 1972 vorgelegte Sanierungsgutachten (Deilmann-Gutachten) sah den Abriss von 47 % aller Gebäude vor, außerdem einen Parzellen übergreifenden Geschosswohnungsbau und den kompromisslosen autogerechten Ausbau der Straßen mit zugehörigen Parkhäusern und Tiefgaragen im Stadtkern. Dieses Radikalkonzept wurde aber nicht realisiert. Stattdessen wurde ein vom städtischen Planungsamt entwickeltes neues Konzept der behutsamen "erhaltenden Erneuerung" in den nachfolgenden Jahren konsequent umgesetzt. Der wichtige erste Schritt dazu waren die Ausschreibung eines Wettbewerbs zur Erneuerung des zentralen Quartiers am Marktplatz und die mustergültige Umsetzung des Sanierungskonzeptes des Wettbewerb-Gewinners, des Kölner Architekten von Lom.

In den nachfolgenden Jahrzehnten wurden nicht nur der innerstädtische Straßenraum vom übermäßigen Autoverkehr befreit und zahlreiche hochkarätige Baudenkmäler restauriert, sondern auch die ursprünglich für den Abriss vorgesehenen Straßenzüge mit Kleinbürger-Häusern des 19. Jh.s (z. B. an der Orpingstraße) und zugehörigen Gärten als schutzwürdige Ensembles erhalten. Außerdem wurden zahlreiche historische Bauten durch neue öffentliche Funktionen (u. a. Verwaltung und Kultur) in das moderne städtische Leben integriert (Abb. 2). Wichtiges Hilfsmittel bei der Umsetzung der hochgesteckten Ziele war eine vom Rat der Stadt beschlossene Gestaltungssatzung.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: < 1 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2009