Ostwestfalen – Zentrum der Möbelindustrie

13.12.2023 Peter Wittkampf

Kategorie: Wirtschaft

Schlagworte: Westfalen · Ostwestfalen · Möbelindustrie

Inhalt

Sonderstellung

Ostwestfalen-Lippe (OWL), deckungsgleich mit dem Regierungsbezirk Detmold, wird in etlichen Publikationen als herausragendes "Möbelland" (moe­belkultur.de, 02.06.2022) genannt. Immer wieder wird OWL als "Wiege" (nrw-aktuell.net), als "Herz" (die-glocke.de, 18.09.2023), als "Zentrum" (archive.nrw.de, 04.11.2021) oder "Hotspot" (deutschlandfunkkultur.de, 25.10.2022) der Möbelindus­trie bezeichnet.

In der Tat arbeitet knapp ein Drittel der deutschlandweit in der Möbelindustrie Beschäftigten in Ostwestfalen. Und speziell die Küchenmöbelindus­trie in OWL erwirtschaftete 2022 "zwei Drittel des gesamten deutschen Umsatzes des Branchenzweigs Küche" (moebelkultur.de, 19.04.2023).

Tab. 1: Möbelindustrie in NRW: Betriebe und Beschäftigte 2022 (Quelle: IT.NRW)

Wenn speziell Ostwestfalen in Bezug auf die Möbelindustrie deutschlandweit eine solch bedeutende Rolle spielt, dann liegt es auf der Hand, dass sich dies natürlich nicht nur in den Statistiken für Deutschland, sondern auch in denen speziell für Nordrhein-Westfalen widerspiegelt. Die entsprechenden Zahlen für 2022 zeigt Tabelle 1.

In Ostwestfalen sind demnach ca. 53% aller Betriebe und gut 67% aller Beschäftigten der nordrhein-westfälischen Möbelindustrie konzentriert. Innerhalb von OWL ragen wiederum zwei Kreise ganz besonders heraus: In den Kreisen Gütersloh und Herford arbeiten allein ca. 70% aller Beschäftigten der Möbelindustrie des Regierungsbezirks Detmold (= OWL). Die teilräumliche Differenzierung der westfälischen Möbelindustriebetriebe zeigt Abbildung 1.

Auf der kommunalen Betrachtungsebene erweisen sich innerhalb von OWL die beiden Städte Bad Oeyn­hausen und Rheda-Wiedenbrück als besondere Konzentrationspunkte der Möbelindustrie, da hier jeweils mehr als sieben Unternehmen in dieser Branche tätig sind. Die Möbelproduzenten profitieren dort inzwischen auch von ortsansässigen Zulieferern, Dienstleistern etc., durch die diese Standorte an Attraktivität noch weiter gewonnen haben.

Abb. 1: Möbelindustrie in Westfalen − Anzahl der Betriebe in den Kreisen / kreisfreien Städten im Jahr 2022 (Quelle: IT.NRW)

Gründe und Hintergründe der Konzentration in OWL

Man könnte zunächst annehmen, dass die Verfügbarkeit von Holz ein besonders wichtiger Grund für die Entwicklung der Möbelindustrie gewesen sei. Dieser Standortfaktor war aber deutlich weniger wichtig als andere. Immerhin wird durch einen Blick auf Abbildung 1 deutlich, dass sich z.B. im Sauer- und Siegerland – trotz des dortigen Holzreichtums – kaum eine nennenswerte Möbelindustrie entwickelt hat. Sehr viel wichtiger für OWL waren folgende Gründe:

  • Verkehrsanbindung
    Für den Gütertransport (sowohl Holz als auch fertige Möbel) war zunächst die Weser von Bedeutung. Bad Oeynhausen-Rehme etwa wurde ab 1928 durch die Firma Landré & Bartels zu einem bedeutenden Holzumschlagplatz ausgebaut. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.s konnte die Eisenbahn genutzt werden (s. Beitrag Hübschen). Nach der Inbetriebnahme der Köln-Mindener Eisenbahn 1847, durch die u.a. das Ruhrgebiet erreichbar war, folgte von 1872 bis 1903 der Bau weiterer Eisenbahnstrecken, u.a. die wichtige Verbindung zum Eisenbahnknotenpunkt Altenbeken. Die Transportkosten per Bahn waren in preußischer Zeit sehr günstig, da der Staat u.a. die Frachttarife im Sinne der eigenen Wirtschaftsziele gestaltete. Autobahnen, wie die A 2 als wichtige West-Ost-Verbindung, folgten im 20. Jh.
     
  • Arbeitskräfte-Verfügbarkeit
    In Ostwestfalen gab es viele Wanderarbeiter, für die die neue Möglichkeit einer ortsnahen Arbeit sehr willkommen war. Hinzu kamen dort viele bisherige Leinenweber, die aufgrund der Industrialisierung in England und der Umstellung von Leinen auf Baumwolle nun hier in Ostwestfalen andere Verdienstmöglichkeiten als die bisherige Hausweberei suchten. Da beispielsweise in der Zigarrenproduktion (s. Beitrag Hamer) oder im fabrikmäßigen Nähen von Textilien typischerweise eher Frauen beschäftigt waren und andere Industriezweige sich in OWL zunächst nicht sehr stark entwi­ckelten, blieb den Männern längere Zeit fast nur die Arbeitsmöglichkeit in der sich etablierenden Möbelproduktion. Die Löhne blieben hier durch die kaum vorhandenen Alternativen niedrig – ein Vorteil für die Arbeitgeber.
     
  • Absatzmöglichkeiten
    Durch das Städtewachstum vor allem im Ruhrgebiet, aber auch in anderen Wirtschaftszentren wurden für viele Menschen und ihre Wohnungen Möbel gebraucht – wenn auch häufig nur Schlafräume und die fast typischen "Wohnküchen" auszustatten waren. Einige Möbelproduzenten in OWL stellten sich auf die entsprechenden Bedürfnisse ein und begannen mit der Serienproduktion preiswerter Möbel speziell für die Arbeiterfamilien etwa im Ruhrgebiet. 1861 gründete Gustav Kopka in Herford die erste Fabrik mit industrieller Serienfertigung vor allem von Küchenmöbeln. Andere Möbelproduzenten in Ostwestfalen folgten. Einige waren allerdings darauf bedacht, hochwertige Möbelprodukte z.B. für das "gehobene Bürgertum" herzustellen.
     
  • Agglomerations- und Fühlungsvorteile
    Das Wachstum der Möbelindustrie in OWL wurde auch durch andere Branchen gefördert, die sich hier flankierend niederließen. In Herford wurden z.B. ab 1872 von Meyer & Schwabedissen Holzbearbeitungsmaschinen entwickelt und hergestellt. In Detmold wurde 1893 – damals als eines von zwei Instituten in Deutschland – eine Tischlerfachschule gegründet, die auch kaufmännische und künstlerische Kenntnisse vermittelte.
Tab. 2: Möbelindustrie in Ostwestfalen – aktuelle Probleme und Lösungsversuche

Aktuelle Probleme

Die weltpolitische Lage, die Energiekrise, Teuerungsraten usw. machen der Möbelindustrie aktuell erheblich zu schaffen. Von Insolvenz oder der Übernahme beispielsweise durch chinesische Unternehmen ist in letzter Zeit öfters die Rede. Unternehmen, die in diesem Zusammenhang genannt wurden, waren u.a. BAX (Detmold), Karl W. Niemann (Preußisch Oldendorf), SieMatic (Löhne) sowie Poggenpohl (Herford).

Aus verschiedenen Internet-Auftritten der Unternehmen und Stellungnahmen durch Unternehmenssprecher der ostwestfälischen Möbelindustrie lassen sich verschiedene Lösungsversuche zentraler Probleme ableiten, die in Tabelle 2 aufgeführt sind.

Einige "große" Firmen konnten durch solche oder andere Strategien auch 2022 ein erhebliches Wachstum erzielen. Der Küchenhersteller nobilia beispielsweise, größtes Unternehmen der Branche mit Sitz in Verl (s. Beitrag Grothues), steigerte den Umsatz 2022 gegenüber dem Vorjahr um 11,9% auf jetzt rd. 1,7 Mrd. Euro. Das Exportgeschäft wuchs dabei noch deutlicher als der Inlandsumsatz. Die Mitarbeiterzahl erhöhte sich um knapp 6% auf 4.523 im Jahr 2022 (nobilia.de). Auch die nächstgrößeren Möbelindustrieunternehmen (u.a. Häcker Küchen in Rödinghausen, Nolte Küchen und die Baumann Group in Löhne) erreichten 2022 erhebliche Umsatzsteigerungen.

Aber nicht alle Unternehmen werden ihre Probleme bewältigen können. Branchenkenner gehen davon aus, dass bei einem zu erwartenden Verdrängungswettbewerb auch in Ostwestfalen manche der vielen Möbelindustrie-Unternehmen gezwungen sein werden, aufzugeben.

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Weiterführende Literatur/Quellen

  • Bonkamp, O. (2005): Kooperationen und Netzwerke in der Möbelindustrie der Region Ostwestfalen-Lippe. Paderborn (Dissertation and der Universität Paderborn)

  • Grothues, R. (2022): Verl als Zentrum der Küchenmöbelindustrie: Das Unternehmen nobilia.
    (https://www.westfalen-regional.de/de/nobilia)

  • IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2023): Verarbeitendes Gewerbe sowie Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden in Nordrhein-Westfalen 2022. Statistische Berichte. (www.it.nrw.de)

  • NRW-Aktuell (2022): Ostwestfalen – die Wiege der Möbelindustrie.
    (https://nrw-aktuell.net/ostwestfalen-moebelindustrie)

  • VHK Verbände der Holz- und Möbelindustrie Nordrhein-Westfalen (2023): Deutsche Küchenmöbelindustrie bekommt das schwache Konsumklima zu spüren.
    (https://www.vhk-herford.de/presse/artikel/deutsche-kuechenmoebelindustrie-bekommt-das-schwache-konsumklima-zu-spueren)

  • VHK Verbände der Holz- und Möbelindustrie Nordrhein-Westfalen (2023): In der Küchenmöbelindustrie in Ostwestfalen-Lippe werden zwei Drittel des bundesweiten Branchenumsatzes erwirtschaftet.
    (https://www.vhk-herford.de/presse/artikel/in-der-kuechenmoebelindustrie-in-ostwestfalen-lippe-werden-zwei-drittel-des-bundesweiten-branchenumsatzes-erwirtschaftet)

  • https://www.archive.nrw.de/kommunalarchiv-herford/owl-zentrum-der-deutschen-moebelindustrie

  • https://www.deutschlandfunkkultur.de/moebelhersteller-ostwestfalen-krise-100.html

  • https://www.die-glocke.de/kreis-guetersloh/rheda-wiedenbrueck/artikel/in-owl-schlaegt-das-herz-der-moebelindustrie-1695057126

  • https://www.moebelkultur.de/news/owl-kuechenmoebelindustrie-steht-fuer-zwei-drittel-des-branchenumsatzes

  • https://www.moebelkultur.de/news/wie-im-moebelland-ostwestfalen-produziert-wird

  • https://www.nobilia.de

  • https://www.westfalen-regional.de/de/eisenbahnnetz_1885

  • https://www.westfalen-regional.de/de/tabakindustrie_po

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Erstveröffentlichung 2023

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