Nationales Naturerbe in Westfalen
Dass sich die Sicherheitspolitik Deutschlands in den letzten Jahrzehnten stark verändert hat, wird auch an vielen Orten in Westfalen sichtbar: Bundeswehrstandorte werden reduziert, zudem sind verbündete Streitkräfte auf dem Abzug. Ehemals militärisch genutzte Liegenschaften – Standort- und Truppenübungsplätze, Kasernen, Munitionsdepots, Waffenlager, Schieß- und Flugplätze – werden in neue Nutzungsformen überführt (vgl. u.a. Schmidtchen 2007, Krajewski/Werring 2010 u. Büscher 2016).
Militärische Übungsgelände sind häufig für den Naturschutz von hoher Bedeutung: Sie unterscheiden sich von der umgebenden Kulturlandschaft oftmals durch ihre Großflächigkeit, ihre Unzerschnittenheit, ihren niedrigen Nährstoffgehalt, ihre mosaikartig verteilten Pflegestadien und die daraus resultierende wertvolle Biotopvielfalt und -qualität. Diese Flächen beheimaten vielfach seltene Tier- und Pflanzenarten, da keine Störungen durch Land- und Forstwirtschaft erfolgen.
Um die wertvollen Natur- und Kulturlandschaften nicht zu verlieren, forderten Naturschutzorganisationen um die Jahrtausendwende von der Bundesregierung, einen Teil dieser Liegenschaften des Bundes nach Aufgabe der Nutzung nicht zu privatisieren, sondern in die Hände des Naturschutzes zu geben. Unter dem Begriff "Nationales Naturerbe" wurden daraufhin zwischen 2005 und 2015 in drei Tranchen insgesamt rund 156.000 ha Fläche des Bundes unter strengen Naturschutzauflagen auf die Naturerbe GmbH der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU), die Länder und Naturschutzorganisationen übertragen. Ein kleiner Teil davon verbleibt weiterhin im Bundeseigentum.
Die Vereinbarung über das Nationale Naturerbe gilt im Allgemeinen als "beispielhafte Initiative des Bundes", "historische Chance", "Sternstunde", "wichtiger Meilenstein" und "Erfolgsgeschichte im deutschen Naturschutz".
Nationales Naturerbe als neue Schutzgebietskategorie?
Die als Nationales Naturerbe gesicherten Gebiete stellen keine neue Schutzgebietskategorie im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes dar. Allerdings sind diese Flächen zu einem Großteil Bestandteil von Schutzgebieten. Sie befinden sich beispielsweise in Nationalparks, Biosphärenreservaten oder in Natur- oder Landschaftsschutzgebieten. Gebiete, die noch keinen Schutzstatus besitzen, sollen mittelfristig als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden.
Übertragung von Flächen in Westfalen
Die Flächen des Nationalen Naturerbes verteilen sich über ganz Deutschland, wobei sich der Großteil der Gebiete in den neuen Bundesländern befindet. Dort sind neben den Liegenschaften der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) – überwiegend ehemalige Militärflächen – auch einstige Braunkohleabbauflächen der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) sowie für den Naturschutz wertvolle Flächen der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) zur Verfügung gestellt worden.
In ganz Nordrhein-Westfalen wurden etwa 8.500 ha zum Zwecke des Naturschutzes übertragen.
Westfalenweit bilden zwölf Flächen mit insgesamt etwa 4.800 ha Fläche die Kulisse des Nationalen Naturerbes (Abb. 1). Dabei sind ausschließlich ehemals militärisch genutzte Flächen in die Hände des Naturschutzes gegeben worden. Diese Naturerbeflächen sind zwischen 100 ha (Fläche "Cosfeld") und 1.570 ha (Fläche "Borkenberge") groß. Die neuen Flächeneigentümer in Westfalen – die Naturerbe GmbH der DBU, die NRW-Stiftung, die NABU-Stiftung Nationales Naturerbe sowie der Bund selbst – müssen die Folgekosten übernehmen und auch die wertvollen Naturschutzflächen langfristig erhalten oder entwickeln. Dabei sind strenge naturschutzfachliche Bedingungen einzuhalten und die Leitbilder für jedes Gebiet mit dem Bundesamt für Naturschutz abzustimmen. Oft sind die Flächen auf Wegen für die Öffentlichkeit zugänglich, sofern sich keine Gefahren aus der militärischen Nutzung ergeben und für die Tier- und Pflanzenwelt sensible Bereiche nicht gestört werden. Zudem ist ein flächendeckendes Monitoring auf diesen Arealen geplant.
Westfalens Nationales Naturerbe – Beispiele
Westfalens größtes Naturerbegebiet "Borkenberge" befindet sich im Südwesten des Münsterlandes. Zunächst seit Ende des 19. Jh.s als Schießplatz genutzt, diente die Fläche im Zweiten Weltkrieg als Flugplatz, bevor das britische Militär nach Kriegsende das Gelände übernahm. Seit 2016 ist die DBU Naturerbe GmbH Eigentümerin der großen, unzerschnittenen Sandlandschaft mit Offenlandlebensräumen und lichten Wäldern. Das Zentrum bildet eine große, artenreiche Heidefläche mit Mooren. Insbesondere die Übergangsbereiche zwischen Wald und Heide sind für seltene Tierarten von großer Bedeutung (Abb. 2). Das Gebiet ist bereits als Naturschutzgebiet und europäisches Schutzgebiet nach der sog. FFH-Richtlinie (Flora-Fauna-Habitat) ausgewiesen. Ein etwa 5 km langer Weg ist für Erholungssuchende freigegeben.
Die 224 ha große Naturerbefläche "Brenker Mark" im Kreis Paderborn ist bis vor der Ausweisung des Landschaftsschutzgebietes "Bürener Wälder" im Jahr 2007 als Standortübungsplatz der Bundeswehr genutzt worden. In den Wäldern sind einzelne alte Eichen sowie Hainbuchen vorzufinden, die auf die historischen Waldnutzungsformen des Nieder- und Mittelwaldes hinweisen. Inmitten des Waldes befinden sich drei parkähnliche Flächen mit Magergrünland, auf denen Solitäreichen wachsen (Abb. 3). Dieses Landschaftsbild ist einzigartig in der Region.
Das 132 ha große Naturerbegebiet "Lünten" an der niederländischen Grenze wurde zu Beginn des 20. Jh.s vom damaligen Provinzialverband für die Provinz Westfalen als Heidelandschaft mit Mooren erworben. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es in Bundesbesitz über und wurde bis 2009 als Munitionsdepot der Bundeswehr genutzt. Heute ist das Gebiet fast vollständig bewaldet. Ein naturnaher Bach durchzieht die Fläche. Das Areal zählt zur Kulisse der EU-Vogelschutzgebiete.
Erfolgsgeschichte des Nationalen Naturerbes geht weiter
Nach der erfolgreichen Übertragung von bundesweit etwa 156.000 ha Fläche in drei Tranchen hat die aktuelle Bundesregierung von CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag von 2018 vereinbart: "Das erfolgreiche Programm ‚Nationales Naturerbe‘ werden wir mit einer vierten Tranche über 30.000 Hektar, darunter 20.000 Hektar von der Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH, fortsetzen" (S. 139). Im Hinblick auf den bestehenden Nutzungsdruck auf Flächen handelt es sich hierbei um eine beachtliche Flächengröße. Weiterhin ist die Flächenübernahme jedoch mit z.T. hohen Ausgaben für die neuen Eigentümer verbunden, beispielsweise für Verkehrssicherung, Beseitigung von Altlasten, Besucherlenkung, Pflegemaßnahmen und Steuern. Umweltverbände fordern daher die Etablierung eines staatlichen "Naturerbefonds" zur Finanzierung der Folgekosten. Ob dieser eingerichtet und zu einer Entlastung der westfälischen Flächeneigentümer beitragen kann, bleibt abzuwarten.
Weiterführende Literatur/Quellen
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BfN Bundesamt für Naturschutz (Hg.) (2015): Nationales Naturerbe. In: Natur und Landschaft – Zeitschrift für Naturschutz und Landschaftspflege, Heft 3/2015. Bonn |
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BMUB Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hg.) (2017): Das Nationale Naturerbe. Naturschätze für Deutschland. Frankfurt |
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Büscher, W. (2016): Konversion des Gütersloher Flughafens. In: Grothues, R., K.-H. Otto und M. Wieneke (Hg.): WESTFALEN REGIONAL, Band 3. Münster, S. 316f. (= Siedling und Landschaft in Westfalen, Band 41) |
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Deutscher Rat für Landespflege (Hg.) (1993): Truppenübungsplätze und Naturschutz. |
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Krajewski, C. und J. Werring (2010): Neue Stadtquartiere in Münster durch Konversion militärischer Liegenschaften. In: Heineberg, H., M. Wieneke und P. Wittkampf (Hg.): WESTFALEN REGIONAL, Band 2. Münster, |
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Otto, K.-H. und T. Schmitt (2020): Flächen des Naturschutzes in Westfalen. Münster (= Atlas von Westfalen, Band 3) |
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Schmidtchen, V. (2007): Konversion militärisch genutzter Flächen – ein Problem auch in Westfalen. |
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www.bfn.de/themen/nationales-naturerbe.html |
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www.bmu.de/themen/natur-biologische-vielfalt-arten/naturschutz-biologische-vielfalt/gebietsschutz-und-vernetzung/nationales-naturerbe |
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www.cdu.de/system/tdf/media/dokumente/koalitionsvertrag_2018.pdf |
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www.dbu.de/naturerbe |
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www.naturstiftung-david.de/netzwerk/flaechensicherung |
Erstveröffentlichung 2020