Westfälische Nutztierrassen

06.03.2020 Christiane Boll

Kategorie: Naturraum

Schlagworte: Westfalen · Naturschutz · Fauna · Pferd · Kulturlandschaft · Gans · Rind · Tierhaltung

Inhalt

Nicht nur Wildpflanzen, Wildtiere, alte Obst- und Gemüsesorten (s. Beitrag Grote), sondern auch früher weit verbreitete Nutztierrassen sind vom Aussterben bedroht. Seit Beginn der modernen Tierzucht in den 1970er Jahren hat sich die Nutztierhaltung stark verändert, und wenige spezialisierte Hochleistungsrassen haben viele der in Westfalen über Generationen gezüchteten alten Rassen verdrängt. Während in der heutigen Tierhaltung oftmals allein die Fleisch- oder Milchmenge sowie eine gewisse Stressresistenz der Tiere von Bedeutung sind, weisen alte Nutz­tierrassen individuelle und wertvolle Eigenschaften wie Standortangepasstheit, Genügsamkeit, Langlebigkeit und Widerstandsfähigkeit gegenüber Krankheiten auf. Um in Zukunft auf sich ändernde Umweltverhältnisse, Bewirtschaftungsmethoden und Verbraucher­erwartungen reagieren zu können, ist die Erhaltung der genetischen Vielfalt unerlässlich. Daneben sind alte Rassen ein zu schützendes, oft regionales Kulturgut. Den vorhandenen Reichtum an Nutztierrassen gilt es nicht nur in Zoos oder Gendatenbanken, sondern auch in Lebend­erhaltung auf westfälischen Höfen zu bewahren. Oft verrät allein der unverkennbare Name die Herkunft einer Rasse.

Abb. 1: Sennerstute mit Fohlen (Foto: Jähne, LWL-Freilichtmuseum Detmold)

Pferde

Die wohl bekanntesten Pferderassen westfälischen Ursprungs sind das Dülmener und das Senner Pferd: Vermutlich gäbe es die Dülmener ohne den Einsatz Herzog Alfred von Croys heute nicht mehr. Er zäunte 1847 ein Gehege für zwanzig wildlebende Pferde im Merfelder Bruch bei Dülmen ein und sicherte so ihre Erhaltung, da ihr Lebensraum durch die Intensivierung der Landwirtschaft im 19. Jh. immer knapper wurde. Als letztes europäisches Wildbahngestüt besteht es noch heute (s. Beitrag Scholz). Das halbwilde Kleinpferd gilt als robust, ausdauernd sowie ausgeglichen und weist einen für Wildpferde typischen Aalstrich von der Mähne bis zum Schweif auf.

Erstmals 1160 urkundlich erwähnt, gelten die Wildpferde aus der Senne als eine der ältesten Pferderassen Deutschlands. Im LWL-Freilichtmuseum in Detmold wird ihnen eine eigene Dauerausstellung gewidmet. Die Senner Pferde (Abb. 1) beeinflussten mit ihrer Fraß- und Trittwirkung über Jahrhunderte die Heideentwicklung in der Senne und sind somit eng mit ihrer Landschaftsgeschichte verbunden. Nach fast einem Jahrhundert der Abwesenheit ist die Pferderasse 1999 im Rahmen eines Beweidungsprojektes in die Senne zurückgekehrt. Na-turschutzfachliche Landschaftspflege wird so mit der Erhaltung einer vom Aussterben bedrohten Art kombiniert.

Das Arenberg-Nordkirchener Pony konnte – ähnlich wie bei den Dülmenern – dank der vorübergehenden Zucht in einem Wildbahngestüt im südlichen Münsterland durch Herzog Engelbert von Arenberg erhalten werden. Sie werden als langlebige und nervenstarke Ponys beschrieben.

Rinder

Mit dem Namen "Rotes Höhenvieh" werden heute mehrere Rotviehschläge (Ausprägungen) der deutschen Mittelgebirge zusammengefasst. Rotviehschläge aus der Ursprungsregion Westfalen sind das Sauer- und Siegerländer Rotvieh. In der ersten Hälfte des 20. Jh.s war die Arbeitsleis­tung des Rotviehs neben der Fleisch- und Milchleistung ein wichtiges Kriterium zur Wahl der Dreinutzungs-Rinderrasse, da sich die Kleinbauern des Sauer- und Siegerlandes oft kein Zugpferd leisten konnten. Durch die moderne Landwirtschaft verlor das Rote Höhenvieh als Arbeitstier an Bedeutung und wurde durch Hochleis­tungsrassen ersetzt. Heute kehrt es zur Landschaftspflege auf die Wiesen des Sauer- und Siegerlandes zurück.

Als Rotbunte in Doppelnutzung wird eine Rinderrasse bezeichnet, deren Zucht neben weiteren Ursprungsregionen auch im Münsterland begann. Da sie sowohl als Milchkühe als auch als Fleischlieferant dienen können, ist die Rinderrasse flexibel einsetzbar. Derzeit ist der Bestand noch nicht akut gefährdet, dennoch nehmen die Bestandszahlen seit einigen Jahren kontinuierlich ab.

Hühner

Die Hühnerrasse Krüper wurde bereits im 16. Jh. unter dem Namen "Kriecher" erwähnt und gilt als eine der ältesten deutschen Geflügelrassen. Die Besonderheit der überwiegend in Westfalen und dem Bergischen Land gezüchteten Krüper ist ihre Kurzbeinigkeit. Sie verhinderte, dass die Hühner bei der Futtersuche weit ausliefen und auf den Äckern der umliegenden Bauern scharrten.

Das Westfälische Totlegerhuhn ist eine alte Hühnerrasse mit einer bis in das 19. Jh. als vergleichsweise hoch geltenden Legeleistung von etwa 180 bis 200 Eiern im Jahr. Umgangssprachlich wurden sie daher "Dauerleger" oder auf Plattdeutsch "Daudtleijer" genannt, woraus sich im Hochdeutschen schließlich "Totleger" festigte. Die im Teutoburger Wald und Ravensberger Hügelland gezüchtete Rasse mit gesprenkeltem Gefieder gilt als widerstandsfähig, fleißig im Suchen von Futter und als leicht aufziehbar.

Das außergewöhnlich gefärbte Lakenfelder Huhn verdrängte in der Mitte des 19. Jh.s die Totleger fast vollständig. Es ist an Kopf, Hals und Schwanz schwarz gefärbt, der restliche Körper ist überwiegend weiß gefiedert. Die Färbung erinnert an ein weißes Laken auf einem schwarzen Feld und lässt auf die Herkunft der Rassebezeichnung schließen. Gezüchtet wurde es in der Umgebung von Dielingen südlich des Dümmer Sees.

Abb. 2: Lippegänse (Foto: Jähne, LWL-Freilichtmuseum Detmold)

Gänse

In der Lippeniederung zwischen den Städten Lippstadt, Soest und Paderborn gezüchtet, wurde die Lippegans (Abb. 2) wegen ihrer Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten, ihrer Wetterfestigkeit und der Möglichkeit der Haltung als Weidegans ohne Zufütterung geschätzt.

Trotz dieser Eigenschaften konnte sie sich nicht weit über Westfalen hinaus verbreiten.

Tab. 1: Nutztierrassen mit Ursprungsgebiet in Westfalen (Quelle: GEH 2019)

Westfälische Nutztier-Archen sichern die genetische Vielfalt

Die beschriebenen westfälischen Rassen werden auf der Roten Liste der bedrohten Nutztierrassen in Deutschland geführt (Tab. 1), auf der bundesweit über 100 Rassen gelistet sind. Der bundesweite Verein "Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V." (GEH) aktualisiert die Rote Liste jährlich, unterstützt die Halterinnen und Halter bei der Lebenderhaltung der alten Rassen und betreibt Öffentlichkeitsarbeit, wie z.B. das 1995 ins Leben gerufene "Arche-Projekt": Die GEH zeichnet einen Hof als "Arche-Hof" aus, wenn dieser Mindestbestandsgrößen erreicht sowie ein Austausch mit anderen Züchtern stattfindet. "Arche-Parks" werden für ihre Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit zertifiziert. Als "Arche-Dorf" wird ein Zusammenschluss von mindestens vier Arche-Betrieben ausgezeichnet, während in einer "Arche-Region" die Betriebe in einer größeren Region angesiedelt sind.

In Westfalen werden auf insgesamt sechs Arche-Höfen und in zwei Arche-Parks (Stand 2019) alte westfälische Nutztierrassen gehalten. Darüber hinaus gibt es mit der Wildpferdebahn in Dülmen, dem Beweidungsprojekt in der Senne und dem Freilichtmuseum in Detmold weitere Standorte in Westfalen, an denen westfälische Nutztierrassen zu finden sind (Abb. 3). Diese gehören allerdings nicht dem Arche-Projekt der GEH an.

Abb. 3: Haltungen westfälischer Nutztierrassen (Stand 2019) (Quelle: Eigene Darstellung nach www.g-e-h.de)

Zur Zukunft der alten Nutztierrassen

Alte Nutztierrassen können nur dann erhalten werden, wenn die Produkte der Rassen auch nachgefragt werden oder deren Landschaftspflegeleistung entsprechend honoriert wird. Der Trend zum Kauf regionaler Produkte nimmt stetig zu, und Regionalität gehört mittlerweile für den Verbraucher zu den wichtigsten Kriterien beim Einkauf. Erfreulich ist zudem, dass es für die Haltung des Dülmener und Senner Pferdes sowie für die Schläge des Roten Höhenviehs und der Rotbunten in Doppelnutzung in Nordrhein-Westfalen derzeit (Stand 2019) eine Prämie gibt, die auf Antrag bei der Landwirtschaftskammer ausgezahlt wird. Dennoch sind die meisten der westfälischen Nutztierrassen weiterhin extrem gefährdet. Daher sind auch in Zukunft Maßnahmen erforderlich, um diese Rassen als genetische Ressource und als kulturelles Erbe zu erhalten.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: < 1 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2020