Westfälische Obstsorten

20.04.2021 Christiane Boll

Kategorie: Naturraum

Schlagworte: Westfalen · Vegetation · Obst · Landwirtschaft · Garten

Inhalt

Die unterschiedlichen Gerüche und Aromen sind beeindruckend: Allein vom Apfel, dem Lieblingsobst der Deutschen, soll es schätzungsweise 30.000 Sorten auf der Welt geben, etwa 2.000 davon in Deutschland. Im Discounter scheint die Auswahl an Obstsorten auf den ersten Blick groß zu sein, jedoch sind zumeist immer wieder die gleichen, eintönigen Kern-, Stein-, Beeren- und Schalenobstsorten (dazu gehört z. B. die Walnuss) zu finden.

Obstwiesen – früher und heute

Früher waren Obstbaumwiesen und -weiden mit vielen verschiedenen Sorten ein typisches Landschaftselement, das fast an jedem westfälischen Hof zu finden war. Obstbaumalleen und -reihen gliederten die offene Landschaft und waren nicht nur zur Blütezeit ein Blickfang. Über Generationen hinweg wurden Hochstamm-Sorten angebaut, die besonders gut an Boden und Klima einer Region angepasst und damit weniger krankheitsanfällig waren, was wiederum den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduzierte. Durch den rentableren Niederstamm-Plantagenobstanbau seit Mitte des 20. Jh.s nahmen die Bedeutung der Obstwiesen sowie die Anzahl an alten regionalen Sorten und das Wissen darüber ab. Streuobstwiesen galten als Auslaufmodell und abgestorbene Bäume wurden oft nicht ersetzt.

Inzwischen wurde erkannt, welchen unschätzbaren Wert die sortenreichen alten Obstwiesen als Lebensraum für diverse Arten, wie Steinkauz, Grünspecht und Fledermäuse, aber auch als Nektarquelle für Insekten sowie für die Erhaltung regionaler genetischer Ressourcen haben. Es ist wieder von Interesse, welche Sorten sich zum Saftpressen, Kuchenbacken, Dörren, Lagern oder zur Herstellung von Obstbrand eignen. Zudem ist die besondere Verträglichkeit einiger alter Obstsorten für Menschen mit Allergien oder Diabetes von großer Bedeutung.

Abb. 1: Apfelsorte "Tannenkrüger", auch als "Lippische Goldparmäne" bekannt (Foto: L. Bünger)

Erstaunliche Obstsortenvielfalt in Westfalen

Weil die meisten Obstsorten westfälischen Ursprungs selten in der Literatur beschrieben sind, oft nur mündlich überliefert wurden und einen geringen Bekanntheitsgrad haben, ist die Erfassung alter Obstsorten schwierig, aber natürlich außerordentlich wichtig für die Sicherung genetischer Ressourcen. Um die Vielfalt der westfälischen Obstsorten vor dem Verschwinden zu bewahren, koordinierte der Naturschutzbund Deutschland, Landesverband NRW (NABU NRW) von 2012 bis 2015 die Erfassung lokaler und regionaler alter Obstsorten in Westfalen im Rahmen des Projektes „Erhalt der genetischen Ressourcen im Obstbau in NRW“. Es wurde vom nordrhein-westfälischen Umweltministerium und der EU gefördert. Gemeinsam mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland in NRW (BUND NRW) und dem Pomologen-Verein wurden 84 in Westfalen regional und lokal verbreitete Apfel-, Birnen-, Kirsch- und Pflaumensorten identifiziert und vermehrt.

Zahlreiche Apfelsortennamen haben Bezug zu westfälischen Gemeinden (z. B. "Biesterfelder Renette", "Bürener Zitronenapfel", "Brakeler Apfel" (s. Kasten), "Dülmener Rosenapfel", "Extertaler Katzenkopf", "Freudenberger Nützerling", "Geseker Klosterapfel", "Lahder Pigeonette", "Paderborner Seidenhemdchen","Schöner aus Wiedenbrück" oder "Tannenkrüger/Lippische Goldparmäne"; Abb. 1; s. Beitrag Grote), zu einer westfälischen Region (z.B. "Gelber Münsterländer Borsdorfer" oder "Roter Münsterländer Borsdorfer") oder zum Landesteil selbst (z.B. "Westfälischer Frühapfel", "Westfälische Tiefblüte" oder "Westfälischer Gülderling").

Abb. 2: Sortengärten und Sortensammlungen in Westfalen (Stand 2015) (Quelle: Eigene Darstellung nach www.nrw.nabu.de/.../23861)

Als lokale oder regionale Birnensorten sind die "Westfälische Glockenbirne" und die "Winterköttelbirne" (s. Kasten) zu nennen, als Kirschsorte die "Dudenrother Knorpelkirsche".

Neben den 84 Regional- und Lokalsorten besteht für viele weitere Sorten noch Forschungsbedarf hinsichtlich der Namensgebung, ob es tatsächlich Lokal-/Regional- oder doch überregionale Sorten sind oder in Hinblick auf pomologisch bislang unbekannte Sorten.

Forschungsergebnis war u.a. auch, dass die Hellwegregion einen Schwerpunkt des Birnenanbaus darstellt und in Hamm und im Süden von Minden-Lübbecke zwei kleinere Kirschanbaugebiete identifiziert wurden. Zudem konnten alle bekannten öffentlichen und privaten Sortengärten und -sammlungen in Westfalen zusammengestellt werden (Abb. 2).

Die Sortenlisten des Forschungsprojekts mit Hinweisen u.a. zu den 84 Regional- und Lokalsorten sind abrufbar unter www.nrw.nabu.de/natur-und-landschaft/landnutzung/streuobst/lokale-obstsorten-erhalten.
Auf www.obstsortenerhalt.de/nrw-projekt sind die Regional- und Lokalsorten den Kreisen und kreisfreien Städten zugeordnet und angegeben, wo diese Sorten bezogen werden können.

Anpflanzung von Obstbäumen

Zur Erhaltung alter Obstsorten kann jede Besitzerin und jeder Besitzer eines Gartens oder einer Wiese beitragen. Die Sortenauswahl erfolgt nach Standort, gewünschtem Reifezeitpunkt und geschmacklicher Vorliebe. Eine windoffene Lage ist vorteilhaft gegenüber Krankheiten wie Pilzinfektionen. Gerade im ersten Jahr ist auf genügend Wasserzufuhr zu achten. Ein jährlicher Erziehungsschnitt in den ersten zehn Jahren sowie anschließende Verjüngungsschnitte sind wichtig, um ein Baumalter von 80 bis 100 Jahren zu erreichen.

In der Broschüre "Alte Obstsorten neu entdeckt für Westfalen und Lippe" (Bannier 2017) heißt es: "Mit neu gepflanzten Obstbäumen ist es ähnlich wie mit den eigenen Kindern: je mehr Liebe, Aufmerksamkeit und Zuwendung wir ihnen in den ersten Lebensjahren schenken, desto mehr Freude haben wir mit ihnen und desto besser kommen sie im fortgeschrittenen Alter auch mit verminderter Zuwendung zurecht." 

Mit der ersten Ernte kann nach etwa fünf bis zehn Jahren gerechnet werden. Beim Genuss der frischen oder verarbeiteten Früchte zeigt sich, dass sich die Mühe des Pflegens und der Ernte lohnt!

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2021