Eine große Zahl von Städten wurde durch die Kriegszerstörungen und vor allem die flächenhaften Stadtsanierungen der 1960er und 1970er Jahre ihrer städtebaulichen Vergangenheit beraubt. Erst mit einem städteplanerischen Paradigmenwechsel hin zum Konzept der erhaltenden Stadterneuerung in den 1980er Jahren erhielten noch vorhandene historische Stadtgrund- und -aufrisse die Chance, ihr historisches Erbe unter dem Leitbild einer behutsamen Stadterneuerung zu bewahren. Stichworte sind hierbei u. a. Wohnumfeldverbesserung, Modernisierung, altstadtverträgliche Umnutzung vorhandener Stadtstrukturen, maßstäbliche Bebauung. Als ein Ergebnis dieser Entwicklung wurde in NRW im Jahre 1985 durch das Ministerium für Stadtentwicklung und Verkehr ein Programm zur Erhaltung und Erneuerung historischer Stadtkerne in Klein- und Mittelstädten initiiert. Die für das Förderprogramm geeigneten Stadtkerne wurden in Kooperation mit dem Rheinischen und dem Westfälischen Amt für Denkmalpflege ausgewählt. In der Anfangsphase wurden 24 Städte vorgeschlagen. In Folge der Förderung gründeten sich 1987 die Arbeitsgemeinschaft der historischen Stadtkerne (mit aktuell 37 Städten in NRW) und 1990 die Arbeitsgemeinschaft der historischen Ortskerne (mit aktuell 19 Orten in NRW). Ziel dieser Arbeitsgemeinschaften ist eine Intensivierung des fachlichen Austauschs zu den spezifischen Fragen der Stadterneuerung in historischen Siedlungskernen sowie die Bekanntmachung des historischen städtebaulichen Erbes über die Landesgrenzen hinaus.
Historische Stadt- und Ortskerne in Westfalen
Trotz unterschiedlicher Größe (Tab.1) und einer Funktionsvielfalt, die von einer weitgehenden Wohnfunktion (z. B. Lügde) über ausgeprägte touristische Funktionen als Kur- und Fremdenverkehrsort (z. B. Bad Salzuflen, Tecklenburg) bis zu einer großen Bedeutung als zentrale Einkaufsbereiche (z. B. Detmold, Lemgo) geht, sind die Probleme der Stadt- und Ortskerne ähnlich gelagert. Beispielhaft seien hier die Flächenansprüche vor allem durch den Einzelhandel sowie den motorisierten Individualverkehr zu nennen. Die Arbeitsgemeinschaften haben vor dem Hintergrund der heterogenen Problemlagen in den verschiedenen Städten eine Reihe von gemeinsamen Maßnahmenschwerpunkten herausgearbeitet:
- Erhaltung und Wiederherstellung des historischen Stadtgrundrisses,
- Erhaltung und Instandsetzung der noch vorhandenen Befestigungsanlagen und Schutz der Stadtsilhouette,
- Sicherung verfallsbedrohter Baudenkmäler, Umnutzung funktionslos gewordener Gebäude,
- Modernisierung von Altbauten, um ein breites Angebot an preiswerten und attraktiven Wohnungen
zur Verfügung stellen zu können,
- Schließen von Baulücken durch maßstäblichen Wohnungsneubau,
- Innenhofentkernung und Gestaltung privater Freiflächen,
- Aufwertung öffentlicher Grün- und Freiflächen,
- Begrünung der ehemaligen Wall- und Grabenzone als Zäsur zu später entstandenen Siedlungsgebieten,
- Rekonstruktion des historischen Wegenetzes und Freilegung von alten Bachläufen,
- Entlastung vom Durchgangsverkehr,
- flächenhafte Verkehrsberuhigung,
- nicht störende Unterbringung des ruhenden Verkehrs.
Das wichtigste Mittel zur Erreichung dieser Ziele ist neben dem Bebauungsplan - dies vor allem bei den größeren Städten - die städtebauliche Rahmenplanung. Hinzu kommen in vielen der beteiligten Kommunen Gestaltungssatzungen (§ 81 Bauordnung NRW), die z. T. ergänzt werden durch Werbesatzungen sowie Stellplatz- und Erhaltungssatzungen (§ 172 Baugesetzbuch). Bei allen Maßnahmen, die durch die oben genannten Mittel angestrebt werden, stehen die Kooperation mit den Betroffenen sowie eine flexible und den sich wandelnden Ansprüchen angepasste Vorgehensweise statt einer Verhinderungs- und Konfrontationsstrategie im Vordergrund. Wesentliche Bedeutung hat die öffentliche Förderung der verschiedenen Maßnahmen. Oftmals dient eine solche Förderung als Initialzündung für weitere Privatinitiativen im Sinne einer behutsamen Stadterneuerung. Dies betrifft beispielsweise die Fassaden- und Dachgestaltung oder die Gestaltung privater Grünflächen. Die im Baugesetzbuch § 3 verankerte Bürgerbeteiligung findet in den historischen Stadt- und Ortskernen unterschiedlichste Ausprägung. Neben der üblichen Bürgerversammlung gibt es Gesprächsrunden auf Nachbarschafts- oder Quartiersebene. Eine weitere Form der direkten Bürgerbeteiligung sind Beratungs- oder Bürgerbüros der Stadtverwaltungen. Geschichts- und Heimatvereine sowie Bürgerinitiativen werden zum Teil über so genannte Gestaltungsbeiräte in die Entscheidungsprozesse eingebunden. Vor allem die Verschönerungsvereine und Bürgerinitiativen, wie die "Altstadtfreunde Warendorf" oder die "Arbeitsgemeinschaft Schöne Altstadt" in Bad Laasphe, erfüllen vor dem Hintergrund knapper öffentlicher Mittel eine wichtige Funktion bei der Gestaltung, dem Erhalt und der Pflege der historischen Bausubstanz.
Einen hohen Stellenwert bei der Erhaltung der historischen Stadt- und Ortskerne haben die Instrumente des Denkmalschutzes (s. Denkmalquote in Tab. 1). Neben den Einzeldenkmalen spielen in diesem Zusammenhang die Denkmalsbereiche und die hierfür zuständige Denkmalbereichssatzung eine wichtige Rolle. Durch den Schutz historisch, städtebaulich oder sozialgeschichtlich bedeutender Orte, Straßen, Plätze oder Gebäudegruppen und deren jeweiliger Umgebung soll ein prägender Gesamteindruck erhalten bleiben oder wieder hergestellt werden.
Allen historischen Stadt- und Ortskernen ist die bereits erwähnte Belastung durch den motorisierten Individualverkehr gemeinsam. Die oftmals als Handelszentren entstandenen historischen Altstädte an Straßenkreuzungen oder Flussübergängen leiden heute unter dem in mittelalterlicher Zeit als Einnahmequelle gewünschten Durchgangsverkehr. Die vielfach enge historische Bebauung verschärft diese Problematik. Viele Städte versuchen daher, mit Gesamtverkehrskonzepten auf der Grundlage von Verkehrsentwicklungsplänen den Verkehrsproblemen zu begegnen. Wichtige Aspekte sind hierbei die Förderung des ÖPNV sowie des Rad- und Fußverkehrs, die Beschränkung des motorisierten Individualverkehrs durch flächenhafte Verkehrsberuhigung und die Vermeidung von Parksuchverkehr durch angepasste Stellplatzplanung (je nach Ortsgröße periphere Stellplatzanlagen, dezentrale kleine Stellplatzanlagen, zentrale Parkhäuser).
Die erhaltende Stadterneuerung bildet in den Kommunen eine komplexe Querschnittaufgabe, welche in ihren einzelnen Teilen oftmals von unterschiedlichen Fachämtern betreut wird. Organisatorisch kann die Querschnittaufgabe auf unterschiedlichem Niveau gehandhabt werden: Von der Neueinstellung oder Freistellung eines Mitarbeiters für die Koordination über die Bildung von Arbeitsgruppen durch die beteiligten Ämter bis zur Abstimmung in Gesprächsrunden. Die Größe der Stadt und der Umfang der angestrebten Maßnahmen spielen für die gewählte Organisationsform eine wesentliche Rolle.
Durch die erfolgreiche Integration des städtebaugeschichtlichen Erbes in die Stadtentwicklung leisten die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaften für historische Stadt- und Ortskerne einen wichtigen Beitrag zur Attraktivitätssteigerung und zukünftigen Weiterentwicklung der historischen Innenstädte. Die Unverwechselbarkeit regionaler Baukultur ist für eine Stadt nicht nur ein kultureller, touristischer Aspekt, sondern auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor in einer harten Standortkonkurrenz mit Oberzentren und benachbarten Mittel- und Kleinstädten.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Arbeitsgemeinschaft Historischer Stadtkerne in NRW (1992): Historische Stadtkerne in Nordrhein-Westfalen - Eine Dokumentation. Herdecke/Lemgo | |
• | Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen NRW (ILS) (Hg.) (2005): Die Zukunft des Wohnens in historischen Stadtkernen - Projektbericht. Dortmund | |
• | www.historische-stadt-ortskerne-nrw.de |
Erstveröffentlichung 2007, Aktualisierung 2009