Saatkrähen im Kreis Soest – an Problemvögeln lernen
Saatkrähen – einst fast ausgerottet
Mitte der 1960er Jahre gab es in der Soester Börde in einem Bauernwäldchen noch die letzte größere Brutkolonie der Saatkrähen, die damals keinen gesetzlichen Schutz besaßen. Und doch zog der Schüler mit seinem Luftgewehr betroffen davon, als er von seiner Lehrerin beim Schießen in die Nester überrascht wurde. Doch den Saatkrähen half das wenig: Eine Woche später hatte man die Feuerwehr gerufen, die die Nester ausspritzte. In anderen Gehölzen der Börde erging es den Saatkrähen nicht besser. Wo immer sie sich in Wäldchen oder Feldgehölzen ansiedelten, waren sie nicht willkommen.
Weitere 50 oder 100 Jahre früher bestanden in Westfalen noch große, mehrere 100 oder gar 1.000 Paare umfassende Brutkolonien. Durch intensive Verfolgung schmolzen sie so zusammen, dass die Sorge der Naturschützer begründet war, die Saatkrähen könnten vollständig ausgerottet werden. Man begann die Reste systematisch zu zählen und ermittelte in den 1970er Jahren in ganz Nordrhein-Westfalen noch gerade gut 1.000 Brutpaare.
Schutzstatus und Anstieg der Bestände in Westfalen
Zum Glück kam es in der gemeinsamen Geschichte von Mensch und Saatkrähe durch das Bundesnaturschutzgesetz Mitte der 1980er Jahre zu einer Wende. Die Saatkrähen erhielten noch gerade rechtzeitig einen Schutzstatus, der sowohl sie als auch ihre Nester, Eier und Jungen ganzjährig vor Verfolgung und Beeinträchtigung sichert. Dazu gehört auch das Verbot der Vertreibung aus den Brutkolonien, das bislang nur in Ausnahmefällen versuchsweise ausgesetzt wurde – nachdem Stimmenlärm und Kotverschmutzung die Bevölkerung aufgebracht hatten.
Diese neue gesetzliche Lage nahmen die intelligenten und sich schnell vermehrenden Vögel zum Anlass, ihr Verhalten dem Menschen gegenüber zu verändern. Sie verringerten ihre Fluchtdistanz und kamen in die Städte, wo sie nun von der früher erduldeten Verfolgung verschont blieben. Ohne Verluste einerseits und bei reichem Nahrungsangebot durch mancherlei Abfälle andererseits nahmen die Bestände in mehreren Städten Westfalens in kurzer Zeit stark zu – vor allem in der Hellwegbörde, in Ostwestfalen und an der Grenze zu Niedersachsen.
"Saatkrähen-Hochburg" Soest
In Soest scheint die Forderung nach Ausnahmen vom generellen Schutz am lautesten erhoben worden zu sein.
In Alleen, auf Friedhöfen, in kleinen Parks und Baumgruppen siedelten sich die Saatkrähen an. Als Koloniebrüter bauten sie oft ein Dutzend und mehr Nester in einem Baum. Dazu manchmal an – aus menschlicher Sicht – höchst ungeeigneten Orten in Wohnsiedlungen und Einkaufszonen, sogar in der Nachbarschaft eines Krankenhauses. Zorn und Ablehnung etlicher Menschen waren vorprogrammiert, zumal sich die Zahl der Saatkrähen-Brutpaare – im gesamten Kreis Soest – ab dem Jahr 2005 auf weit über 1.000 erhöhte (Tab. 1).
Alle vorübergehend erlaubten Methoden aber, die Vögel durch Lärm und Umsetzen der Nester wieder zur Rückkehr aus der Stadt aufs Land zu bewegen, haben sich als ineffektiv erwiesen. Wie in anderen, in ähnlicher Weise von den Krähen heimgesuchten Städten ist eine Lösung des Problems nicht in Sicht. Prophylaktisch für die noch nicht von Saatkrähen eroberten Städte bleibt der Rat, die Brutplätze dieser auch heute – europaweit betrachtet – immer noch seltenen und schützenswerten Vogelart in der freien Landschaft ungestört zu belassen. Einmal zahlreich in der Stadt angesiedelt, bekommt man die Krähen unter dem jetzigen Schutzstatus nicht wieder heraus. Es gilt die Devise "Wehret den Anfängen" und "Vermeidet die Fehler der Vergangenheit".
Problemvogel Saatkrähe? – Ein pädagogischer Lösungsansatz
Im Übrigen wird hier angeregt, die gegebene Situation zum Anlass zu nehmen, sie für ein pädagogisches Konzept zu nutzen. In einer Zeit, in der die Begegnung mit der wildlebenden Kreatur für die meisten Menschen zur seltenen Ausnahme geworden ist, wird diese hier unmittelbar vor der Haustür ermöglicht.
Ohne in den Verdacht kommen zu wollen, angesichts der Ratlosigkeit mit Humor oder Ironie zu reagieren, wird hier empfohlen, ernsthaft die Anlage oder Ausweisung eines Lehrpfades oder einiger besonders geeigneter Naturbeobachtungspunkte zu erwägen. Ziel sollte es sein, das Wissen der Menschen über ihre unerwünschten "Mitbürger" zu erweitern und die jahrelange hitzige Diskussion zu versachlichen. Solange noch die allermeisten Städte Westfalens nicht von Saatkrähen besiedelt sind, könnte – beispielsweise in Soest – die "Alleinstellungsposition" als Besonderheit vermittelt werden. Den vielen historisch oder künstlerisch interessierten Besuchern könnte das Naturerlebnis als zusätzliche Beigabe angeboten werden.
Die verkehrsgünstigsten Punkte, von denen aus die Nester der Saatkrähen und das Leben in der Krähenkolonie am besten einzusehen sind, gilt es ausfindig zu machen. Auf Flyern oder Infotafeln wäre darzustellen, dass es sich bei der hier beobachteten Saatkrähe um eine andere Krähenart handelt als bei den landesweit verbreiteten Rabenkrähen. Sie ist seltener und grundsätzlich schützenswert. Die Saatkrähe ist Koloniebrüter und kann dadurch stellenweise in großer Zahl auftreten. Zumindest die Altvögel der beiden Krähenarten sind auch an den Federkleidern leicht zu unterscheiden. Wie sich die Beziehung des Menschen zu ihnen und vielen anderen Tierarten im Lauf der Zeit verändert hat und wie der Wandel in menschlichen Gesetzen und im tierischen Verhalten seinen Niederschlag fand, ist ein interessanter Aspekt, ebenso, dass wir uns in etlichen anderen Fällen über die "Verstädterung" von Vögeln freuen.
Wichtig zu wissen ist, dass die Saatkrähen zwischen März und Anfang Juni ihre Jungen groß ziehen und etwa dreieinhalb Monate lang die Menschen mit Lärm und Kot behelligen können. Sie haben nur einmal im Jahr drei bis fünf Junge. Aber auch in der übrigen Zeit sind oft große Scharen auf den Feldern in der Umgebung der Stadt zu beobachten. Zwischen Oktober und März handelt es sich dabei zum Teil um Gäste aus Osteuropa. Als Nahrung dienen ihnen sowohl Schnecken, Regenwürmer und Insekten als auch Pflanzenkeimlinge, Blätter, Körner und Früchte.
Die Tabelle 1 belegt, dass sie in der Stadt Soest erst zu siedeln und sich stark zu vermehren begannen, nachdem sie im ländlichen Umland ihre Kolonien verloren hatten. Auch über die Klagen der Bürger, die bereits durchgeführten erfolglosen Versuche zur Vertreibung und Umsiedlung aus der Stadt und von besonders kritischen Punkten könnte hier informiert werden.
All das ergäbe einen realitätsnahen Beitrag zur Umweltbildung, der hier ohne nachteiligen Eingriff in das Naturgeschehen – also ohne Störung anderer Tierarten – möglich wäre.
Weiterführende Literatur/Quellen
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CABWIM consultancy (Hg.) (2012): Untersuchung der Saatkrähenkolonien in Soest und Umgebung. Assen (NL) |
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Grünberg, V. u. S. R. Sudmann et al. (2013): Die Brutvögel Nordrhein-Westfalens. Münster |
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www.abu-naturschutz.de/natur-im-kreis-soest/saatkraehen.html |
Erstveröffentlichung 2016