Steinzeit in Westfalen

01.01.2008 Kai Niederhöfer

Vor etwa 600.000 Jahren besiedelte der Mensch Mitteleuropa. Einer der berühmtesten Funde aus dieser Zeit ist ein im Jahre 1907 in Mauer bei Heidelberg entdeckter Schädel eines urgeschichtlichen Menschen, des so genannten Homo heidelbergensis. Die frühesten menschlichen Relikte aus Westfalen sind allerdings jünger, sie stammen aus dem Mittelpaläolithikum, dem mittleren Abschnitt der Altsteinzeit (Abb.1).
Abb. 1: Mittelpaläolithische Steingeräte aus Bielefeld-Johannistal (Zeichnung: LWL-Archäologie für Westfalen)

Als vor ca. 250.000 Jahren die Saale-Kaltzeit ihre maximale Südausdehnung erreicht hatte, waren weite Teile Westfalens bis zur Ruhr vom Inlandeis bedeckt (s. Beitrag Liedtke). Funde aus der Zeit vor dieser Vereisung sind aus Westfalen nicht bekannt, wohl aber aus angrenzenden Regionen (Hessen, Rheinland), so dass anzunehmen ist, dass in den wärmeren Abschnitten des Eiszeitalters das gesamte nördliche Mitteleuropa bereits begangen wurde. Vor ca. 220.000 Jahren hatten die Gletscher Mitteleuropa vorerst wieder verlassen. Aus dieser Zeit finden sich in Westfalen nur spärliche Hinterlassenschaften des Menschen. Das charakteristischste und bekannteste Werkzeug des Mittelpaläolithikums ist der Faustkeil, der von den Menschen dieser Zeit, den Neandertalern, vielseitig eingesetzt wurde.

Der älteste direkte Beleg urgeschichtlicher Menschen in Westfalen ist das Schädelfragment eines Neandertalers aus Warendorf, der vor rund 80.000 Jahren während der Weichsel-Kaltzeit lebte. Seine Lebensgrundlage war das Jagen und Sammeln. Zu den Beutetieren in den baumarmen Tundren- und Steppenlandschaften zählte zu dieser Zeit vorwiegend Großwild wie Mammut, Wollnashorn, Ren und Pferd. Ergänzt und bei fehlendem Jagdglück sichergestellt wurde die Ernährung durch das Sammeln von Beeren, Nüssen und Wurzeln.

Im Jungpaläolithikum tritt in Mitteleuropa der anatomisch moderne Mensch, der Homo sapiens, auf. Sein bisher ältester Nachweis in Westfalen, ein fast vollständig erhaltenes Schädeloberteil eines ca. 35-jährigen Mannes, stammt aus der Blätterhöhle bei Hagen, datiert allerdings erst in die frühe Mittelsteinzeit und ist rund 10.700 Jahre alt.

Neben den für den gesamten Zeitabschnitt namengebenden Steinwerkzeugen wurden auch Geräte aus Holz oder Knochen verwendet, die allerdings nur selten erhalten sind. Der jungpaläolithische Homo sapiens scheint sehr innovativ gewesen zu sein; er verbesserte die Zweckmäßigkeit der Waffen und Geräte erheblich und entwickelte u. a. Pfeil und Bogen, die Speerschleuder und die Harpune.

Zu dieser Zeit finden sich auch die ersten deutlichen Zeugnisse der "Geisteswelt" steinzeitlicher Menschen. Die "älteste Kunst der Welt" äußert sich u. a. in Form der berühmten Höhlenmalereien in den südfranzösischen und spanischen Bildhöhlen (z. B. Lascaux, Chauvet, Altamira). Vergleichbare Kunstwerke fehlen in Westfalen, lediglich ein Tonschiefergeröll aus der Balver Höhle (Märkischer Kreis; s. Beitrag Wieneke) trägt die Gravierung eines Pferdekopfes. Diese Art von Kleinkunst ist in Deutschland recht häufig (z. B. in Gönnersdorf und Andernach in der Mittelrheingegend), allerdings lässt sich für das Balver Stück die Echtheit nicht mehr sicherstellen.

Durch einen grundlegenden Klimawandel mit dem Ende der letzten Eiszeit vor ca. 11.700 Jahren stand der Mensch einer drastisch veränderten Umwelt gegenüber. Innerhalb kurzer Zeit stieg die Durchschnittstemperatur rapide an; das Holozän, die heutige Warmzeit begann. Archäologisch wird diese Periode als Mesolithikum bezeichnet. Mit der Erwärmung ging eine rasche Ausbreitung des Waldes einher, aus geschmolzenen Gletschern entstanden Flüsse und Seen. Kälteangepasste Pflanzenfresser, wie z. B. das Mammut und die an die Grassteppen angepassten Herden der Rentiere und Wildpferde, zogen nach Norden. Der Mensch passte seine Jagdmethoden den neuen Umweltbedingungen an. Westfalen gehörte zu dieser Zeit zum Streifgebiet mesolithischer Jäger, die im jahreszeitlichen Rhythmus die Region durchzogen. Neue Beutetiere wie Hirsch, Reh und Auerochse erforderten neue Jagdmethoden: Pfeil und Bogen sowie Fischfanggeräte wurden unentbehrlich. Im Fundmaterial dieser Zeit schlägt sich dieser Umstand vor allem in kleinen geometrischen Flintspitzen, so genannten Mikrolithen, nieder, die mit Birkenpech an Pfeilen oder Harpunen befestigt wurden.

An einigen mesolithischen Fundplätzen haben sich neben Mikrolithen auch Feuerstellen und Grundrisse hüttenartiger Behausungen erhalten (Rethlager Quellen, Kr. Lippe). In Oelde-Weitkamp (Kr. Soest) lag um eine Feuerstelle eine Konzentration solcher Mikrolithen, daneben fanden sich Knochensplitter der Jagdbeute (Rothirsch, Reh, Wildschwein und Hase), Himbeerkerne und Schalen verkohlter Haselnüsse, die durch Rösten haltbar gemacht worden sind.

Abb. 2: Megalithgrab (Ganggrab) "Sloopsteene" bei Lotte-Wersen (Kr. Steinfurt), um 3.000 v. Chr. (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen, Außenstelle Münster)

Mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit mit Ackerbau und/oder Viehzucht beginnt das Neolithikum. Kulturell wie technologisch handelt es sich dabei um eine der größten Umwälzungen der Menschheitsgeschichte. Der Neolithisierungsprozess begann bereits um 12.000 v. Chr. im vorderen Orient und breitete sich über Südosteuropa und den Balkan bis nach Mitteleuropa aus. Die älteste Ackerbau-Kultur Mitteleuropas, deren Spuren sich vor ca. 7.300 Jahren auch in Westfalen finden, ist die Linearbandkeramische Kultur. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich von Südrussland bis ins Pariser Becken. In Westfalen ist sie an die fruchtbaren Böden des Münsterlandes, der Hellwegzone und der Warburger Börde (s. Beitrag Seraphim) gebunden. Die Linearbandkeramiker bauten die ersten festen Langhäuser. Zur gleichen Zeit findet sich auch so genannte La Hougette-Keramik als Hinterlassenschaften einer anderen frühneolithischen Tradition, die aus Südwesteuropa nach Westfalen gekommen ist. Siedlungsplätze dieser Kultur sind in Westfalen bislang nicht bekannt, ihre Träger waren vielleicht mobiler, noch einer mesolithischen Tradition verbunden und lebten außerhalb der Lössgebiete in den Mittelgebirgsregionen, wo die neolithische Lebensweise erst später übernommen wurde.

Das recht einheitliche frühneolithische Kulturbild Mitteleuropas zerfällt im Mittelneolithikum immer stärker in regionale Gruppen, in Westfalen vor allem die Rössener Kultur. Sie unterscheiden sich hauptsächlich in ihren Keramikstilen, so dass es fraglich ist, ob es sich dabei tatsächlich um unterschiedliche ethnische Gruppen gehandelt hat. Zu dieser Zeit, vereinzelt auch früher, gab es bereits ausgeprägte Handelsbeziehungen, wie Funde von Feuersteingeräten aus der Maasregion und dem Raum Aachen, Hornsteingeräten aus Bayern oder Jadeitbeilen aus dem Westalpenraum zeigen.

Abb. 3: Gräben des Erdwerks der Michelsberger Kultur von Salzkotten-Oberntudorf (Kr. Paderborn) im Luftbild, um 3.500 v. Chr. (Foto: LWL-Archäologie für Westfalen, J.-S. Kühlborn)

Im Jungneolithikum hält im nördlichen Westfalen mit der Trichterbecherkultur die Sitte Einzug, die Toten in Steinkammergräbern aus großen Findlingen (Abb. 2), so genannten Ganggräbern, zu bestatten, die als Kollektivgräber über längere Zeit, vielleicht von einer Sippe oder einer kleinen Dorfgemeinschaft, als Grabstätten genutzt wurden. Man hat in diesen Gräbern immer wieder Tote beigesetzt, ältere Bestattungen wurden einfach beiseite geschoben. Im südostwestfälisch-nordhessischen Raum finden sich Steinkisten- oder Galeriegräber der Wartbergkultur, ebenfalls aus großen Steinen, aber in etwas anderer Bauweise aus behauenen Steinplatten errichtet. Ein Wandstein aus dem Galeriegrab Warburg I trägt eingravierte symbolische Zeichen, die als Rindergespanne mit Joch gedeutet werden. Sie werfen ein Schlaglicht auf die damaligen Jenseitsvorstellungen und den Totenkult. Im Jungneolithikum finden sich in ganz Europa, so auch in Westfalen, so genannte Erdwerke (Abb. 3), mehrteilige Wall-Graben-Anlagen, teils als geschlossene Ringwälle auf Plateaus, teils als Abschnittswälle auf Bergspornen. Die genaue Bedeutung dieser Anlagen ist z. T. unklar. Gegen Ende der Linearbandkeramischen Kultur vor etwa 7.000 Jahren häufen sich Erdwerke mit Siedlungsspuren im Innern, die mit einschneidenden Unruhen und kriegerischen  Auseinandersetzungen in Verbindung zu stehen scheinen. Die jüngeren Erdwerke der Michelsberger Kultur enthalten dagegen kaum Hinweise auf Besiedlung. Aufgrund der häufigen Durchlässe werden es wohl keine Fortifikationen im engeren Sinne gewesen sein. Menschliche Skelettreste und z. T. vollständige Gefäße in den Gräben lassen an Opferhandlungen denken. Diese Erdwerke, wie immer sie im Einzelnen auch anzusprechen sind, sind ein Zeugnis für eine durchorganisierte, enorme kollektive Arbeitsleistung einer Gruppe bereits in der Jungsteinzeit.

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Weiterführende Literatur/Quellen

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Erstveröffentlichung 2008