RIESEN in Westfalen: Die Firma August Storck

01.01.2008 Rudolf Grothues

Abb. 1: Storck 1 Pfennig RIESEN im Jahre 1934; das erste Markenbonbon Deutschlands (Quelle: August Storck KG)
1903 gründete der Hofbesitzer August Storck, genannt Oberwelland, aus Häger die "Werther'sche Zuckerwarenfabrik". Aus dieser bescheidenen Fabrik erwuchs bis heute einer der größten Süßwarenproduzenten der Welt. Zweck des Unternehmens war zu Beginn des 20. Jh.s "die Herstellung von Zuckerwaren aller Art in Handarbeit". Storck begann mit drei Mitarbeitern und versorgte bald ganz Ostwestfalen mit Produkten aus seiner Fertigung, zu denen sehr früh auch Sahnebonbons gehörten. Die Rezeptur der heute unter Werther's Original bekannten Bonbons war von dem Storck-Mitarbeiter und Zuckerbäcker Gustav Nebel im Jahr 1909 entwickelt worden. Bis zum Ersten Weltkrieg breitete sich das Vertriebsgebiet auf weite Teile Westfalens aus. Der Krieg führte dann aber zu langjährigen Stagnationserscheinungen. 1921 übernahm der jüngste von drei Söhnen, Hugo Oberwelland, die Firmenleitung, da sein Vater schwer erkrankte. In der Firma wurden mittlerweile rd. 200 verschiedene Bonbon-Varianten hergestellt. 1934 entstand dann das erste Markenbonbon, der "Storck 1 Pfennig RIESEN" - Stück für Stück einzeln verpackt und mit Namen, damaligem Preis und Hersteller versehen (Abb. 1). Dieses Produkt erfuhr eine unerwartete Nachfrage, und die Firma wuchs bis 1937 auf 71 Mitarbeiter an. 1938 wurden dann 1.680 Tonnen Storck RIESEN hergestellt, auch in einem in Schötmar errichteten Zweigwerk. Aber wieder zerschlug der Krieg zunächst weitere Expansionshoffnungen.
Abb. 2: Neue Produktionsanlage in Halle (Westf.) nach dem Zweiten Weltkrieg (Foto: August Storck KG)
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine völlig neue Produktionsstätte in Halle (Westf.), im Gewerbegebiet West, errichtet (Abb. 2). Zukunftsweisend wurde damals schon an weitere Ausbaumöglichkeiten und an einen Gleisanschluss gedacht. Das Unternehmen stellt sich bis heute seiner sozialen Verantwortung, auch gegenüber seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, und führte z. B. schon 1950 eine Erfolgsvergütung für alle Beschäftigten ein; bereits 1958 wurde - fast 20 Jahre früher als in der gesamten Branche - die 40-Stunden Woche bei vollem Lohnausgleich eingeführt. In der Nachkriegszeit, den "Wirtschaftswunderjahren", wurde Storck zum Marktführer für Bonbons in Deutschland und produzierte mit 373 Mitarbeitern und 70 Außendienstlern 1952 rd. 15.000 Tonnen Süßwaren.

Begehrt waren die Produkte auch im Ausland, vor allem in Österreich, Polen, den Niederlanden, Dänemark, Schweden, Spanien, der Schweiz und den USA. 1953 wurde "Mamba - das fröhlich-fruchtige Kaubonbon" eingeführt und 1954 begann die Schokoladenproduktion.

1961 wurde der 23-jährige Klaus Oberwelland Leiter des Bereichs "Markt und Marketing" und übernahm 1971 die Gesamtverantwortung für die Firma. Bei der Fortentwicklung der Markenphilosophie des Hauses wurde er früh vom Düsseldorfer Werbefachmann Otto Pahnke unterstützt, der Storck im Laufe der Zeit in verschiedenen Positionen als enger Berater, als Generalbevollmächtigter und schließlich als Beiratsvorsitzender zeitlebens verbunden blieb. 1962 wurde eine weitere "Marke" eingeführt: das Fruchtbonbon "nimm 2". 1965 überraschte Storck mit einem ganz neuen Schokoladenangebot, der merci Schokolade - nicht mehr in Tafelform, sondern in mundgerechten, einzelnen Stückchen. In den Folgejahren wurden die Marken Campino (1966) und nun auch "Werther's Echte" (seit 1998 "Werther's Original") immer erfolgreicher. Dieses Sahnebonbon ist heute die erfolgreichste Marke von Storck und wird in mehr als 80 Ländern der Welt vertrieben.

1967 wurde in Berlin-Reinickendorf ein neues Werk für die Schokoladenproduktion errichtet, die Gesamtbeschäftigtenzahl stieg auf 970.
Abb. 3: Das Haller Storck-Werk (Foto: August Storck KG)
Eine außergewöhnliche Idee, unterstützt durch eine einzigartige Produktionstechnik, wurde 1973 umgesetzt, die Schokoladenspezialität Toffifee. Zum 75-jährigen Jubiläum 1978 wurde die Storck-Mitarbeiter Beteiligungsgesellschaft gegründet. Mit Hilfe dieser konnte sich jeder Mitarbeiter auch am wirtschaftlichen Erfolg des ganzen Unternehmens beteiligen. Die Mitarbeiterzahl stieg auf 1.600. 1983 wurde die Milch-Haselnuss-Schnitte Knoppers entwickelt, die unter dem Synonym "Das Frühstückchen" in ganz Deutschland schnell bekannt wurde. Nachdem Storck 1981 die Firma Dickmann übernommen hatte, wurden 1985 die "Super Dickmann's in der Frischebox" sehr erfolgreich in den Markt eingeführt, 1990 folgten die "Mini-Dickmann's". 1988 übernahm Storck den traditionsreichen englischen Hersteller von Qualitätsschokoladen und Hoflieferanten der englischen Königin Bendicks of Mayfair. Noch heute wird am Standort Winchester Qualitätsschokolade produziert.

1993 wurde die dritte deutsche Produktionsstätte im thüringischen Ohrdruf primär für die Herstellung von Schokoladewaren errichtet. Die weltweite Ausrichtung erforderte im Jahre 1998 eine Zentralisierung am Standort Berlin für wesentliche Teile der Geschäftsführung (Geschäftsleitung, Marketing, Vertrieb), während die Bereiche Grundlagenforschung und Produktion, Technik, Logistik und Verpackungsentwicklung sowie der Geschäftsbereich Finanzen und Verwaltung am Standort Halle (Westf.) verblieben. Auch die Vertriebs- und Marketingabteilung der Dickmann GmbH & Co. KG hat ihren Sitz in Halle, ebenso die Industriesparte Condetta GmbH & Co. KG. Condetta stellt Halbfertigwaren für die Molkereiindustrie her. Insgesamt ist Halle damit immer noch der größte und wichtigste Standort des Unternehmens (Abb. 3).
Abb. 4: Zum 100-jährigen Firmenbestehen folgte ein neuer Slogan (Quelle: August Storck KG)
Im Jahre 2003 stand der nächste Generationswechsel an: Axel Oberwelland übernahm in vierter Generation die Gesamtleitung von Storck. Er hatte seine Laufbahn in der von Otto Pahnke begründeten Agentur "Pahnke Markennamen" in Hamburg begonnen und wurde 1998 zunächst Marketing-Geschäftsführer in Nordamerika, 2001 übernahm er den Bereich Marketing und Marken und wurde 2003 Vorsitzender der Geschäftsführung. Im Jahre 2003 wurde die Pralinenspezialität Chocolat Pavot eingeführt. Gleichzeitig wurden immer mehr Marken in zuckerfreier Variante angeboten. Zum 100-jährigen Jubiläum 2004 veränderte sich der Firmenauftritt. Erstmalig wurde auf jeder Markenpackung nun auch der Absender Storck abgedruckt, außerdem änderte sich das Firmenlogo und es wurde ein neuer Slogan entwickelt: "Storck - Part of Your World" (Abb. 4).
Abb. 5: Keimzelle der Firma: Das Storck-Haus in Werther (Westf.) (Foto: Rudolf Grothues)

Diese neue Corporate Identity wird mit Millionenaufwand durch TV-Spots, Anzeigenkampagnen und Gewinnspiel in die Öffentlichkeit getragen und soll zukünftig neuen Produkten den Markteinstieg durch das Image der schon bekannten Marken erleichtern. Bis heute entwickelt Storck immer wieder neue Produkte und ergänzt das Sortiment u. a. durch zuckerfreie Bonbons oder Schokoküsse. 2005 erwarb das Unternehmen die Namensrechte an den Marken Rachengold und Atemgold von der Karlsruher Firma Ragolds. Storck produziert jährlich rd. 250.000 Tonnen Süßwaren, von denen etwa 45% exportiert werden. Der Umsatz liegt heute bei geschätzten 1,3 Mrd. € pro Jahr, beschäftigt werden rd. 4.800 Menschen. Damit zählt Storck zu den größten noch existierenden Familienunternehmen in Westfalen. Es gibt heute fünf Produktionsstandorte und mehr als 20 ausländische Tochtergesellschaften. Im Fokus weiterer Expansionspläne steht vornehmlich Osteuropa. Auch das schon starke Geschäft in Nordamerika soll weiter ausgebaut werden. Insgesamt investierte die Storck-Gruppe im Jahre 2007 rd. 80 Mio. € in Werbemaßnahmen, um die Positionen der Marken zu festigen und auszubauen. In jedem Jahr investiert die Gruppe ca. 50 Mio. € in Sachanlagen. Die Eigenkapitalquote liegt bei starken 40%.

Durchschnittlich wird heute mehr als sechs Mio. Mal täglich weltweit zu einer Storck-Marke gegriffen.

Noch heute im Besitz der Firma Storck ist das ehemalige Kaufmannshaus des August Storck an der Alten Bielefelder Straße 14/Alter Markt in Werther (Westf.). Dieses Kontor- und Wohnhaus wurde ursprünglich 1760 vom Kaufmann Johann Friedrich Bolenius errichtet und entwickelte sich dann zur Keimzelle des Süßwarenriesen (Abb. 5). Ende 2007 wurde dieses Haus, das zu den schönsten denkmalgeschützten Gebäuden der Stadt zählt, aufwändig und liebevoll restauriert. Seit 1985 wird es von der Volkshochschule Ravensberg und der Musikschule genutzt.

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Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2008