Tönnies und Westfleisch – Westfalens große Fleischproduzenten
Das Tönnies Fleischwerk (heute: Tönnies Lebensmittel GmbH & Co. KG) geht auf einen Fleischereibetrieb in Rheda zurück und wurde 1971 als Großhandelsbetrieb für Fleisch- und Wurstwaren durch Bernd Tönnies neu gegründet. Mitte der 1970er Jahre wurde der Betrieb wegen des in Rheda herrschenden Platzmangels nach Herzebrock verlagert, wo nun ca. 60 Mitarbeiter beschäftigt waren. 1992 konnte das Unternehmen zurückkehren an den Heimatstandort Rheda-Wiedenbrück, wo ein etwa 12 ha großes Areal in einem neuen, günstig zur Autobahn gelegenen Gewerbegebiet gekauft werden konnte. Dort nahm zunächst der Zerlegebetrieb mit 400 Beschäftigten die Arbeit auf, 1997 folgte der Schlachtbetrieb, 2001 eine zusätzliche Verkaufsabteilung und 2007 ein Logistikzentrum. 2011 wurde ein neues Verwaltungs- und Sozialzentrum in Betrieb genommen – mit modernsten Hygieneeinrichtungen, Fitnessbereichen und Kindertagesstätte (Abb. 1).
Weitere Produktionsstandorte des Unternehmens Tönnies befinden sich inzwischen in Sögel (Niedersachsen), Weißenfels (Sachsen-Anhalt) und Brörup (Dänemark). 2011 übernahm Tönnies in Kempten (Bayern) den Schlachthof der insolventen Firma "Allgäu Fleisch".
Weitere Übernahmewünsche im Jahre 2011 betrafen die Zur-Mühlen-Gruppe in Böklund (Schleswig-Holstein) und die Firma Tummel im westfälischen Schöppingen.
Mit der Zur-Mühlen-Gruppe, die Tönnies bis zum Jahre 2014 komplett übernehmen will und die etwa 3.000 Mitarbeiter beschäftigt, würde das Unternehmen Tönnies zusätzlich den größten deutschen Wursthersteller "schlucken".
Die Firma Tummel hat etwa 150 Mitarbeiter und schlachtet jährlich etwa 1,3 Mio. Tiere, u.a. als Lohnschlachter für den Konkurrenten "Westfleisch".
Eine Übernahme von Tummel durch Tönnies lehnte das Bundeskartellamt 2011 ab, Tönnies möchte dieses Ziel aber dennoch weiter verfolgen.
Etwa 75% der insgesamt 8.300 Mitarbeiter (2012) von Tönnies sind am Hauptsitz Rheda beschäftigt. Mehr als die Hälfte des bei Tönnies produzierten Fleisches wird exportiert. Vor allem der chinesische Markt erscheint dabei zunehmend attraktiv. Seit 2010 erfolgt der Export nach China offiziell, vorher wurde er über Hongkong abgewickelt. In China ist ein Netz neuer Zerlegebetriebe geplant, die aus Deutschland mit Schweinefleisch beliefert werden. Dafür wird in Rheda eine neue Verpackungs- und Gefrierlogistik gebaut.
Etwas kleiner als Tönnies ist die "Westfleisch eG" mit Hauptsitz in Münster. Westfleisch ist ein genossenschaftliches Unternehmen (Tab. 1), hervorgegangen aus der 1928 gegründeten "Westfälischen Provinzial-Viehverwertungsgenossenschaft". 4.475 Landwirte (2010) mästen als Genossenschaftsmitglieder auf vertraglicher Basis Vieh für Westfleisch, das dann den Transport, die Schlachtung, Zerlegung, Verarbeitung und Vermarktung übernimmt. Hierfür verfügt die Westfleisch-Gruppe über mehrere entsprechende Betriebsstandorte in Westfalen. U.a. werden in Münster, Schöppingen, Lübbecke, Coesfeld, Oer-Erkenschwick, Hamm und Paderborn Schlachttiere verarbeitet bzw. Fleisch- und Wurstwaren produziert (Abb. 2). Am Standort Münster beispielsweise stellt das Tochterunternehmen "WestfalenLand", mit 952 Mitarbeitern (2012) einer der größten deutschen Betriebe dieser Sparte, Fleischwaren für die "Selbstbedienungsregale" des Lebensmittelhandels her. Außerdem unterhält Westfleisch eine eigene Lkw-Flotte und kann mit Hilfe des Logistik-Tochterunternehmens "Wetralog" Ziele in Deutschland und im europäischen Ausland anfahren.
Außer von den eigenen Vertragslandwirten übernimmt Westfleisch auch von anderen Erzeugern Schlachttiere, z.B. über Viehverwertungsgenossenschaften. Durch diesen "Spielraum" wird verhindert, dass die Abnahmeverpflichtung, die Westfleisch gegenüber den eigenen Genossenschaftsmitgliedern eingeht, eventuell wegen Marktschwankungen nicht erfüllt werden könnten.
Die beiden Unternehmen Tönnies und Westfleisch haben außer der Tatsache, dass sie zu der "Handvoll" der führenden europäischen Fleischwarenproduzenten gehören, noch weitere Gemeinsamkeiten. Hierzu zählen u.a.:
- Hoher Exportanteil der Produkte:
Der Selbstversorgungsgrad Deutschlands z.B. bei Schweinefleisch, der 1979 bei 79% lag, ist bis 2011 auf etwas über 110% angestiegen. Die Überschüsse sind u.a. dadurch entstanden, dass viele Landwirte ihre Viehbestände deutlich aufstockten, nachdem die Gewinnspanne pro einzelnem Schwein für die Mäster immer geringer wurde. Hierbei spielte auch die Flächenkonkurrenz in der Produktion für "Teller, Trog oder Tank" und die damit verbundene Preissteigerung für Futtermittel eine wichtige Rolle.
Für die Überschussproduktion bei Schweinefleisch ist der Export von entscheidender Bedeutung. Diesen können aber nur die "Großen" der Branche effizient realisieren.
- Tierschutz, Umweltstandards und Qualitätssicherung:
Westfleisch entwickelte beispielsweise 2007 das neue Leitbild "Partnership for Quality", ermittelte als erster deutscher Fleischvermarkter 2010 den "CO2-Fußabdruck" bei der Schweinefleischproduktion sowie einen Nachhaltigkeitsbericht und vertreibt seit 2011 Produkte aus der "Aktion Tierwohl" im Handel.
Auch Tönnies verweist auf artgerechte Behandlung der Tiere, auf lückenlose Herkunftssicherung und Rückverfolgbarkeit des Fleisches ("fTrace") und auf nationale und internationale Zertifizierungen. Clemens Tönnies schuf außerdem mit der "Tönnies-Forschung" ein Gremium, dem neben Wissenschaftlern auch Tierschützer angehören und das sich um die Vermeidung aller Formen von Tierquälerei bemüht.
- Beschäftigungs- und Lohnpolitik:
Medien berichten, dass "große Fleischproduzenten in Deutschland" nur einen Teil ihrer Beschäftigten als fest angestellte Mitarbeiter führen, während viele andere Arbeitskräfte – vor allem aus Osteuropa – nur auf der Basis z.B. von Werkverträgen beschäftigt seien, nicht dem deutschen Arbeitsrecht unterlägen und ihre "Chefs" im Ausland hätten. Diese Arbeitskräfte verdienen, so wird berichtet, deutlich weniger als ihre deutschen Kollegen. Im Januar 2011 legten Vertreter der französischen Fleischindustrie deshalb bei der EU Beschwerde wegen Lohndumpings ein.
Weiterführende Literatur/Quellen
• | Böckenholt, H.-J. (2009): Rheda-Wiedenbrück. In: Grothues, R., H. Heineberg und R. Lindemann (Hg.): Der Kreis Gütersloh. Münster, S. 223–260 (= Städte und Gemeinden in Westfalen, Band 11) | |
• | Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2008): Landwirtschaftlicher Fachbeitrag zum Regionalplan Münsterland. Münster/Coesfeld (www.landwirtschaftskammer.de) | |
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newbusiness consultants (Hg.) (2000): Die Fleischwarenindustrie in Nordrhein-Westfalen – Entwicklungen – |
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• | Recke, G. (2007): Wertschöpfungskette im Wandel – von der Landwirtschaft zum Verbraucher. In: Statistische Analysen und Studien Nordrhein-Westfalen, Band 45. Düsseldorf (www.it.nrw.de/statistik/analysen) | |
• | Spiller, A. und B. Schulze (2008): Zukunftsperspektiven der Fleischwirtschaft. Verbraucher, Märkte, Geschäftsbeziehungen. Göttingen | |
• | Universität Vechta (Hg.) (2011): Analysen zu Strukturen und Entwicklungen in der Schweine- und Sauenhaltung in Deutschland. Vechta (= Mitteilungen, Heft 77) | |
• | www.toennies.de | |
• | www.westfleisch.de |
Erstveröffentlichung 2012