Geflüchtete aus der Ukraine in Westfalen
Flüchtlingszahlen als Herausforderung
Am 24. Februar 2022 begann Russlands Krieg gegen die Ukraine. Nach den bisher vorliegenden Zahlen des Statistischen Landesamtes IT.NRW (Stand: 04/2023) kamen im Jahr 2022 insgesamt 227.100 Menschen aus der Ukraine nach Nordrhein-Westfalen, davon gut 107.000 in den Landesteil Westfalen. Knapp 12.200 Geflüchtete hiervon zogen 2022 wieder fort. Der Überschuss der Zugezogenen aus der Ukraine war demnach sehr deutlich, er belief sich in dem genannten Zeitraum für Westfalen auf 94.910 Personen. Hinzu kommt eine unbekannte Anzahl bis dahin offiziell nicht erfasster Flüchtlinge. Von den hier Schutzsuchenden aus der Ukraine war die große Mehrheit der Erwachsenen Frauen, ein Drittel waren Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die Männer blieben wegen des Kriegseinsatzes oftmals in der Heimat.
Vor allem in den Monaten März, April und Mai des Jahres 2022 war die Zahl der Geflüchteten aus der Ukraine sehr hoch, sodass innerhalb sehr kurzer Zeit Infrastruktur u.a. für Wohnraum und Versorgung bereitzustellen war.
Die Hilfsbereitschaft von Privatpersonen, von Kommunen und Organisationen war und ist zwar sehr groß, aber die Städte und Gemeinden sind dennoch seither zunehmend an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gestoßen. Die Landesregierung NRW hat deshalb am 28. Februar 2023 ein zweites Maßnahmenpaket zur Krisenbewältigung beschlossen; diese betreffen die Unterbringung der Geflüchteten sowie "Brückenprojekte", darunter auch Spielgruppen, Maßnahmen zur Kinderbetreuung und Projekte zum Erlernen der deutschen Sprache (Land NRW 2023).
Erstaufnahme- und zentrale Unterbringungsmöglichkeiten
Ob aus der Ukraine oder aus anderen Ländern: Flüchtlinge, die hierher kommen und das offizielle Aufnahmeverfahren durchlaufen, werden zuerst in einer der Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes erfasst und versorgt. Neben der Landeserstaufnahmestelle in Bochum gibt es in Westfalen solche Einrichtungen in Bielefeld und Unna-Massen. Im Anschluss finden viele Schutzsuchende in der Regel eine vorläufige Wohnung, Versorgung, Betreuung sowie erste Integrationshilfen in einer "Zentralen Unterbringungseinheit" (ZUE). Deren derzeitige Standorte in Westfalen zeigt Tabelle 1. Einige dieser ZUE wurden extra für Schutzsuchende aus der Ukraine neu eingerichtet oder reaktiviert. Teilweise sind sie ausschließlich für diesen Personenkreis reserviert, während Flüchtlinge aus anderen Ländern anderswo untergebracht werden. Damit soll ein problemloseres Aufnahmeverfahren ermöglicht werden.
Die fortdauernden Migrationsströme aus Krisengebieten sind Anlass zur Suche nach weiteren möglichen Standorten für ZUE. Für Menschen, die dort momentan noch keinen Platz finden, gibt es Notunterkünfte, z.B. in Haltern am See, Castrop-Rauxel, Paderborn, Bielefeld, Büren, Gütersloh, Selm und Herne.
Bundesweit hat ein großer Teil der Schutzsuchenden gerade auch aus der Ukraine eine Bleibe in Privatwohnungen gefunden (BiB 2023). Geeigneter Wohnraum wird jedoch überall immer knapper. Die Kommunen haben aber die Verpflichtung, für die ihnen vom Land zugewiesenen Flüchtlinge Wohnmöglichkeiten zu finden oder zu schaffen – eine Aufgabe, die oft nur sehr schwer zu bewältigen ist. Nach Möglichkeit sollen Situationen wie im Jahr 2015 vermieden werden, als u.a. Turnhallen für die Flüchtlingsunterbringung genutzt werden mussten. Die Kreise unterstützen die Kommunen bei deren Aufgaben, etwa durch "Pufferlösungen", also provisorische Unterkünfte, in denen die Flüchtlinge bleiben können, bis sie eine adäquate Wohnmöglichkeit finden. So hat es z.B. der Kreis Siegen-Wittgenstein ermöglicht, das ehemalige Krankenhaus in Kreuztal-Kredenbach als "Ankommenszentrum" nutzbar zu machen. Frühere, jetzt leer stehende Krankenhaus- und Schulgebäude oder ehemalige Kasernen sind allerdings rar gesät. Oft bleibt keine andere Möglichkeit, als Wohncontainer bereitzustellen.
Räumliche Schwerpunkte der Zuwanderung aus der Ukraine
Die Gesamtzahlen der Ukraine-Flüchtlinge im Jahr 2022 in den Kreisen bzw. kreisfreien Städten Westfalens bewegen sich, wenn man die wieder Fortgezogenen abrechnet, zwischen 668 in Bottrop und 12.609 in dem großen Kreis Recklinghausen (IT.NRW). Zur besseren Vergleichbarkeit sollte man allerdings von den Wanderungsgewinnen pro 100.000 Einwohner ausgehen. Hierbei ergibt sich das in Abbildung 1 dargestellte Bild: Etliche Kreise haben sehr viele Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen, die kreisfreien Städte dagegen zumeist deutlich weniger. Da in diesen Großstädten der Wohnraum generell knapp ist und mögliche Unterbringungsgebäude kaum verfügbar sind, muss zwangsläufig ins Umland ausgewichen werden. Die größten Migrationsgewinne gab es demzufolge in den Kreisen Recklinghausen (2.032 ukrainische Geflüchtete im Jahr 2022 pro 100.000 Ew.), Lippe (1.514) und Minden-Lübbecke (1.453). Die niedrigsten Zahlen wiesen die kreisfreien Städte Bottrop (563) und Hagen (602) auf. In Ostwestfalen könnten private Verbindungen eine Rolle gespielt haben, da dort bereits in den vorangegangenen Jahren relativ viele Aussiedler aus Osteuropa ansässig wurden. Laut der Westfalenpost vom 15.03.2022 "kommen viele direkt" in eine bestimmte Region, "weil sie zum Beispiel Bekannte oder Verwandte haben". Auch könnten Unterschiede in Bezug auf Wohnraum, der privat zur Verfügung gestellt werden kann, oder in der Aktivierung der Hilfsbereitschaft eine Rolle gespielt haben.
Ukrainische Schülerinnen und Schüler
Für die relativ vielen hierher kommenden Schülerinnen und Schüler gilt im Prinzip dieselbe Schulpflicht wie für deutsche Kinder und Jugendliche. Das stellt die Schulen vor große Herausforderungen. Wenn beispielsweise jeweils mehr als 1.000 neue Schulkinder aus der Ukraine in den Kreisen Recklinghausen und Lippe oder auch in der Stadt Dortmund innerhalb kurzer Zeit zusätzlich an den allgemeinbildenden Schulen nicht nur aufgenommen, sondern auch unterrichtet und eingegliedert werden müssen, ist diese Aufgabe nur äußerst schwer zu bewältigen. Sprache, Schrift und die schulischen Gepflogenheiten sind anders, geeignete Lehrkräfte äußerst knapp.
In den Kreisen Lippe, Minden-Lübbecke und im Hochsauerlandkreis hatten im Schuljahr 2022/23 jeweils 2,6 bzw. 2,5% aller Schülerinnen und Schüler an allgemeinbildenden Schulen die ukrainische Staatsangehörigkeit (Abb. 1). In einzelnen Kommunen kann diese Quote allerdings deutlich höher sein. So betrug sie etwa in Medebach (Hochsauerlandkr.) 6,2%, in Augustdorf (Kr. Lippe) 6,1% und in Bad Lippspringe (Kr. Paderborn) 5,3%. Weniger als 1,4% waren es dagegen in den kreisfreien Städten Bottrop, Gelsenkirchen und Hamm (s. Beitrag Wittkampf).
Neugeborene Kinder ukrainischer Mütter
Durch den Zuzug ukrainischer Frauen war auch die Anzahl der von ihnen geborenen Kinder durchaus nennenswert: Sie lag in Westfalen bis November 2022 bei über 700. Der Anteil dieser Neugeborenen an der Gesamtzahl aller Lebendgeborenen nichtdeutscher Mütter betrug z.B. im Kreis Lippe 10,1%. Im Kreis Coesfeld waren es 7,1%, hier fiel – bei bislang relativ geringen Ausländerquoten – der Anteil der Ukrainer statistisch stärker ins Gewicht. Im Kreis Paderborn betrug der Anteil 9,4%, in Gelsenkirchen dagegen nur 0,9% und in Hagen 1,5%.
Weiterführende Literatur/Quellen
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Bezirksregierung Arnsberg (2022): Ukraine-Krieg: Informationen für Kommunen. (Stand: 01.10.2022)
(https://www.bra.nrw.de/integration-migration/ukraine-krieg/ukraine-krieg-informationen-fuer-kommunen) -
Bezirksregierung Detmold (2023): Ukraine. (https://www.bezreg-detmold.nrw.de/ukraine-krieg)
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Bezirksregierung Münster (2023): Flüchtlinge in der Region – Hilfe für ukrainische Kriegsflüchtlinge. (Stand: 23.02.2023)
(https://www.bezreg-muenster.de/de/fluechtlinge/ukraine/index.html) -
BiB Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (Hg.) (2023): Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland. Ergebnisse der ersten Welle der IAB-BiB/FReDA-BAMF-SOEP Befragung. Wiesbaden
(https://www.bib.bund.de/Publikation/2023/pdf/Gefluechtete-aus-der-Ukraine-in-Deutschland.pdf;jsessionid=5AD3D0C26595FC3E7830BAFF89281353.internet282?__blob=publicationFile&v=3) -
Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen (2023): Engagement für die Menschen in und aus der Ukraine. (https://www.engagiert-in-nrw.de/ukraine-und-engagement)
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Flüchtlingsrat NRW e.V. (2018–2022): Sachstand staatliches Asylsystem.
(https://www.forumlandesunterbringung.de/sachstaende) - IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (2023) (https://www.it.nrw):
- Lebendgeborene mit nichtdeutscher Mutter in Nordrhein-Westfalen von Januar bis November 2022 nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten der Mutter
- Schüler/-innen an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen NRWs im Schuljahr 2022/23
- Zuzüge und Fortzüge zwischen NRW und der Ukraine im Jahr 2022
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Land Nordrhein-Westfalen (2023): Landesregierung bringt zweites Maßnahmenpaket auf den Weg – rund 670 Millionen Euro für die Bewältigung der Krisensituation in Folge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. (Pressemitteilung vom 28.02.2023) (https://www.land.nrw/pressemitteilung/landesregierung-bringt-zweites-massnahmenpaket-auf-den-weg-rund-670-millionen-euro)
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Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2022): Rahmenkonzept zur Beschulung von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen unter besonderer Berücksichtigung des Krieges in der Ukraine und seinen Folgen für die Schulen in Nordrhein-Westfalen. (Stand: 07/2022)
(https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/2_0_rahmenkonzept-beschulung-neuzuwanderung_juli_2022.pdf) -
Westfalenpost vom 15.03.2022: "Krankenhaus Kredenbach: Unterkunft für Ukraine-Flüchtlinge". (https://www.wp.de/staedte/siegerland/ukraine-ex-krankenhaus-kredenbach-wird-fluechtlingsunterkunft-id234822497.html)
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https://www.westfalen-regional.de/de/ukrainische_schueler
Erstveröffentlichung 2023