Wie es um die Verschuldung der westfälischen Städte und Gemeinden steht
"Arm, aber sexy", so lapidar beschrieb vor über 20 Jahren der damalige Oberbürgermeister Klaus Wowereit "seine" Stadt Berlin. Hintergrund war die auch Jahre nach der Wiedervereinigung anhaltend schlechte wirtschaftliche Lage der Hauptstadt. Die finanzielle Situation Berlins wie auch die vieler anderer Städte und Gemeinden dürfte sich seither nicht wirklich gebessert haben – jedenfalls, wenn man das Augenmerk auf die Schuldenlast der Kommunen legt. Diese betrug laut dem Statistikportal IT.NRW (2024a) – bezogen auf jede/n Einwohner/in – am 31.12.2023 deutschlandweit durchschnittlich 4.133 Euro. Nordrhein-Westfalen lag hierbei mit einer Pro-Kopf-Verschuldung von 4.752 Euro um einiges über dem Bundesdurchschnitt. Auch zwischen dem Rheinland und Westfalen klaffte eine große Lücke: Während Ende 2023 die kommunale Schuldenlast je Einwohner im Rheinland 5.301 Euro betrug, lag sie in Westfalen mit 3.991 Euro wesentlich niedriger.
Die Situation in Westfalen 2023
Laut den Berechnungen von IT.NRW (vgl. Kasten) gab es im Rheinland und auch in Westfalen keine Stadt oder Gemeinde, die Ende des Jahres 2023 schuldenfrei gewesen ist. Die Höhe der Schuldenlast schwankte allerdings beträchtlich: Innerhalb Westfalens reichte sie – umgerechnet auf jeden Einwohner – von 51 Euro in Senden (Kr. Coesfeld) bis hin zu 8.287 Euro in Herford. Abbildung 1 zeigt, dass ansonsten vor allem im Bereich des Ruhrgebiets Städte mit einer verhältnismäßig hohen Pro-Kopf-Verschuldung zu finden waren. Im Gegenzug gab es vor allem im westlichen Münsterland und im zentralen Sauerland sowie in Teilen der Kreise Soest, Gütersloh, Minden-Lübbecke und Höxter eine Reihe von Kommunen, deren Verbindlichkeiten im Jahr 2023 vergleichsweise gering waren.
Analog dazu ist die Pro-Kopf-Verschuldung auf Kreisebene westfalenweit in Olpe (1.025 €), Coesfeld (1.230 €) und Gütersloh (1.482 €) am niedrigsten – im Gegensatz zu der in den Kreisen Herford (5.135 €), Recklinghausen (4.495 €) und im Ennepe-Ruhr-Kreis (4.457 €). Bei den kreisfreien Städten haben – etwas überraschend – Hamm (3.196 €) und Bottrop (3.478 €) die geringsten Verbindlichkeiten pro Einwohner. Am Ende dieser Reihe stehen Bochum (8.065 €) und Herne (8.117 €).
Marode Haushaltslagen und negative Bilanzen
Der wesentliche Teil der kommunalen Schulden entfällt auf die öffentlichen Haushalte ("Kernhaushalte"). Im Jahr 2023 machte dieser Anteil NRW-weit über 55% der gesamten Schuldenlast der Städte und Gemeinden aus (Schuldenanteil der kommunalen Unternehmen/Institutionen: 34%, sog. Extrahaushalte: 11%) (IT.NRW 2024a). Bei den Haushaltsschulden sind wiederum die sog. Kassenkredite ein großes Problem für viele Kommunen. Sie dienen normalerweise dazu, laufende Verwaltungsausgaben kurzzeitig zu finanzieren, sofern kommunale Einnahmen noch nicht zur Verfügung stehen – ähnlich einem Dispositionskredit bei Privatpersonen. In vielen NRW-Kommunen sind Kassenkredite jedoch mittlerweile zu einer "Dauerfinanzierungsquelle für Haushaltsdefizite geworden" (haushaltssteuerung.de). Laut IT.NRW (2024b) betrug 2023 deren Anteil (incl. Wertpapierschulden) an den kommunalen Kernhaushalten NRW-weit durchschnittlich 42% – ein deutliches Anzeichen für eine wirtschaftliche Schieflage. Ein Extrembeispiel in dieser Hinsicht stellte für das Jahr 2023 die kreisfreie Stadt Hagen dar: Hier betrug der Anteil der Kassenkredite am Kernhaushalt 93,8% (IT.NRW 2024b). Allein die Jahres-Zinslast hierfür belief sich auf 16 Mio. Euro (Frehler 2023).
Die Gründe für die stark zugenommene Verschuldung der kommunalen Haushalte sind vielfältig und individuell. Wichtige allgemeingültige Faktoren, die hier auf der Ausgabenseite eine Rolle spielen, sind:
- deutlich gestiegene Kosten für kommunale Sozialleistungen (z.B. im Rahmen des Bürgergeldes, der Grundsicherung im Alter und der Hilfe zur Pflege),
- Mehraufwendungen für übertragene Aufgaben, deren Kosten jedoch häufig nicht in Gänze vom Land/Bund erstattet werden,
- erhöhte Ausgaben für Personalkosten (durch Lohnsteigerungen im öffentlichen Dienst),
- allgemeine Teuerungen aufgrund der inflationären Entwicklung,
- sprunghafter Anstieg der Zinsausgaben (auch aufgrund höherer Zinssätze) (Statistisches Bundesamt 2024 a, b).
Den gestiegenen Ausgaben stehen in NRW bzw. Westfalen sehr unterschiedlich hohe kommunale Einkünfte gegenüber. Haupteinnahmequellen der Städte und Gemeinden sind i.d.R. die Gewerbesteuer, die Grundsteuer, anteilig Zuwendungen aus der Einkommens- und Umsatzsteuer sowie sog. Verbrauchssteuern (z.B. Verwaltungsgebühren, Hundesteuer, Zweitwohnsitzsteuer). Daraus resultiert die sog. Steuereinnahmekraft, die – in Relation zur Einwohnerzahl – eine Kenngröße für die Wirtschaftskraft einer Kommune darstellt. Tabelle 1 zeigt, dass die Steuereinnahmekraft innerhalb Westfalens höchst unterschiedlich ausgeprägt ist.
Über die Gründe, warum eine bestimmte Kommune hinsichtlich ihrer finanziellen Situation vergleichsweise besser oder schlechter dasteht, lassen sich – zumindest aus der Distanz – nur Vermutungen anstellen. Zu der relativ hohen Verschuldung vieler Ruhrgebietsstädte allerdings dürfte sicherlich die dort allgemein schlechte wirtschaftliche Lage maßgeblich beigetragen haben. Diese bedingt zwangsläufig höhere Ausgaben für Sozialleistungen (u.a. als Folge der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit) sowie geringe Steuereinnahmen (v.a. aus niedrigen Gewerbesteueraufkommen). Bei einigen Kommunen sind die Rahmenbedingungen ungleich besser: In der Stadt Verl (Kr. Gütersloh) z.B. sind gleich mehrere Großunternehmen ansässig (darunter Beckhoff, nobilia), deren Umsätze und Bedarfe an Arbeitsplätzen letztlich positive Auswirkungen auf die städtische Finanzlage haben dürften (Abb. 1 u. Tab. 1).
Angesichts der prekären finanziellen Lage der meisten Kommunen hierzulande werden immer wieder Stimmen nach umfangreichen und nachhaltigen Reformen laut. Zentrale Forderungen dabei sind die Übernahme von Altschulden durch das Land NRW bzw. den Bund, generell höhere finanzielle Mittel für die Kommunen sowie eine Entlastung bei deren Aufgaben (u.a. tagesschau.de, 17.02.2025; westfalenspiegel.de, 28.02.2025). Eine Einigung der beteiligten Instanzen steht allerdings nach wie vor aus.
Weiterführende Literatur/Quellen
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Frehler, T. (2023): Die Schuldenfalle. Viele Städte und Gemeinden in Deutschland sind hoch verschuldet. Wie können sie ihre Finanzen wieder in Ordnung bringen? In: Süddeutsche Zeitung, 25.08.2023, S. 6
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IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024a): Modellrechnung: Ende 2023 hatten die NRW-Kommunen 86,3 Milliarden Euro Schulden. (Pressemitteilung vom 27.11.2024)
(https://www.it.nrw/modellrechnung-ende-2023-hatten-die-nrw-kommunen-schulden, abgerufen am 05.02.2025) -
IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2024b): NRW: Kommunale Verschuldung in den Kernhaushalten stieg 2023 um 3,2 Prozent auf 49,3 Milliarden Euro. (Pressemitteilung vom 15.07.2024)
(https://www.it.nrw/nrw-kommunale-verschuldung-in-den-kernhaushalten-stieg-2023, abgerufen am 26.02.2025) -
IT.NRW Information und Technik Nordrhein-Westfalen (Hg.) (2025): Realsteuervergleich der Gemeinden in Nordrhein-Westfalen. (https://www.landesdatenbank.nrw.de/ldbnrw//online?operation=table&code=71231-01d&bypass=true&levelindex=0&levelid=1738574400507, abgerufen am 03.02.2025)
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Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.) (2024): Integrierte Schulden der Gemeinden und Gemeindeverbände. Stand 31.12.2023. (https://www.statistikportal.de/sites/default/files/2024-11/Integrierte_Schulden_der_Gemeinden_und_Gemeindeverbaende_2023_Tabellenband_0.xlsx, abgerufen am 03.02.2025)
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Statistisches Bundesamt (Hg.) (2024a): Kommunen im Jahr 2023 mit 6,8 Milliarden Euro erstmals wieder seit 2011 im Defizit. (Pressemitteilung vom 03.04.2024)
(https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/04/PD24_135_71137.html, abgerufen am 05.03.2025) -
Statistisches Bundesamt (Hg.) (2024b): Kommunales Finanzierungsdefizit steigt im 1. Halbjahr 2024 auf 17,3 Milliarden Euro. (Pressemitteilung vom 01.10.2024)
(https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/10/PD24_378_71137.html, abgerufen am 05.03.2025) -
https://de.wikipedia.org/wiki/Gemeindesteuer_(Deutschland) (abgerufen am 06.03.2025)
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https://www.haushaltssteuerung.de/lexikon-kassenkredite.html (abgerufen am 26.02.2025)
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https://steuerzahler.de/aktuelles/detail/nrw-kommunen-versinken-in-schulden (abgerufen am 10.03.2025)
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https://www.tagesschau.de/wirtschaft/finanzen/kommunen-finanzen-schuldenbremse-sparen-100.html
(abgerufen am 10.03.2025) -
https://www.westfalenspiegel.de/250-millionen-euro-fuer-kommunen (abgerufen am 10.03.2025)
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https://www.westfalenspiegel.de/nrw-will-kommunen-entlasten (abgerufen am 10.03.2025)
Erstveröffentlichung 2025