Weiterführende Schulen in Westfalen

07.12.2015 Peter Wittkampf

Die weiterführenden Schulen sind gegenwärtig (2015) in einem tiefgreifenden strukturellen Wandel be­griffen. Schon seit längerer Zeit ma­chen sich dabei massive Probleme vor allem für den Bestand der Haupt­schulen bemerkbar. Während sich etwa die Anzahl der Realschulen und der Gymnasien kaum veränderte, sank die Zahl der Hauptschulen in Nordrhein-Westfalen von 730 im Jahr 2005 auf 493 im Jahr 2014. Hiervon konnten im Schuljahr 2014/2015 bereits 288 aufgrund mangelnder Anmeldezahlen keine Eingangsklasse mehr bilden, sie laufen also demnächst aus.

In Westfalen-Lippe ging die Zahl der Hauptschüler vom Schuljahr 2000/2001 bis zum Schuljahr 2014/ 2015 um 57,3% zurück. In manchen Kreisen, vor allem Ostwestfalens, lag der Rückgang sogar bei ca. 70%.

Die Gründe für diese Negativentwicklung liegen u.a. im Gesamtrückgang der Schülerzahlen aufgrund des demographischen Wandels, aber auch im negativen Image der Hauptschule. Dies hat sich entwi­ckelt, obwohl die dort tä­tigen Lehrkräfte oft sehr gute Arbeit leisten. Wesentlich beigetragen zu diesem Negativimage haben u.a. die Probleme, die durch soziale Faktoren, durch Integrationsschwierigkeiten teilweise großer Teile der Schülerschaft sowie durch die Befürchtung bedingt sind, dass Hauptschulabsolventen geringere Chancen bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen haben könnten.

In Bezug auf die Integrationsprobleme bestätigt etwa eine Studie von IT.NRW aus dem Jahr 2012, dass die Hauptschulen in Nordrhein-Westfalen mit 38,7% den höchsten Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Zuwanderungsgeschichte aufweisen. Auch der Anteil derjenigen Schüler, in deren Familien zu Hause normalerweise nicht deutsch ge­sprochen wird, ist bei den Hauptschulen mit 25,6% am höchsten – bei den Gymnasiasten beispielsweise liegt er nur bei 5,0%.

Um ihren Kindern eine möglichst chancenreiche Basis für den Start ins Leben zu ermöglichen, haben sehr viele Eltern in den letzten Jahren für ihre Kinder nicht mehr die Hauptschule, sondern andere Schulformen gewählt. Eine Folge der Erosion der Hauptschulen war ein starker Rückgang zunächst der entsprechenden Anmeldezahlen, dann des Hauptschul-Gesamtbestandes generell.

Abb. 1: Gesamt-, Sekundar- und Profilschulen 2014/2015 (Quelle: www.schulministerium.nrw.de)

Die beschriebenen Entwicklungen hatten u.a. folgende Konsequenzen:

  • Viele Eltern wurden unsicher in Bezug auf die geeignete Schulform für ihre Kinder, sodass der Wunsch zunahm, sie je nach Leis­tungspotenzial flexibler zuordnen zu können – möglichst sogar innerhalb einer einzigen Schule, und sich nicht schon nach dem 4. Grundschuljahr auf eine bestimmte weiterführende Schulform festlegen zu müssen.
  • Um zumindest ein hauptschulgemäßes Angebot flächendeckend sicherzustellen, wurde auf politischen Entscheidungsebenen nach einer Schulform gesucht, die das Erreichen dieses – und nach Möglichkeit auch weiterer schulischer Ziele – gewährleisten sollte. Hierbei sollten jedoch andere, vor Ort be­reits existierende Schulen, z.B. Gymnasien oder Gesamtschulen, möglichst nicht gefährdet werden.

Das Ergebnis solcher Bestrebungen war die Änderung des Schulrechts am 20.10.2011, womit zwar die bisherige Hauptschulgarantie durch die Landesverfassung aufgegeben wurde, dafür aber mit der ge­setzlichen Verankerung der "Se­kun­darschule" eine neue, integrative Schulform geschaffen wurde, in der auch ein entsprechendes, hauptschuladäquates Angebot seinen Platz behalten sollte. Die Sekundarschule umfasst die Klassen fünf bis zehn und wird mindestens dreizügig ge­führt. In den Klassen 5 und 6 lernen alle Kinder gemeinsam, da­nach kann der Unterricht entweder weiterhin integriert oder teilintegriert oder – kooperativ – in zumindest zwei ge­trennten Bildungsgängen erfolgen. Letztere be­treffen in der Praxis häufig eine Hauptschul- und eine Realschulausrichtung. Verbindlich ist für eine Se­kundarschule die Kooperation mit einer Schule, in der es eine Sekundarstufe II gibt, sodass die Eltern schon bei der Anmeldung ihrer Kinder wissen, wo diese eventuell auch das Abitur machen können.

Für Familien, die ein prinzipiell längeres gemeinsames Lernen der Kinder wünschen, wurde in wenigen Städten die sog. PRIMUS-Schule als Schulversuch ge­stattet. Hierbei werden alle Kinder von der ersten bis zur zehnten Jahrgangsstufe gemeinsam unterrichtet.

Weitere Modellvorhaben betreffen die "Gemeinschaftsschule" und die "Profilschule" (Abb. 1), in denen ebenfalls – mit unterschiedlichen Lernschwerpunkten – integrativ gearbeitet wird.

Alle neuen Schulformen sind, ebenso wie die Gesamtschulen, in der Regel gebundene Ganztagsschulen, was einem weiteren Wunsch vieler heutiger Eltern entspricht. Von den Realschulen und den Gymnasien hat etwa ein Viertel den gebundenen Ganztag eingeführt.

Als landesweit die Sekundarschulen im Schuljahr 2012/2013 ihren Betrieb aufnahmen, waren darunter auch insgesamt 78 Schulen in Westfalen-Lippe (Abb. 1). Sehr viele von ihnen entstanden in Kommunen mit ca. 10.000 bis 15.000 Einwohnern, wo u.a. aufgrund der demographischen Entwicklung der Fortbestand der Hauptschule zumindest stark gefährdet erschien. Zu nennen wären in dieser Gruppe etwa Möhnesee, Rüthen, Wickede, Bad Wünnenberg, Beverungen, Borchen, Extertal, Kalletal, Preußisch Oldendorf, Stemwede, Neuenkirchen, Reken, Sassenberg, Sendenhorst, Velen, Wadersloh usw. (Abb. 1).

Abb. 2: Anteile der Schüler an weiterführenden Schulen 2014/2015 (Quelle: www.it.nrw.de)

Viele Städte entschieden sich aber auch, da ohnehin dort eine neue, in­tegrative Schule entstehen sollte, für eine Gesamtschule. So erhöhte sich die Zahl der Gesamtschulen in Westfalen-Lippe zwischen 2010/2011 und 2014/2015 von 102 auf 138, wobei die Neugründungen vor allem in den Regierungsbezirken Münster und Detmold stattfanden. Im Regierungsbezirk Arnsberg, wo vor allem in den großen Städten schon relativ viele Ge­samtschulen bestanden, wuchs deren Anzahl da­gegen nur wenig.

Oft liegt die Einwohnerzahl der Städte mit Gesamtschul-Neugründungen in der Größenordnung von etwa 15.000 bis 20.000, z.B. in Freudenberg, Bad Lippspringe, Brakel, Gescher, Hörstel, Rhede, Finnentrop und Herzebrock-Clarholz.

Wegen des schon seit Jahren re­lativ großen Bestandes an Gesamtschulen im Ruhrgebiet sind die An­teile der Realschüler z.B. in Bo­chum, Hagen und Gelsenkirchen mit je­weils 17 bis 19% deutlich geringer als et­wa die in den Kreisen Borken, Stein­furt, Höxter, Siegen-Wittgenstein und im Hochsauerlandkreis, wo sich die An­teile bei fast 30% bewegen. Dafür liegt der Anteil der Gesamtschüler beispielsweise in Gelsenkirchen bei 39,6, in Bochum bei 30,1 und im Kreis Unna bei 31,4% (Abb. 2).

Bei den Gymnasiasten ragt die Stadt Münster signifikant heraus. 61,4% aller Schüler, die dort eine weiterführende Schule besuchen, ge­hen auf eines der 14 Gymnasien. Da­gegen beträgt der entsprechende An­teil beispielsweise in Herne oder Hamm deutlich weniger als 40, in Gel­senkirchen sogar nur 30,9% (Abb. 2).

In Abbildung 2 werden außer den prozentualen Anteilen der Schülerinnen und Schüler an Hauptschulen, Realschulen, Gesamtschulen und Gymnasien auch noch jene be­rück­sichtigt, die eine der "sonstigen" Schul­formen besuchen. Hierbei handelt es sich beispielsweise um die freien Waldorfschulen, um Förder-, Ge­mein­schafts- oder PRIMUS-Schulen.

Freie Waldorfschulen gibt es in Westfalen-Lippe insgesamt 20, Ge­meinschaftsschulen acht und PRIMUS-Schulen drei.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: < 1 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2010, Aktualisierung 2015