Wildpferde im Merfelder Bruch

01.01.2007 Philipp Scholz

Abb. 1: Die Wildpferdebahn innerhalb des Dülmener Stadtgebietes
Im Merfelder Bruch, ca. 12 km westlich von Dülmen (Abb. 1), ist eine ganz besondere Attraktion des Münsterlandes zu finden, die weit über die Region hinaus bekannt ist und alljährlich Tausende von Pferdeliebhabern und Radwanderern anzieht. Hier leben seit vielen Jahrhunderten die Dülmener Wildpferde, eine ursprünglich aussehende Kleinpferderasse mit meist braun- oder graufalber Färbung, einem Stockmaß von ca. 1,30 m und dem für Wildpferde typischen Aalstrich von der Mähne bis zum Schweif.

Die Dülmener Wildpferde sind inzwischen die einzigen unter den Wildpferderassen, die immer in freier Wildbahn lebten und nicht die Nachkommen domestizierter Pferde sind (Abb. 2).

Die erste urkundliche Erwähnung der Tiere stammt aus dem Jahr 1316, als sich Herrmann de Merfeld und Johannes de Lette das Recht auf die Jagd, den Fischfang und die wilden Pferde sicherten. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Wildpferde lange vor dieser Zeit im Merfelder Bruch beheimatet waren. Ähnlich wie in anderen Regionen Westfalens (z.B. in den Niederungen des Emscher-Bruchs, der Senne, im Duisburger Wald und in der Davert zwischen Senden und Münster) lebten auch im Merfelder Bruch zahlreiche Pferde in den Gemeinschaftsgründen, der sog. Wildbahn, und waren das ganze Jahr über sich selbst überlassen. Diese Bruchlandschaft umfasste ursprünglich eine Fläche von mehreren tausend Hektar. Ackerbau und Weidewirtschaft waren wegen des sehr hohen Grundwasserstandes kaum möglich. Mit der fortschreitenden landwirtschaftlichen Nutzung bisher unattraktiver Gegenden, beispielsweise durch Trockenlegung von Feuchtgebieten, wurde der Lebensraum der wildlebenden Pferde im 19. Jh. immer mehr eingeschränkt.
Abb. 2: Fohlen (Foto: N. Wischeloh, Stadt Dülmen)
Dass die Teilung der gemeinschaftlichen Gründe des Merfelder Bruchs zwischen 1840 und 1850 nicht das Ende der Wildpferde bedeutete, ist Alfred Herzog von Croy zu verdanken. Dieser ließ die restlichen 20 Pferde einfangen und gewährte ihnen Asyl auf einem ca. 35 ha großen Areal, das ihm im Rahmen der Teilung der Gemeinschaftgründe zugefallen war. Die Wildbahn im Merfelder Bruch ist in den letzten 150 Jahren von den Herzögen von Croy stetig vergrößert worden, so dass den Pferden heute ein Reservat von über 350 ha Fläche zur Verfügung steht. Das mittlerweile einzige Wildgestüt Europas ist inzwischen auf ca. 300 Tiere angewachsen.

Um die Folgen möglicher Inzucht bei dem vormals sehr kleinen Bestand zu minimieren und gleichzeitig das ursprüngliche, wildpferdähnliche Bild der Tiere zu erhalten, wurde bereits vor einigen Jahrzehnten mit der Einzüchtung anderer Ponyrassen begonnen. So werden z.B. seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts verstärkt polnische Koniks eingekreuzt.

Die Merfelder Bruchlandschaft bietet den Wildpferden optimale Lebensbedingungen. In kurzer Folge wechseln Weide, Moor, Heide, Birkenhain, Nadel- und Laubhochwald, letzterer teilweise mit Urwaldcharakter. Hier finden sie abwechslungsreiche Nahrung und bei schlechter Witterung Schutz in den Baumbeständen. Die Wildpferde leben das ganze Jahr über im Freien und bleiben weitestgehend sich selbst überlassen. Nur in strengen Wintern werden die Pferde, ähnlich wie beim Wild, mit zusätzlichem Heu und Stroh versorgt. Dennoch fallen in nasskalten Wintern immer wieder Fohlen und junge Stuten der Witterung zum Opfer. Die harten Daseinsbedingungen gewährleisten eine natürliche Auslese, die das Dülmener Wildpferd zu einer sehr widerstandsfähigen Rasse gemacht hat. Wegen seiner Härte, Genügsamkeit, Ausdauer und Langlebigkeit war es früher ein begehrtes Wirtschaftspferd. Heute ist es beliebt als intelligentes und charakterfestes Freizeitpferd.
Abb. 3: Einlauf der Herde in die Wildpferdebahn (Foto: N. Wischeloh, Stadt Dülmen)
Die Wildpferdebahn im Merfelder Bruch ist heute ein Naturschutzgebiet mit der Herde als Naturdenkmal. Die Erhaltung der Wildbahn als natürlicher Lebensraum für die Wildpferde ist oberstes Ziel des Landschafts- und Naturschutzes. Eine Veränderung des Biotops würde durch die natürliche Selektion auch einen anderen Pferdetypus hervorbringen. Den Dülmener Wildpferden bleibt als Primitivrasse das ursprüngliche Erbgut erhalten, das vielleicht eines Tages notwendig sein wird, um die überzüchteten Hauspferdbestände mit dem natürlichen Erbgut "aufzufrischen".

Die Wildpferdherde bietet aber auch für die Verhaltensforschung ein interessantes Betätigungsfeld. Eine relativ wenig vom Menschen beeinflusste Pferdepopulation wie die in Merfeld ist weltweit kaum noch zu finden.

Im Merlder Bruch leben die Tiere ausschließlich im Herdenverband zusammen - jedoch nur Stuten und Fohlen. Die Herde gliedert sich in einzelne Sippen auf. Dies sind Familienverbände einer Stamm-Stute, deren Töchter und alle Fohlen. Die Herde wird von einer Leitstute geführt, die Weide- und Ruheplätze auswählt. Nur in den Sommermonaten darf ein Hengst zu den Stuten.
Abb. 4: Fang der einjährigen Hengste (Foto: N. Wischeloh, Stadt Dülmen)

Damit die Herde nicht unkontrollierbar wächst, werden die einjährigen Hengste Jahr für Jahr am letzten Samstag im Mai eingefangen und anschließend versteigert. Dieser traditionelle Wildpferdefang, der schon 1907 das erste Mal abgehalten worden ist, hat den kleinen Ortsteil Merfeld bei Dülmen im Kreis Coesfeld berühmt gemacht. In der eigens für dieses sehenswerte Spektakel errichteten Arena verfolgen jedes Jahr Tausende von Besuchern wie die Junghengste per Hand und ohne Hilfsmittel aus der Herde herausgefangen und danach meistbietend versteigert werden. Stuten werden weder gefangen noch verkauft. Sie verbleiben ihr ganzes Leben lang in der Wildbahn. Dann kehrt für ein Jahr wieder Ruhe in die Herde ein. Denn der Wildpferdefang ist die einzige Gelegenheit, zu der der Mensch in das Leben der Dülmener Wildpferde eingreift.

Für die Stadt Dülmen ist die Wildpferdherde ein einzigartiges Alleinstellungsmerkmal mit sehr hohem Wiedererkennungswert, das weit in die Region hinausstrahlt. Die Stadt bietet ein vielfältiges Touristikprogramm rund um die Wildpferde an, dabei liegt der Schwerpunkt auf dem Radtourismus. Eine Vielzahl an örtlichen und überregionalen Radrouten führt an der Wildpferdebahn im Ortsteil Merfeld vorbei. Aber auch naturkundliche Führungen zur Beobachtung der Wildpferde in freier Natur werden angeboten.

In der reizvollen Bruchlandschaft des Münsterlandes haben zwischen Moor und Heide die Merfelder Wildbahn und die Wildlinge bisher alle Stürme der Zeit überstanden. Sie stellen ein Naturdenkmal von einzigartigem Wert dar, welches sich lohnt, dauerhaft erhalten zu werden.

Beitrag als PDF-Datei ansehen/speichern (Größe: < 1 MB)

↑ Zum Seitenanfang


Weiterführende Literatur/Quellen

Erstveröffentlichung 2007